Monat: September 2009

Krankes Gesundheitssystem

“Kopfprämien” für Ärzte, die Patienten in Krankenhäuser einweisen – das nicht mehr nur als Einzelfälle, wie noch vor wenigen Jahren -, “Fangprämien” bei der Zusammenarbeit mit Sanitätshäusern und Hörgeräteakustikern, “Kick-Back-Geschäfte” zwischen Internisten und Röntgenärzten, Dentisten und Zahnlaboren oder Orthopäden und Schuhmachern – Wild-West und Korruption im Gesundheitswesen. Laut der Korruptionsexpertin der Krankenkasse KKH-Allianz, Dina Michels, sei das “Ausmaß der Ärztebestechung noch weit größer als bislang bekannt”.

Und alles bezahlt von Patienten und Krankenkassenbeiträgen. Die, denen es nicht so schlecht geht oder sogar gut, nehmen es denen ab, die leiden, denen, die nicht so viel haben und sich nicht viel leisten können. Patientenwohl? Mal wieder: In Teilen unserer Gesellschaft geht es ohne jeden Anstand zu. Oben eher als unten.

CDU-Schockstarre löst sich

Heute in der Bergischen Morgenpost: Der CDU-Stadtverbandsvorsitzende stellt sich einem Interview zum Wahlausgang. Die Schockstarre beginnt sich zu lösen.

Man habe die ursprüngliche Wahlkampfstrategie durchgezogen, aber auf “das veränderte Umfeld” (?!) nicht reagieren können. Was mag er meinen? Die Empörung der Bürger über die Wahlkampfstrategie? Die Abwendung der Menschen von der Holzerei? Daß die Einwohner von Wermelskirchen nicht wollten, daß Politik “auch weh tun muß” (Martin Bosbach)?

Ob die CDU weiter mit der SPD zusammenarbeiten werde, sei noch nicht klar, man habe ja noch einige Zeit bis zu Konstituierung des neuen Rates. Und was die Zusammenarbeit mit den im Rat vertretenen Gruppierungen angehe, da werde ein Gremium gebildet, das sich mit dieser Frage werde auseinandersetzen müssen. Ich frage mich, wozu man dann noch einen Vorstand braucht.

Den beiden entscheidenden Fragen wich Volker Schmitz allerdings mehr oder weniger elegant aus, denen nach personellen und inhaltlichen Konsequenzen aus Wahlkampf und Wahlergebnis. Die Wahlprogramm sei gut erstellt gewesen und man könne es jetzt nicht über Bord werfen. Die Wahlprogramme der Wermelskirchener Parteien  unterscheiden sich indes nur marginal. Meine Schätzung ist, daß sich die Parteien in mehr als vier Fünfteln ihrer Programme eigentlich einig sind. Alle Parteien. Das kann mit inhaltlichen Konsequenzen also nicht gemeint sein. Und personelle Konsequenzen? Da müsse man noch Gespräche führen.

Eine Partei, die seit zehn Jahren kontinuierlich in der Wählergunst abnimmt, deren Aderlaß offenbar auch strategische und mentale Leerstellen hinterläßt, die seit Jahren mit Lautstärke operiert, wo intellektuelle Durchdringung der Probleme gefordert wäre, eine solche Partei sollte alsbald auch an personelle Wiederbelebung denken.

Im übrigen: Das alles gilt auch für die SPD, mit der Ausnahme, daß dort der Aderlaß keine Abspaltungen sind.

Armut in Deutschland

Autofahren als Informationsquelle: WDR5, Profit, so heißt die Sendung, die ich mal wieder im Stau höre, setzt sich mit der drohenden Armut von Frau Schickedanz auseinander. Noch vor fünf Jahren sei sie eine der reichsten Frauen Deutschlands gewesen, die Quelle- und Karstadtbesitzerin, mit einem Vermögen von geschätzten fünf  Milliarden Euro. Und nun habe sie nicht einmal mehr die Hälfte. Es gibt auch andere Zahlen, die ich eben nachgeschlagen habe. Im letzten Jahre habe ihr Vermögen noch 3,8 Milliarden betragen, jetzt nur noch knapp eine Milliarde, so eine Quelle. Im Grunde völlig egal. Sie und ihre Angehörigen gehen nicht am Bettelstab. Sie haben viel verloren. Aber sie haben noch sehr viel. Vollkommen unverständlich also, daß Frau Schickedanz in Printmedien folgendendermaßen zitiert werden konnte:

Wenn die Rettung von Arcandor scheitere und die Banken die Kredite fällig stellten, “verliere ich alles – Häuser, Aktien, Beteiligungen an anderen Firmen. Ich bekäme mit meinen 66 Jahren noch nicht einmal Rente. […] Wir leben von 500 bis 600 Euro im Monat. Wir kaufen auch beim Discounter. Gemüse, Obst und Kräuter haben wir im Garten.”

Naja, bei Lidl ist sie bislang noch nicht gesehen worden und die Kräuter dürfte immer noch der Gärtner zupfen.

Überfällig: Ehrung für Deserteure

Ein Kunstwerk des Schweizer Künstlers Ruedi Baur am Kölner Appellhofplatz erinnert seit gestern, dem Anti-Kriegs-Tag und siebzig Jahre nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges, an die vielen Opfer der NS-Militärjustiz. “Es leistet einen wichtigen Beitrag zur Rehabilitierung der Deserteure, Kriegsdienstverweigerer oder so genannten Kriegsverräter, die über Jahrzehnte in der Bundesrepublik mit Unverständnis, Anfeindung und Kriminalisierung konfrontiert waren. Das Kunstwerk (…) ist eine Anerkennung ihrer Zivilcourage gegenüber einem menschenverachtenden Unrechts-Regime – und gleichzeitig ein Appell zur Wachsamkeit”, heißt es in einem Kommentar des Kölner Stadt-Anzeigers.

Schätzungen zufolge sind 30.000 Todesurteile gegen diese Personengruppe – Deserteure, “Wehrkraftzersetzer” und “Kriegsverräter”, Kriegsdienstverweigerer, Opfer der NS-Justiz – ausgesprochen und rund 20.000 vollstreckt worden. Die damaligen Richter haben nach dem Krieg zumeist eine reibungslose Karriere gemacht.

Dieses Denkmal ist das erste offizielle Deserteursdenkmal in der Bundesrepublik, insoweit öffentliche Stellen und die Verwaltung an seiner Entstehung beteiligt waren.

Gedenken an Anneliese Knoop-Graf

Am 27. August verstarb Frau Knoop-Graf im Alter von 88 Jahren. Frau Knoop-Graf war die jüngere Schwester von Willi Graf, der zur Widerstandsgruppe “Weiße Rose” gehörte und von den Nazis ermordet wurde. Zeit ihres Lebens sah sie ihre Aufgabe darin, gegen das Vergessen zu arbeiten, das Gedenken an die “Weiße Rose” und den Widerstand gegen den Nationalsozialismus wach zu halten. Vor wenigen Monaten noch zog sie hunderte von Wermelskirchener Bürgern in ihren Bann: eine agile, überzeugende, immer aktive, von ihrer Aufgabe beseelte, eine sehr eindrucksvolle Dame. Ich bin dankbar, daß ich sie bei ihrem letzten Besuch in Wermelskirchen kennenlernen durfte.

Rüttgers Welt

Ein Zufallsfund bei Youtube: Rüttgers Welt. Jetzt Rumänen und Chinesen nach den Indern und den Kindern. Der Mann ist immer wieder gut.

Ach, die erste Folge ist auch nicht schlecht.

Nachtrag, 5.09.09: Gestern Abend hat sich Rüttgers dann doch noch entschuldigt. Eher formal und pflichtschuldigst. Der öffentliche Druck war wohl zu groß.

Anstandslos

Heute Abend, im Stau auf der Autobahn, Nachrichten auf WDR5: Das Amtsgericht Essen hat das Insolvenzverfahren über den Arcandor-Konzern eröffnet, Karstadt, Quelle und viele andere Tochterunternehmen sind betroffen. Nun, die Nachricht kennt man, also nur halb hingehört. Arcandor-Chef Karl-Gerhard Eick dankt nach nur halbjähriger Leitung des Konzerns ab. Gut so, denke ich noch. Dann aber: Als Abfindung erhält Eick 15 Millionen Euro! Was? 15 Millionen Euro für nur sechs Monate Leitung eines abgewirtschafteten Unternehmens?

Die Gesellschaft Arcandor war und ist offenbar ohne jeden Anstand, die Gesellschaft Bundesrepublik Deutschland aber auch, wenn eine solche Regelung möglich ist. Womöglich werden Tausende von Mitarbeitern ihren Arbeitsplatz verlieren, der Unternehmenschef aber streicht eine mehr als fürstliche Belohnung ein. Für was eigentlich? Was muß denn noch passieren in diesem Land, damit Anstand, Gerechtigkeit, Augenmaß, soziale Verantwortung, Vorbilder wieder möglich werden? Wie soll man Kindern und Jugendlichen diese und andere Werte vermitteln, soziale und ethische, wenn die Eliten der Gesellschaft sich als überaus maßlos und gefräßig und gierig und unanständig und selbstsüchtig und unsolidarisch und ungerecht erweisen?

Da hilft es gar nichts, daß Eick nunmehr ein Drittel seiner Abfindung an die Belegschaft spenden will. Gegen Steuerabzugsbescheinigung vermutlich.

Von VOX lernen, heißt …

Vergangenen Samstag Abend, 20:15 Uhr, Primetime, also beste Fernsehzeit. In der ARD, mal wieder, Volksmusik, diesmal der Grand Prix 2009. Ansonsten Filme, Spielfilme, überwiegend bekannte, in 3SAT eine Oper, in ARTE die GEO-Reportage. Vox, der Fernsehsender mit dem roten Punkt, liefert dagegen schwere Kost: Die SPIEGEL-TV-Dokumentation “Der seltsame Sieg – Hitlers Blitzkrieg 1940″. Man mag ja zu den historischen Dokumentation der Spiegel-TV-Redaktionen stehen, wie man will: Es bleibt eine mutige Programmentscheidung. Wenn sich alle Welt in die Unterhaltung flüchtet (flüchten soll), müht sich wenigstens ein, wenn auch kleiner, Sender um die deutsche Geschichte. Für den Samstag hatte VOX jedenfalls ein Alleinstellungsmerkmal. Danke.

Schnelles Internet

Das Internet, so meint man, sei das schnellste und aktuellste aller Medien. In technischer Hinsicht mag das stimmen. Allein es kann nur so schnell und aktuell sein, wie jene, die die Internetseiten pflegen. Nehmen wir Wermelskirchen. Die SPD befindet sich noch im Wahlkampf, mit ihr CDU, WNKUWG, Bürgerforum und Grüne. Nur die FDP feiert Ihren Sieg und den von ihr unterstützten Bürgermeister. Die beiden nicht gewählten Kandidaten haben wenigstens mit einem kurzen Satz darauf reagiert, daß sie die Wahl nicht gewonnen haben.

Es wird in der Tat Zeit, daß in Wermelskirchen flächendeckend das schnelle Internet eingeführt wird.

Nachtrag (17:50 Uhr): Die Partei “Die Linke” hat jedenfalls seit gestern schon ihre Homepage aktualisiert und informiert darüber, daß sie in den kommenden fünf Jahren im Rat mitarbeiten werde.