“Desinformationsmedium”

An die Erfindung der Zeitung war einst die Hoffnung geknüpft, dass sie den mündigen Bürger mit den Informationen versorge, die er braucht, um sich ein eigenes Urteil zu bilden. Was dann kam, war die „Bild“-Zeitung. Später wurde das Privatfernsehen eingeführt, um mehr Meinungs- und Informationsvielfalt zu ermöglichen. Was wir bekamen, waren „Tutti Frutti“ und hundert Folgen „Schulmädchenreport“. Noch später lautete die Verheißung, mit dem Internet werde die wahre Demokratie ausbrechen. Was wir jetzt haben, sind Kinder, die nicht wissen, warum wir Fronleichnam feiern, aber schon jede Menge Pornos gesehen haben.
Es ist ja richtig, dass das Internet insofern ein demokratisches Medium ist, als jetzt jeder berichten und kommentieren kann, wie das früher nur Zeitungen, Radio und Fernsehen konnten. Aber diese alten klassischen Medien wurden und werden noch immer nach handwerklichen Regeln gemacht und unterliegen den Gesetzen eines Rechtsstaats. Was gedruckt und gesendet wird, muss zuvor von einer Redaktion auf Wichtigkeit, Richtigkeit und Gesetzeskonformität geprüft werden.
Der einzelne Wutbürger daheim unterliegt keinerlei Kontrolle. Davon machen Millionen Gebrauch, und eben das macht das Internet zu einem Desinformationsmedium, in dem sich Lüge, Mobbing, Beschimpfung und Hass massenhaft verbreiten. Inzwischen ist aus den Worten des Hasses eine Tat geworden: der Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke. Das allein müsste schon genügen, um das Internet, in dem das Recht des Stärkeren gilt, endlich unter rechtsstaatliche Kontrolle zu bringen.

Christian Nürnberger, Mehr Kontrolle über das Internet.
Aus den Worten des Hasses ist eine Tat geworden: Der Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke
, in: Mainzer Allgemeine Zeitung, Samstag, zweiundzwanzigster Juni Zweitausendendundneunzehn


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