Tag: 5. August 2014

FDP. Marginalien. Subjektiv

FDP. Freie Demokratische Partei. Mal mit Pünktchen. F.D.P. Meist aber ohne. FDP. So hat sie mich mein politisches Leben lang begleitet. Eigentlich immer unstrittig. Sie war immer da. Immer Mehrheit. Immer in der Regierung. Immer im Zentrum der Macht. Immer gab es Minister in blau-gelb. Liberal war, jedenfalls bis Lambsdorff, die Spanne von nationalliberal über wirtschaftsliberal bis sozialliberal. Immer aber stand, so glaubte man, die FDP für bürgerliche Freiheit, für Bürgerrechte gegen einen aFotollzu übergriffigen Staat. Und nun ist sie weg. Die Menschen haben sie abgewählt, die Liberalen. Hinausgewählt aus Bundestag und Regierung. Weil die FDP sich von einem breit angelegten Liberalismus in alle politischen Lager hinein in eine enge, marktradikale, unsoziale Klientelpartei an der Seite der wirtschaftlich Mächtigen und des politischen Konservativismus verwandelt hat. Die Bürger haben sich von der ehemaligen Bürgerpartei abgewandt. Steuersenkungen waren über Jahre hinweg das blau-gelbe Mantra. Eine Ein-Punkt-Programm-Partei. Mit großmäuligem Personal. Mit einer großen europaskeptischen Fraktion. Mit verbissenem Marktradikalismus und einem fanatischen Glauben daran, daß der Markt schon alles richten werde. Aber man hat kaum ein Wort eines führenden Liberalen gehört zur massenhaften Abhörung der Bürger durch Geheimdienste. Bis auf die Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger als bürgerrechtliches Feigenblatt also eine Partei so ganz ohne bürgerrechtliche Ambitionen. Ohne soziale Verantwortung. Wer erinnert sich nicht an das Wort von der spätrömischen Dekadenz, vom großen Vorsitzenden Westerwelle den sozial Schwachen entgegengehämt, oder den niederträchtigen Begriff von der Anschlußverwendung, den der gewesene Wirtschaftsminister Rösler sich für die entlassenen Schleckermitarbeiter hat einfallen lassen. Die FDP war die Partei der sozialen Kälte. War? Die FDP war? Noch gibt es die FDP. Vor allem als Statement. Als Äußerung, als Standpunkt, als These einiger weniger Granden der Partei. Zuvörderst des jungen Vorsitzenden, Christian Lindner, und eines alten Förderers des jungen FDP-Mannes, Gerhard Baum, ehedem Innenminister des Landes. Beide mühen sich nach Kräften, die FDP im Gespräch zu halten. Zudem gibt es die FDP noch als Arbeitsfeld der Unternehmensberatung Boston Consulting Group. Die soll das angeschlagene Image der Krisenpartei aufhübschen und eine “Revitalisierung” der angeschlagenen Marke bewirken. Die “Partei, die Chancen ermöglicht”. So das neue, im übrigen: dreißigtausend Euro teure Leitbild, wenn es nach der Boston Consulting Group geht. Wem Chancen eröffnet? Welche Chancen? Chancen auf welchen Feldern? Es bleibt beim sattsam bekannten Unternehmensberatungssprech. Künftig wolle die FDP „lösungsorientiert, mutig, optimistisch, empathisch“ auftreten, weiß die Wirtschaftswoche zu berichten. Na, da bin ich aber mal gespannt. Künftig. Derzeitig wird das FDP-Image noch eher von Gestalten wie dem Berliner Vorstandsmitglied der Liberalen, Lars Lindemann, geprägt, der Sozialhilfeempfänger an die Stadtrände ausquartieren will. Der Bildzeitung diktierte der liberale Menschenfreund ins Mikrophon: „Das Prinzip ‚In Mitte geboren – in Mitte gestorben‘ darf es nicht geben.“ Man könne nicht Botschafter und Hartz-IV-Empfänger in einer Straße unterbringen. „Jemand, der von Sozialhilfe lebt, kann nicht denselben Anspruch haben, wie jemand, der sein Geld selbst verdient!“ Mutig, lösungsorientiert, emphatisch? Nein, das ist die alte Röslersche Schule. Christian Lindner hingegen kauft vor einem Pressegespräch einem Zeitungsverkäufer ein Berliner Obdachlosenmagazin ab. „’Vor ihm habe ich übrigens Hochachtung – der in einem solchen Job hart arbeitet’, sagt Lindner, als der Zeitungsverkäufer gegangen ist. Der Soziologe Richard Sennett habea9645e378d8836b7e43ff2bc3f57be62 als Reaktion auf die gesellschaftlichen Fliehkräfte ja nicht Umverteilung empfohlen, sondern vor allem Respekt.” Die neue Empathie des Christian Lindner? Respekt statt Umverteilung? “Mitfühlender Liberalismus“? Seit geraumer Zeit ja das Lieblingsprojekt des Vorsitzenden. Eines FDP-Vorsitzenden, in dessen Regal sich auch die CD  Hannes Wader singt Arbeiterlieder (!) finden lassen soll, wenn man der Berliner Republik glauben darf. Eine Jugendsünde des jungen Vorsitzenden, gewiß.  “Christian Lindner: 35 Jahre alt, zuvorkommend, hochintelligent, belesen, Medienprofi, Vorsitzender der FDP-Fraktion im nordrhein-westfälischen Landtag sowie Bundesvorsitzender – und die vielleicht letzte Hoffnung des gelb-blauen Liberalismus in Deutschland. Lindner kann messerscharfe Reden halten wie Guido Westerwelle. Er kann aber auch intellektuelle Diskussionen auf höchstem Niveau führen. So oder so, er versteht es, in jeder Gesprächssituation seine Kernbotschaften zu vermitteln.” So beschreibt es der Autor Michael Miebach und fährt fort, daß für Lindner “die FDP nicht der Anwalt irgendeiner Branche (sei) , sondern (…) für einen klug geordneten Markt (kämpfe), damit der ‘Faire, Einfallsreiche und Fleißige’ belohnt werde. Im Übrigen bedeute Liberalismus auch nicht, dass der Staat sich überall heraushalten sollte. ‘Im Gegenteil fordert der Liberale einen unbestechlichen und starken Staat, der klare, tiefe Regeln durchsetzt.’ (…) Lindner nennt diesen Ansatz ‘konsequenten Liberalismus’. “Aha. Konsequenter Liberalismus. Vermutlich haben wir nun fast alle Adjektive beisammen, mit denen man liberale Politik schmücken kann, adeln, schminken, verzieren. Der liberale Altmeister Gerhard Baum hingegen läßt sich von seiner Lieblingsüberlegung nicht abbringen. Er plädiert unverdrossen für einen “sozialen Liberalismus“. “Auch Arbeitnehmerinteressen gehören zu einer freiheitlichen Gesellschaft. Die SPD hat darauf kein Monopol. Ja, ich vermisse den sozialen Liberalismus, wie er im Freiburger Programm definiert wird. Die Verbindung des Marktes mit Werten, die eine Gesellschaft zusammenhalten. Die FDP muss die Kraft haben, den Begriff der Gerechtigkeit aus liberaler Sicht zu definieren. Das hat sie bislang leider zu wenig getan. Für mich ist zum Beispiel die ungleiche Vermögensverteilung im Land ein wichtiges Thema – ein kleiner Prozentsatz von Menschen hält einen hohen Prozentsatz der Vermögen. Es geht aber nicht nur um Leistungsgerechtigkeit, so wichtig diese ist, sondern auch um Verteilungsgerechtigkeit in unserem Lande. (…) Auch Ungerechtigkeit ist eine Gefahr für eine freie Gesellschaft. (…) Der Markt muss gebändigt werden. Auch die Experten der FDP haben dabei zu lange gezögert, auch beim notwendigen Schutz der Verbraucher. Im Übrigen warne ich vor dem Gebrauch eines falschen Mittelstandsbegriffes, der leider noch immer in der FDP herumwabert. Für mich gehört jeder leistungsorientierte Bürger zum Mittelstand oder, besser gesagt, zur Mittelschicht. Und nicht nur eine bestimmte Gruppe von Unternehmern. Der Handwerksmeister ist als liberaler Wähler wichtig, aber eben auch seine Mitarbeiter sind es – und natürlich die Benachteiligten, denen neue Chancen eröffnet werden müssen.” Wie so oft: Die Alten sind klarer, eindeutiger, moderner, weniger verschwurbelt, jünger als die Jungen. Mit Gerhard Baum wäre zwar Staat zu machen, allein die FDP verheddert sich in sich selbst. So droht die FDP in Hürth ihrem einzigen Stadtratsmitglied mit dem Parteiausschluss. Weil der liberale Stadtrat eine Fraktionsgemeinschaft mit der ebenfalls einzigen Piratin im Rat eingegangen ist. Zudem soll auch die Ehefrau des Liberalen ihr Amt als sachkundige Bürgerin aufgeben. Das Ultimatum der FDP in Hürth läuft heute ab. An der Basis ist die Partei noch oft von gestern. Vielleicht auch in den Chefetagen. Da ist nichts zu übertünchen, nichts neu anzustreichen. Der Wechsel der Parteifarben, wie von Lisa Caspari in der Zeit vorgeschlagen, macht die FDP nicht heutig, nicht moderner, nicht zukunftsfest. “Eine neue Farbe für die FDP könnte natürlich nicht alleine stehen, müsste flankiert werden von einer fortgehenden “Entrümpelung” des Personals, das noch aus alten Zeiten da ist. Lindner sollte sich um neue Gesichter bemühen, außerdem um gestandene Persönlichkeiten, charismatische Unterstützer aus der Wirtschaft, die sich für die Liberalen engagieren. Die Partei müsste ihre Kampagne modern machen, auch mal ungewohnte Themen liberal aufziehen, Familienpolitik oder das Thema Pflege. Will diese FDP überleben, braucht es Luft in den Mief des Thomas Dehler-Hauses, es braucht das gezielte Ansprechen von Klientelgruppen, die liberal denken, aber bisher nicht die FDP wählten.” Wohin man schaut, gute Ratschläge. Von Wählern abgeschrieben und abgewatscht, von Journalisten hochgeschrieben und gehätschelt. Vielleicht nicht die ganze FDP, aber Christian Lindner, den niemand mehr Bambi nennt wie weiland Jürgen Möllemann, allemal. In der Frankfurter Rundschau heißt es beispielsweise: “Er sei ein politischer Kopf, heißt es, ein Praktiker mit theoretischem Fundament, ein gewiefter Stratege, ein begnadeter Taktiker. Messias hat ihn noch niemand genannt, dass er staubtrockenen Fußes auf dem Wasser wandeln kann, dürfte aber gefestigter Glaube der Basis sein. Das lässt sich natürlich damit erklären, dass die Partei in ihrer verzweifelten Lage fast jeden als Leitwolf akzeptieren würde, sofern er nicht Guido Westerwelle, Philipp Rösler oder Reiner Brüderle heißt. Aber tatsächlich ist Lindner der Einzige oder besser: der Letzte, dessen Name genannt werden kann, wenn von der Zukunft der FDP die Rede ist, ohne hämisches Gelächter zu provozieren. Und ausgerechnet er, der Visionär aus Wermelskirchen, empfiehlt den eben erst von den Wählern ins Leben geschickten, brutal geknickten Spitzen der Partei, ‘raus ins Leben’ zu gehen. ‘Selbstverständlich’, sagt Lindner, und er sagt es, lässig das linke Bein auf die lederne Sitzbank im Café Einstein geschoben, mit einem freundlichen, verständnisvollen Lächeln, als sei er – in zwei Monaten wird er 35 – seit unvordenklichen Zeiten dort draußen zu Hause, in dem, was er Leben nennt. (…) ‘Selbstverständlich’, sagt er, ‘wir haben seit Jahren auf alles immer nur Antworten gegeben, statt darauf zu hören, welche Fragen die Leute haben.’ Das ist ein guter Satz. Er ist so gut, dass ihm niemand widersprechen würde. Das ist der Vorzug dieses Satze2095713135s und natürlich zugleich sein Problem. Kein Politiker würde jemals das Gegenteil behaupten und sagen, warum sollte ich mir die Fragen der Leute anhören, es genügt doch vollkommen, wenn ich auf alles eine Antwort gebe. Aber so ist der Satz von Christian Lindner natürlich auch gar nicht gemeint.” Draußen im Leben, um die schlechte Metapher aufzunehmen, dort also, wo die Menschen Fragen stellen, oft anderer Meinung sind als  die blau-gelben Parteistrategen, dort hat man derzeit wenig Verwendung für die FDP. Abzulesen an der liberalen Homepage in Brandenburg, auf der es, allerdings deftiger formuliert, heißt, daß niemand mehr die FDP brauche. Ich höre in meinem Bekanntenkreis kaum Widerspruch. Nur Willy Brandt hat schon früh angemerkt : “Die deutsche Politik wird vermutlich ärmer sein ohne eine eigenständige liberale Partei.” Am ersten Oktober Neunzehnhundertzweiundachtzig im Deutschen Bundestag, als es um das konstruktive Mißtrauensvotum gegen Helmut Schmidt ging, nachdem die Genscher-FDP von Schmidt zu Kohl übergelaufen war. Brandt fuhr fort: “Wahrhaft Freie Demokraten kann es, egal in welcher Partei, gar nicht genug geben in diesem Haus und in dieser Bundesrepublik.”

Nachtrag am sechsten August:

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Nachtrag am siebten August:

Sie wollen frei sein, und verstehen nicht, gerecht zu sein. (Ils veulent être libres et ne savent pas être justes.)” Ob Abbé Sieyès, Emmanuel Joseph Sieyès, französischer Kleriker und Revolutionär in der Mutter aller Revolutionen, der bürgerlichen Revolution in Frankreich ab Siebzehnhundertachtundneunzig, ob Abbé Sieyès schon damals etwas von der FDP und ihren Untergangsbedingungen hat wissen können?

Recht und Gesetz?

Gerhard Gribowsky. Vor wenigen Jahren noch Risikovorstand der Bayerischen Landesbank. Seit zwei Jahren wegen Bestechlichkeit und Steuerhinterziehung zu achteinhalb Jahren Knast verurteilt. Nur: Es gab gar keine Bestechung. Gribowsky hat zwar die Hand aufgehalten, bei Bernie Ecclestone, dem Formel Eins-Paten, und vierundvierzig Millionen kassiert. Der Bestecher aber hat heute sein Portemonnaie aufgemacht und flugs einhundert Millionen abgedrückt. Das Verfahren wird eingestellt. Der Bestochene sitzt, der Bestecher geht. Recht und Gesetz? Deal!

Maria Schnee

Maria Schnee. Nein. Das ist kein Imperativ. Maria, hol mir, gib mir… Maria Schnee ist ein katholischer Gedenktag. Wie auch anders. Die Madonna soll in der Nacht zum fünften August Dreihundertachtundfünfzig dem Römer Johannes und seiner Frau erschienen sein mit dem Versprechen, der Wunsch nach einem Sohn gehe dann in Erfüllung , wenn ihr zu Ehren dort, wo am nächsten Morgen Schnee liege, eine Kirche errichtet werde. Am nächsten Morgen war es dann soweit: der Esquilinhügel war weiß von Schnee, im August. Und also war die Kirche fällig.