Monat: November 2015

Musik, Küsse, Leben, Champagner und Freude

„Freunde in aller Welt, danke für Eure Gebete für Paris, aber wir brauchen nicht mehr Religion. Wir glauben an Musik! Küsse! Leben! Champagner und Freude!“

Einer der Zeichner von Charlie Hebdo, zitiert von Ulli Tückmantel in seinem Kommentar: Was jetzt zählt: Einigkeit und Recht und Freiheit, Westdeutsche Zeitung vom sechzehnten November Zweitausendundfünfzehn

Gott braucht keine Krieger

(…) Die Attentäter von Paris sind zwar keine Protagonisten des namenlosen Terrors. Sie morden dezidiert im Namen des Islamischen Staates, der so islamisch ist wie der Ku-Klux-Klan christlich. Man sollte generell skeptisch sein, wenn sich eine Organisation, die weltliche Ziele verfolgt, dabei auf Gott, welchen auch immer, beruft. Gott braucht keine Krieger, keine Mörder, keine Hassprediger und nicht einmal politische Parteien. (…) Die Terroristen von Paris und ihre Gesinnungsgenossen haben ein Hauptziel: Sie wollen Angst verbreiten. Sie wollen die relative Sicherheit der westlichen Wohlstandsgesellschaften stören, gar zerstören; sie wollen ihren Krieg dahin tragen, wo sie Imperialismus, Sünde, Gottlosigkeit ausmachen. Totalitäre Bewegungen dieser Art definieren rigide, wie Menschen zu leben haben. Wer anders leben will, der soll sterben. (…) Diesen Angstverbreitern kann man bis zu einem gewissen Grad polizeilich, geheimdienstlich, vielleicht sogar militärisch entgegentreten. Die Angst selbst aber lässt sich nur durch das Bewusstsein besiegen, durch die Gewissheit, dass jeder Mensch die unveräußerlichen Rechte hat, zu sagen, zu glauben und zu tun, was er will, solange er damit keinem anderen Schaden zufügt. Diese Freiheit ist kein “westlicher” Wert, sondern sie rührt her von der Einmaligkeit jedes Einzelnen. Und die Freiheit des Einzelnen ist für alle Totalitären der größte Feind. Angst verbreiten zu wollen, ist verbrecherisch; Angst politisch auszunutzen, ist verwerflich. (…)

Kurt Kister, Terror und die Folgen: Freiheit gegen Angst. Angst zu verbreiten ist ein Verbrechen, sie auszunutzen verwerflich, in Süddeutsche Zeitung vom sechzehnten November Zweitausendundfünfzehn

Nothing to kill or die for and no religion too

“Nothing to kill or die for and no religion to.” Heute noch einmal Imagine von John Lennon. In der Version von A Perfect Circle. Aus Gründen. Guten Gründen.

 

Imagine there’s no heaven
It’s easy if you try
No hell below us
Above us only sky
Imagine all the people
Living for today…

Imagine there’s no countries
It isn’t hard to do
Nothing to kill or die for
And no religion too
Imagine all the people
Living life in peace…

You may say I’m a dreamer
But I’m not the only one
I hope someday you’ll join us
And the world will be as one

Imagine no possessions
I wonder if you can
No need for greed or hunger
A brotherhood of man
Imagine all the people
Sharing all the world…

You may say I’m a dreamer
But I’m not the only one
I hope someday you’ll join us
And the world will live as one

Gegen Terror und Gewalt, für Zivilisation, Menschlichkeit und gute Nachbarschaft

Den nachfolgenden Text haben gestern im Laufe des Nachmittags mehrere Menschen gemeinsam im Netz erstellt, verändert, korrigiert und verbessert, damit er während eines Gedenkens vor dem Wermelskirchener Rathaus anläßlich des Terrorangriffs in Paris am gestrigen Abend verlesen werden konnte. Die Bürger reagierten mithin schneller und entschiedener als die Offiziellen der Stadt, als Parteien oder Verwaltung.

Zum zweiten Mal in diesem Jahr wurde die französische Hauptstadt gestern Abend von einem feigen Terroranschlag heimgesucht. Weit mehr als einhundert Menschen verlo­ren am gestrigen Abend ihr Leben und viele sind immer noch so schwer verletzt, daß man nicht weiß, ob sie in den nächsten Tagen überleben werden. Das war ein An­schlag nicht nur auf französische Bürger und Frankreich, das war ein Anschlag auf uns alle, ein Gewaltakt gegen Europa. In diese12232666_1662456297371393_3047681987764891907_on Stunden fühlen alle anständigen deut­schen Bürger mit den Opfern der hinterhältigen Attacke, mit deren Angehörigen sowie allen Bürgern der französischen Republik. Und unabhängig von den jeweiligen politischen Einstellungen versammeln wir uns hinter dem Wort unserer Bundeskanzlerin, Angela Merkel, die heute in einem Pressestatement sagte: “Wir, die deutschen Freunde, wir fühlen uns Ihnen so nah. Wir wei­nen mit Ihnen. Wir werden mit Ihnen gemeinsam den Kampf gegen die führen, die Ihnen so etwas Unfassbares angetan haben.“ Wir Bürger Wermelskirchens stehen an der Seite unserer engsten europäischen Nach­barn, den französischen Freundinnen und Freunden. Unsere Gedanken richten sich auch an die Bürger unserer Partnerstadt, Loches, an Menschen, die uns Jahr fü12239142_1662456520704704_7575505429310173748_or Jahr aufnehmen, annehmen, uns zugetan sind, uns zu Freunden gemacht haben. Und wir stehen mit ihnen gegen jede Form der Gewalt, gegen jeden Terror, gleich, in wessen Namen auch immer er verübt wird. Der Gewaltakt vom gestrigen Abend richtet sich gegen die europäische Zivilisation, gegen unsere Freiheit und unsere Demokratie, ge­gen unsere Lebensweise und die
Prinzipien unserer Kultur und unseres Gemeinwesens. Die Feinde der Freiheit, unabhängig davon, wo sie sich ideologisch beheimatet fühlen, bekämpfen unsere europäische Lebensweise, bomben und schießen gegen unsere of­fenen Gesellschaften, gegen Nächstenliebe, Solidarität und Mitmenschlichkeit. Tole­ranz und Respekt vor anderen und Andersdenkenden sind ihnen zutiefst fremd und zuwider. Unsere erste und gemeinsame Aufgabe ist es nun, zusammenzustehen, jenen entge­genzutreten, die den Gewaltakt vom gestrigen Abend zum Anlaß nehmen wollen, Un­frieden zu stiften, Haß und Konflikte säen wollen. Wir lassen uns von unserer Näch­stenliebe und Mitmenschlichkeit durch keinen Terror dieser Welt abbringen. Die über­wältigende Mehrheit905742_1662456454038044_2728710992407406764_o der Wermelskirchener Bürgerschaft steht an der Seite der neuen Nachbarn aus den Krisengebieten der Welt, jener Menschen, die genau diesem Terror, die Krieg, Not und Elend entflohen und im Bergischen Land gestrandet sind. Wir sind froh, daß sich einige unserer neuen Nachbarn in unserer Mitte befinden. Not in My name, Nicht in meinem Namen. Dieser Hashtag, dieses Schlagwort, diese gute Losung geht in Windeseile rund um den Globus. Menschen muslimischen Glau­bens in allen Ländern der Welt erklären, daß der Angriff auf Europa nicht im Namen des Glaubens, nicht im Namen ihres Glaubens erfolgt ist. Wir alle treten gemeinsam ein für Zivilisation, für Menschlichkeit und für gute Nachbarschaft.

Paris – eine Stadt, die das Leben feiert

Die Menschen, um die wir trauern, wurden vor Cafés ermordet, im Restaurant, im Konzertsaal oder auf offener Straße. Sie wollten das Leben freier Menschen leben, in einer Stadt, die das Leben feiert ‑ und sie sind auf Mörder getroffen, die genau dieses Leben in Freiheit hassen.
Dieser Angriff auf die Freiheit gilt nicht nur Paris ‑ er meint uns alle und er trifft uns alle. Deswegen werden wir auch alle gemeinsam die Antwort geben. (…) Und dann geben wir auch als Bürger eine klare Antwort, und die heißt: Wir leben von der Mitmenschlichkeit, von der Nächstenliebe, von der Freude an der Gemeinschaft. Wir glauben an das Recht jedes Einzelnen ‑ an das Recht jedes Einzelnen, sein Glück zu suchen und zu leben, an den Respekt vor dem anderen und an die Toleranz. Wir wissen, dass unser freies Leben stärker ist als jeder Terror.

Bundeskanzlerin Angela Merkel in einem Pressestatement heute anläßlich der Terroranschläge von Paris

Irren

In Zeiten wie diesen, in denen der öffentliche Diskurs durch eine zunehmend enthemmte Aggression vergiftet wird, tut es gut, sich der eigenen Anfälligkeit für Irrtümer gewahr zu bleiben. Wenn die absolute Wahrheit für uns nicht zu haben ist, wenn es uns nur möglich ist, “Wahrheitsähnliches” zu erblicken, dann sollten sich manche dogmatischen Ideologien, manche finsteren Tonlagen, manch scharfer Angriff auf Andersdenkende erübrigen. Die Bereitschaft, den kritischen Zweifel nicht nur gegen andere, sondern auch gegen eigene Eindrücke und Überzeugungen zu richten, schwächt keineswegs die eigene Position, sondern schützt hoffentlich vor verletzenden Grobheiten und verfeinert gleichzeitig die Gründe, die für die eigenen Ansichten angeführt werden. Sich zu fragen, was gegen die eigenen Überzeugungen spricht, eigene Widersprüche oder Ambivalenzen aufzufächern, hilft vielleicht, sich dem Wahrheitsähnlichen zu nähern. Meine Klavierlehrerin aus Kindertagen hat mich einmal ermahnt mit dem stilprägenden Satz: “Wenn du schon falsch spielst, dann wenigstens präzis.” Sich zu verspielen, das war ihrer Auffassung nach tolerabel, aber ungenaues Haspeln, das war unverzeihlich. Manchem, der sich auf der Straße, in Gesprächssendungen oder im Parlament äußert, möchte man eine solche Klavierstunde empfehlen. Vielleicht würde es helfen, zu einem zivilisierteren Miteinander zurückzufinden.

Carolin Emcke, Irren, in: Süddeutsche Zeitung vom vierzehnten November Zweitausendfünfzehn

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