Jedermanns Aufgabe

Politische Attentate – insbesondere, wenn sie gleichsam in Serie verübt werden – passieren nicht einfach so. Sie sind Folge eines gesellschaftlichen Klimas, das ihnen den Boden bereitet. Dieses Klima wird seit einigen Jahren in den digitalen Netzwerken nicht nur gesetzt, sondern durch sie sogar gefördert. Deren Algorithmen belohnen die massenhafte Preisgabe von Anstand und Respekt. “Volksverräter” ist ein Ausdruck, der dort mittlerweile so üblich ist wie Chlor im Schwimmbad. (…) Es ist gut, dass es mittlerweile Razzien nicht nur gegen Dealer, sondern auch gegen Internet-Hetzer gibt. Zwei Gruppen haben hier zu lernen: die Täter, dass sie Kriminelle sind, mit einem reellen Risiko, erwischt zu werden – und Staatsanwälte, dass ihre Mühe nicht der Ahndung einer vermeintlichen Lappalie gilt, sondern der Bewahrung eines Klimas, ohne das die Demokratie in Angst und Brutalität versänke. (…) Zugleich ist dieser Klimaschutz eine Arbeit, die sich nicht einfach an juristische und politische Profis delegieren lässt. Sie ist jedermanns Aufgabe. Es ist von Bedeutung, wenn Bundesligaspieler aus Protest gegen Rassismus niederknien. Es ist von Bedeutung, dass der Bundespräsident bedrohte und angegriffene Bürgermeister mehrmals trifft und ihnen damit Solidarität und Öffentlichkeit verschafft. (…) Walter Lübcke ist tot, weil in der Gesellschaft ein Feld aus Hass und Aggression gedieh. Diese schuldet es ihren Repräsentanten und sich selbst, diesem Feld nicht länger beim Wachsen zuzusehen.

Detlef Esslinger, Lübke-Prozess. Ein Feld aus Hass und Aggression, in Süddeutsche Zeitung vom siebzehnten Juni Zweitausendundzwanzig

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