Tag: 21. März 2022

Drei Arten Gedichte aufzuschreiben

Heute ist der Welttag der Poesie. Von der UNESCO ausgerufen und seit dem Jahr Zweitausend jedes Jahr begangen. Deshalb hier der Text von Hilde Domin, Drei Arten Gedichte aufzuschreiben.


Ein trockenes Flussbett
ein weißes Band von Kieselsteinen
von weitem gesehen
hierauf wünsche ich zu schreiben
in klaren Lettern
oder eine Schutthalde
Geröll
gleitend unter meine Zeilen
wegrutschend
damit das heikle Leben meiner Worte
ihr Dennoch
ein Dennoch jedes Buchstabens sei

2.
Kleine Buchstaben
genaue
damit die Worte leise kommen
damit die Worte sich einschleichen
damit man hingehen muss
zu den Worten
sie suchen in dem weißen
Papier
leise
man merkt nicht wie sie eintreten
durch die Poren
Schweiß der nach innen rinnt
Angst
meine
unsere
und das Dennoch jedes Buchstabens

3.
Ich will einen Streifen Papier
so groß wie ich
ein Meter sechzig
darauf ein Gedicht
das schreit
sowie einer vorübergeht
schreit in schwarzen Buchstaben
das etwas Unmögliches verlangt
Zivilcourage zum Beispiel
diesen Mut den kein Tier hat
Mit-Schmerz zum Beispiel
Solidarität statt Herde
Fremd-Worte
heimisch zu machen im Tun

Mensch
Tier das Zivilcourage hat
Mensch
Tier das den Mit-Schmerz kennt
Mensch Fremdwort-Tier Wort-Tier
Tier
das Gedichte schreibt
Gedicht
das Unmögliches verlangt
von jedem der vorbeigeht
dringend
unabweisbar
als rufe es
“Trink Coca-Cola”

KZ-Überlebender stirbt in Bombenhagel in Charkiw

Boris Romantschenko hat die deutschen Konzentrationslager Buchenwald, Peenemünde, Dora und Bergen-Belsen überlebt. Den russischenBombenangriff am vergangenen Freitag in Charkiw nicht. Dies berichtet die Gedenkstätte Buchenwald und Mittelbau-Dora auf Twitter. Die Enkelin von Boris Romantschenko teilte mit, daß ihr Großvater in einem mehrstöckigen Gebäude lebte, das von einem russischen Geschoss getroffen wurde. 

Boris Romantschenko war Vizepräsident des Internationalen Komitees Buchenwald-Dora und hatte sich intensiv für die Erinnerung an die NS-Verbrechen eingesetzt. “Wir sind zutiefst bestürzt”, schreibt die Gedenkstätte. Russland rechtfertigt seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine unter anderem mit der unfaßbaren Lüge von einer “Entnazifizierung” des Landes.