Schlagwort: Stadtführung

Eine gute Lektion

Holocaust-Gedenktag ist heute. Der Tag ist willkürlich gewählt, paßt aber sehr gut. Denn am siebenundzwanzigsten Januar Neunzehnhundertfünfundvierzig haben sowjetische Soldaten, hat die Rote Armee das Konzentrationslager Auschwitz befreit. Seit Zweitausendundfünf ist der siebenundzwanzigste Januar von den Vereinten Nationen zum Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust erhoben worden. Hierzulande ist er bereits seit Neunzehnhundertsechsundneunzig der Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus. Und aus Anlaß eben dieses Gedenktages fand gestern eine Stadtführung statt. Volkshochschule und Geschichtsverein hatten den Journalisten Armin Himmelrath mit dieser Stadtführung betraut. Und um das Ergebnis vorwegzunehmen: Es war eine denkwürdige Führung, die den Teilnehmern einen anderen Blick auf die Heimatstadt bot, mit Geschichte konfrontierte, mit Überleben im Nationalsozialismus, mit Sterben, mit Deportation, mit politischem Verbrechen, mit Inhaftierung, mit Solidarität und Nächstenliebe, hier, wo man heutzutage einkauft, arbeitet, sich vergnügt und erholt, auf freundliche Menschen trifft, aber nicht an die Vergangenheit denkt. Hier, wo Straßen und Häuser Verkehrswege sind und Wohnungen, nicht aber Stätten des Leids, der Denunziation, der Folter. Es schärft den Blick, gezeigt zu bekommen, wo einst der Wermelskirchener Statthalter der NSDAP wohnte und allsonntaglich die Spitzel aus den Kirchen der Stadt zum Rapport empfing. Und daß zwei Häuser weiter ein Drucker lebte, der mehrfach in Lagern eingesperrt wurde und noch vor Kriegsende in einem solchen Lager starb. Es macht betroffen, von Armin Himmelrath erzählt zu bekommen, daß Frau und Tochter eben dieses Wermelskirchener Bürgers von der Frau des Nazichefs daran gehindert worden waren, im Luftschutzbunker Schutz zu finden vor alliiertem Bombardement. Weil es sich ja um die Angehörigen eines Volksfeindes handelte. Oder die Geschichte von ukrainischen Zwangsarbeiterinnen zu hören, die, Kinder noch, dreizehn- bis fünfzehnjährig, in der Kattwinkelschen Fabrik für die Männer schuften mußten, die im Krieg waren, an der Front, vielleicht auch im Lager. Und die mit körperlicher Schinderei, mehr als zehn Stunden am Tag, sechs Tage in der Woche, soviel verdienten, daß sie sich einmal im Jahr eine Straßenbahnkarte nach Radevormwald leisten konnten, wo eine zweite Gruppe ukrainischer Mädchen ihr Leben in Fronarbeit für den nationalsozialistischen Staat, als Zwangsarbeit für deutsche Firmen und Unternehmen führen mußte. Wo sind in der Heimatstadt Stolpersteine, jene Gedenksteine des Kölner Künstlers Günter Demnig, die an Menschen erinnern sollen, die während der Zeit des Nationalsozialismus, verfolgt, kujoniert, inhaftiert, deportiert oder ermordet worden sind? Wo stand das Rathaus, in dem in jener unseligen Zeit Menschen, Bürger dieser Stadt inhaftiert worden waren? Wo das Gefängnis, in dem auch Menschen ermordet worden sind? Wie haben die Lehrer an den Schulen, die hier noch stehen, die Schüler, die Jugend der Stadt indoktriniert, auf den Krieg vorbereitet, auf das Opfer des Lebens? Eine zwei Stunden währende, ungeheuer spannende Zeitreise in die Vergangenheit der Stadt. Ein großes Ereignis, eine denkwürdige Lektion. Und mit etwa fünfzig Zeitreisenden auch eine angemessene Teilnehmerzahl. Die wünsche ich den Stadtführern immer, wenn sie mit ihren Vorträgen und Führungen den Wermelskirchenern ihre Heimat näherbringen.