Schlagwort: SPD

Analog-Schau

“Meine” SPD, obwohl nichts falscher ist als dieses Possessivpronomen, also die SPD in Wermelskirchen, in der ich Mitglied zu sein die Ehre habe, der hiesige Ortsverein der SPD leistet sich einen Schaukasten. An zentraler Stelle, am Lochesplatz nämlich. Welch wundersam-altmodisches Wort: Schaukasten. Schaukasten, das klingt wie das Überbleibsel einer vergangenen Zeit. Wie aus dem zweiten Teil des Kompositums hervorgeht, ein Kasten, rechteckig. Auf zwei Pfosten iIMG_0031n Kopf- oder Augenhöhe angebracht. Verschlossen mit einer Glasscheibe. Im Kasten Ansichtsmaterial der SPD, des Ortsvereins. Flugblätter, Schriften, Zettel, mehr oder weniger übersichtlich angepiekst, eher weniger als mehr informativ, eher älter als aktuell. Aus diesen physikalischen Gegebenheiten des Schaukastens leitet sich auch der erste Teil des Kompositums ab. Man kann in diesen Kasten durch die Glasscheibe hineinschauen. Deshalb: Schaukasten. Mit Schau im Sinne von Show, zeigen, sich präsentieren, sich darstellen, für die SPD werben, mit all dem hat der SPD-Schaukasten nichts am Hut. Man kann und darf und soll hineinschauen. That’s it. Im besten Sinne des Wortes eine gutes, altes  Informationsinstrument, ein analoges Tool, wie’s neudeutsch heißt. Diesem gediegen-altbackenen Überbleibsel aus vergangenen Zeiten, neben einem ebenso aus der Zeit gefallenen SchaukastFotoen der FDP zudem, in dem die hiesigen Liberalen den Wermelskirchener Wählern noch als örtliche Freiheitskämpfer zur Seite treten, diesem vormodernen Informationsmedium nähme man natürlich nicht ab, wenn sich die gebotenen Information auf der Höhe der Zeit befänden. Schaukasteninhalte, blau-gelb oder rot, einerlei, müssen ein wenig angejahrt, angegammelt sein, oldfashioned, von gestern, sozusagen “über”.  Informationen jenseits des Mindesthaltbarkeitsdatums. Also, die Freiheitskämpfer der Blau-Gelben, der Dank der Roten für die abgegebenen Stimmen, die Kandidatenliste der SPD zur Kommunalwahl. Nein, nein, durchaus Material für die Wahlen im Jahr Zweitausendvierzehn. Aber: von gestern. Oder vorgestern. Passend also für den Schaukasten. Analog. Das meint stufenlos, kontinuierlich, stetig. Langsam vielleicht auch. Hinter der Zeit womöglich. Der gute alte Schaukasten. Ausgedient? Noch lange nicht. Solange alte Informationen noch vorhanden sind, wird der Schaukasten überleben.

Ein Abend im Rathaus. Miszellen

Henning Rehse wurde nicht gesehen gestern Abend, der Tausendsassa der WNK, von dem es heißt, daß er in einem gegebenen Moment an mindestens zwei Stellen gleichzeitig auftauchen könne. Mindestens. Er muß geahnt haben, daß es kein Kommunalwahlabend nach seinem Gusto werden wird. Sein Direktmandat hat er verloren, an einen Nobody aus der CDU. Und sein Laden hat knapp ein Drittel seiner Stimmen eingebüßt. Eine Folge der unangenehmen Lautstärke, mit der die WNK und Henning Rehse die Bürger bedrängt, der unangemessenen Wortwahl, mit der Rehse und seine Adlati Freund und Feind bedacht haben, eine Folge auch des Plakatdurchfalls und des Tamtams um die Rhombusbrache, mit der die Bürger für dumm verkauft werden sollten. Und: Bürgermeisterbashing, der Volkssport im Rat und auf Parteiversammlungen, zahlt sich nicht aus.

Nur jeder zweite Dellmann hat gestern den Stadtrat gewählt. Ein Armutszeugnis. Bei der letzten Kommunalwahl Zweitausendundneun waren es immerhin noch fast sechzig Prozent. Das Meckern scheint das Einmischen abgelöst zu haben. Wer nicht wählt, meckert aber nur ins Leere. Fatal. Fatal auch für die Parteien, Sieger wie Verlierer. Sie bringen die Wähler ja nicht mehrheitlich an die Urne. Ihre Politik geht an knapp der Hälfte der Bürger vorbei. Auch die der Sieger.

Sieger. Das sind die jungen Herren um Christian Klicki in der CDU. Die haben die Stimmen zurückgeholt, die in der vergangenen Stadtratswahl wegen einer verunglückten Kandidatenauswahl verloren gegangen waren. Mehr nicht. Die CDU ist also, mehrheitstechnisch, am Ende der Amtszeit von Bürgermeister Heckmann angelangt, Zweitausendundvier, als der die CDU beinahe zugrunde gerichtet hatte. Aber: Die beiden Direktmandate für die CDU-Abspaltungen, für Rehse und Burghof, gingen wieder an die CDU. Gratulation.

Verlierer gibt es auch, bei jeder Wahl. Die FDP ist Verlierer. Diesmal. Obwohl sie  in Wermelskirchen doch weit über dem Ergebnis der Europawahl landete. Mit etwas mehr als sechs Prozent ist auch sie wieder im Jahr Zweitausendundvier angekommen. Nicht mehr, aber eben auch nicht weniger. Sie lebt also noch, die totgesagte liberale Partei. Besser als anderswo. Wermelskirchen ist liberale Hochburg. Noch immer. Noch.

Das Bürgerforum hat auch verloren. Das Direktmandat von Friedel Burghof ist weg, zurück bei der CDU. Und mehr als ein Drittel der Wähler hat der Burghofschen Partei den Rücken gekehrt. Mal ganz ehrlich: Brauchen wir eigentlich diese ganzen CDU-Ableger? Machen die denn im Ernst irgendetwas anders als die Mutterpartei? Oder geht es doch eher nur um Macht und persönliche Eitelkeiten?

Die Siege dieser Kommunalwahlen sind nicht ungebrochen und die Niederlagen auch nicht. Interessant. SPD-Aktivisten wünschten sich vor der Auszählung eine zwanzig vor dem Komma. Das kann man verstehen, haben die Wähler die Sozialdemokraten vor fünf Jahren doch derbe abgewatscht. Sechzehn (!) Prozent hatte die SPD eingefahren. Klar. Haben sie sich doch zur Unterstützung des damaligen CDU-Kandidaten für den Bürgermeisterposten verstiegen. Eines Mannes und Politikers, an dessen Namen man sich heute nur noch mit Mühe erinnern kann. Aber: Es wurden gestern keine zwanzig , sondern nur gut neunzehn Prozent. Zuwachs zwar, aber doch bescheiden. Dabei hätte die SPD durchaus Potential für mehr. Bei der Europawahl beispielsweise kam die SPD gestern hier im Städtchen auf mehr als fünfundzwanzig Prozent. Die SPD siegt und verliert zugleich.

Die Grünen sind etabliert. Da mag es intern noch so sehr gekracht haben in der vergangenen Legislaturperiode. Etwa zehn Prozent der Wähler gehen mit den Grünen durch dick und dünn. Sieger? Verlierer? So einfach ist das eben alles nicht.

Die Linke hat ihre Stimmenzahl verdoppelt. Obwohl doch kaum etwas zu hören oder lesen war von ihrem Stadtverordneten. Fünf Jahre lang. Sieger? Stummer Sieger?

Was bleibt noch? Ach ja, die frechen jungen Männer von der Alternative. Für ganz Deutschland. Die lokalen Gegenstücke zur Altmännerriege um Henkel und Starbatty im Bund und in Europa.Sie haben gewonnen. Weil sie in den Stadtrat eingezogen sind. Mit nicht einmal fünf Prozent. Und sie haben verloren, weil sich die allzu süßen Blütenträume schon zerstoben haben. Sie haben weniger erreicht als bei den Europawahlen, weniger als im Bund. So frech wie in verschiedenen Facebookgruppen sollten sie demnächst nicht mehr auftreten. Sonst könnte schneller wahr werden, was ohnehin zu ahnen ist. Rechtspopulismus ist eine vorübergehende Erscheinung. Wir haben schon schlimmere Zeitgeister überstanden, Republikaner, Nationaldemokraten, Pro Irgendwas …

Wie war das noch? Lechts und rinks solle man nicht verwechseln. Wenn man Ernst Jandl folgen will. Ordnen wir aber einfach einmal zu, der Arschbackenphilosophie. Rechts die CDU, nach guter alter Sitte. Und die WNK. Als Fleisch von Fleische. Und das Bürgerforum. Noch mehr Fleisch vom alten Fleisch. Dann haben wir schon eine absolute Mehrheit. Sechsundfünfzig Prozent. Nehmen wir spaßeshalber noch die Alternativen dazu, die Rechtspopulisten, landen wir bei über sechzig Prozent. Ein Block. Ein gewaltiger Block. Wenn Grüne, Sozialdemokraten, Liberale und Linke, spaßeshalber mal gemeinsam auf der linken Arschseite eingeordnet, diese Verhältnisse, zusammen nicht einmal mehr über vierzig Prozent zu verfügen, dermaleinst  zum Tanzen bringen wollen, die Liberalen und die Sozialdemokraten mögen mir das Marxzitat aus der Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie nachsehen,  dann werden sie ihnen ihre eigene Melodie vorspielen müssen; anders Politik machen als bislang, öffentlich, dort wo’s stinkt und laut ist, fantasievoller Menschen ansprechen, diskutieren, was draußen besprochen wird, beklagt, kritisiert, feinere Antennen entwickeln für die Nöte, auch für Visionen und Anstrengungen der Bürger. Draußen spielt die Musik, nicht in Hinterzimmern, in  Ausschüssen oder im Stadtrat.

Rot-Weiß

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Vor fünf Jahren habe ich dieses Teil bekommen, vor dem Edekamarkt. Als Kommunalwahlkampfpräsent der SPD. Ein Einkaufswagenchip. Die Älteren werden sich erinnern: Über so etwas ist seinerzeit Wirtschaftsminister Möllemann (ja, wirklich) aus seinem Amt gestolpert. Neunzehnhundertdreiundneunzig. Mein Chip ist nur fünf Jahre alt. Aber man kann die Schrift schon nicht mehr erkennen. Wozu auch? Eine Kommunalwahlperiode ist eine lange Zeit. Schlauer macht es jetzt das Bürgerforum. Deren Kommunalwahlkampfpräsent, ein Einkaufswagenchip, wie originell, hat gar keinen Schriftaufdruck mehr, nur noch die Hülle verweist auf das Bürgerforum. Sei’s drum. Ich werde sie beide in die Einkaufswagen stecken, den neutralweißen wie den nichtneutralroten.

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Plakatkunst

Das politische Plakat kann Kunst sein. Große Kunst. Das zeigt ein Blick auf die Werke von Helmut Herzfeld, Käte Kollwitz oder Klaus Staeck. In Wermelskirchen sind die politischen Plakate nicht einmal kleine Kunst, auch nicht ganz kleine Kunst. In Wermelskirchen (und natürlich anderswo) werben die politischen Parteien auf ihren Plakaten mit sprachlicher Einfalt und  gedanklicher Dürre. Eine Kostprobe: Für Sie in den Stadtrat (CDU). Oder WNK: Aktiv für Sie. Weil Wermelskirchen mir wichtig ist (BÜFO). Und FDP: Für unsere Stadt. Ähnlich: Die beste Wahl für Wermelskirchen (SPD). Auch nicht schlecht: Aktiv für Wermelskirchen (WNK). Und schließlich: Wermelskirchen kann mehr (CDU). Und das soll helfen, daß sich Bürger und Wähler ein Bild von Parteien und Kandidaten machen?

(Laizisten) – in Gründung

Ich bin einer weiteren Facebookgruppe beigetreten. Sozial-demokratische Laizistinnen und Laizisten. In der Schreibweise. Was auch immer damit ausgedrückt werden soll. In dieser Gruppe sollen sich alle Mitglieder versammeln, “die für eine klare Trennung zwischen Staat und Weltanschauungsgemeinschaften eintreten”. Weltanschauungsgemeinschaften. Unsinnlicher kann man wohl kaum formulieren. Weltanschauungsgemeinschaften. Religionen sind doch gemeint.  Menschen, die einer Religionsgemeinschaft angehören, für sie eintreten, Menschen, die an Gott glauben, einen, verschiedene, unterschiedliche. Weltanschauungsgemeinschaften, das klingt ähnlich blutleer wie Fahrtrichtungsanzeiger. Weiter heißt es in der Gruppenbeschreibung: “Diese Facebook-Gruppe fungiert auch als Informations- und Diskussionsportal für die Unterstützer des in Gründung befindlichen Arbeitskreises, der nach dem Beschluss der Gründungsversammlung am 16.10. in Berlin vorläufig den Namen ‘Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten für die Trennung von Staat und Religion (Laizisten) – in Gründung – ‘ trägt. Aus Gründen der Stringenz sowie Kürze und Klarheit des bisherigen Gruppennamens bleibt dieser (zunächst) erhalten.” Diese unsinnliche Sprache kann doch von Menschen nicht geschrieben oder gesprochen werden, die die Welt verändern wollen, eine andere Gesellschaft schaffen, ins Gespräch kommen wollen mit anderen Menschen, sie von unseren Ideen überzeugen, von Menschen, die sich austauschen, mit jenen, die gleicher Meinung sind, und jenen, die andere Auffassungen haben. In Facebook. Also extern. Draußen. In Digitalistan. Und im Analogen. Nun gut. Ich bleibe. Einstweilen. Es werden ja nicht alle Texte von solch knöcherner Art sein.

Tatortreiniger SPD

Es gibt ein formales Parteiordnungsverfahren gegen Herrn Edathy“, verkündete die neue SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi am Montag nach einer Besprechung des Parteipräsidiums. So der Tagesspiegel in Berlin. Begründet wurde das Vorhaben mit “moralisch unkorrektem Verhalten Edathys“.  Gegen Sebastian Edathy wird wegen des Verdachts auf Besitz von Kinderpornografie ermittelt. Werden jetzt auch die Mitglieder aus der SPD ausgeschlossen, wegen moralisch unkorrekten Verhaltens, die ihre Kinder grün und blau schlagen? Oder die, die den letzten Heller versaufen? Oder jene, die häufig in den Puff gehen? Dürfen die Sozialdemokraten in der SPD bleiben, die nur im Latexanzug ficken können? Und was ist mit den Genossen, die die Steuern hinterziehen? Simples Fremdgehen wird wohl nicht für einen Parteiausschluss reichen, oder? Und Bondage? Ziegen? Wahlweise auch kleine Hunde mit langen Zungen? Dildos? Müssen die SPD-Genossen sich eine neue Parteiheimat suchen, die ihre Frauen vermöbeln? Bleibt Masturbation gestattet? Zu zweit auch? Kann man in der SPD bleiben, wenn man im Suff ein Kind totgefahren hat? Was ist mit denen, die es am liebsten in öffentlichen Aufzügen treiben? Die SPD als Saubermannpartei, in der  Blockwarte und deren kümmerliche moralische Maßstäbe regieren? Unvorstellbar. Sebastian Edathy ist bislang nicht einmal eines Gesetzesvergehens angeklagt. Von einer Überführung, einer gerichtlichen Entscheidung ganz zu schweigen. Mit der Aktion MSS, Moralisch Saubere SPD, geht das Rechtsstaatsprinzip der Unschuldsvermutung baden. Politisch klug ist das ganze Verfahren ohnehin nicht, wie wir spätestens seit dem Versuch wissen, Thilo Sarrazin aus der SPD ausschließen zu wollen. Man kann unangenehmen Personen oder Strömungen in einer Partei kaum mit administrativen Maßnahmen beikommen. Und beliebt bei den “Volksmassen” macht die Anbiederung an den Moralmainstream gewiß auch nicht. Man kann den Muff der Fünfziger schon riechen …

 

Frau Andrea Tur Tur

Gestern, via Livestream der SPD, Sigmar Gabriel bei der Regionalkonferenz in Nürnberg. Ein Genosse versteigt sich zum Argument, bei der Mitgliederbefragung handele es sich um eine Scheinabstimmung. Heute vormittag, Deutschlandfunk. Ein zugeschalteter Hörer wählt die gleiche Vokabel, Scheinabstimmung, wenn postuliert werde, nach einer eventuellen Ablehnung der Koalitionsvereinbarung durch die Mitglieder der SPD müsse die gesamte Führung der Partei zurücktreten. Mit Recht. Wer die Mitglieder befragt, muß mit dem Ergebnis auch leben können, so oder so. Eine Befragung der Mitglieder ist nur demokratisch, wenn sie auch ergebnisoffen stattfindet. Wer ein bestimmtes Ergebnis mit Druck zu erreichen sucht, mit der Drohung des Rücktritts der gesamten Führung, wenn die Basis falsch abstimme, der hat wenig verstanden von Demokratie und gehört auch nicht in eine leitende Position. Andrea Nahles hat sich in einem Pressegespräch mit der Welt wohl in diesem Sinne geäußert. Generalsekretäre und Generalsekretärinnen von Parteien dürfen sich gewiß nicht durch überbordende Empfindlichkeit auszeichnen. Eine derart schmerzfreie und die Nöte von zweifelnden Genossinnen und Genossen ignorierende Haltung indes, wie sie Andrea Nahles auszeichnet, sollte in der SPD-Führung keinen Platz haben. Der Scheinriese in Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer hieß Herr Tur Tur. Der erschien dann als Riese, wenn man sehr weit von ihm entfernt war. Nur wer sich ganz nah an den Scheinriesen heranmachte, konnte erkennen, daß er genauso klein und armselig ist wie jeder normale Mensch. Weil sich das aber niemand traute, blieb Herr Tur Tur sehr einsam. Die SPD braucht keine einsame Scheinriesin in ihrer Führung, sondern eine Generalsekretärin, die nicht taub ist gegen Bedenken der Mitglieder gegen das von den Riesen in der Partei ausgehandelte Konvolut.

 

Vorwärts, Deutschlands Zukunft gestalten

Heute angekommen. Ein wenig zerrupft und zerknittert, vom Regen ramponiert, weil zu dick, um in den Briefschlitz zu passen. Die Briefträgerin hätte schon besondere Mühe walten lassen müssen, damit das dicke Bündel Papier, die Koalitionsvereinbarung im Gewand des Vorwärtssonderdrucks, unbeschadet unseren Hausflur erreicht. Und das kann man nicht von ihr erwarten. Samstags muß es besonders schnell gehen. Habe ich mich bislang auf die Version der Koalitionsvereinbarung berufen, die im Netz kursiert, muß ich mich nun mit etwas aufgeweichtem Papier herumschlagen. Anyway. Die Vereinbarung mit den Unterschriften von

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Frau Merkel und den Herren Seehofer und Gabriel wird auch als nasses Papier nicht besser. Der gemeine Sozialdemokrat, der seine Partei nicht schon wieder als unkenntlicher Juniorpartner ohne Prokura in einer von Christdemokraten dominierten Bundesregierung erleben und mithin dem Impuls folgen möchte, die Koalitionsvereinbarung abzulehnen, muß sich nun mit einem öffentlich verhandelten Argument auseinandersetzen, daß im Falle der Ablehnung durch die Mitglieder ja die komplette SPD-Führung  zurücktreten müsse. Da muß man durch, ohne sich irre machen zu lassen. Die Parteiführung hat beschlossen, die Mitglieder zu befragen. Also wird sie mit dem Ergebnis leben müssen. So oder so. Die SPD-Mitglieder müssen ja auch mit einer Koalitionsvereinbarung leben, mit deren Inhalten sie womöglich nicht wirklich einverstanden sind oder die Ihnen nicht weit genug gehen. Da muß man durch. Das Fußvolk wie die Parteioberen. Ich werde mich wahrscheinlich nicht für die große Koalition erwärmen können. Mal sehen, was die in den kommenden Tagen stattfindenden Beratungen der SPD noch so ergeben werden. Gleichwohl möchte ich der SPD-Führung meinen Respekt zollen für die Mitgliederbefragung. Die Beteiligung der Mitglieder, wenn es um substanzielle Richtungsfragen geht, stellt eine wichtige und notwendige Weiterentwicklung der innerparteilichen Demokratie dar. Mein Votum gegen die große Koalition ist kein Votum gegen führende Gremien und Personen der SPD, namentlich Sigmar Gabriel.

Gemütsmassage

Eine republikweite Gemütsmassage findet derzeit statt. Kaum ein Medium, das sich nicht beteiligt, kaum eine Zeitung, kaum ein Radiosender, kaum eine Fernsehstation, die sich nicht ums Gemüt der Sozialdemokraten mühen, jedenfalls der Sozialdemokraten, die Mitglied in der SPD sind. Auf der einen Seite wird der demokratische Charakter des Mitgliederentscheids der SPD bestritten. Schließlich hätten sich doch Millionen Wähler für eine große Koalition ausgesprochen, da könne über die Koalitionsvereinbarung, den GroKoDeal, doch nicht von nur vierhundertsiebzigtausend Mitgliedern der SPD befunden werden. Und auf der anderen Seite gibt es den unablässigen Appell an die SPD-Mitglieder, jetzt der staatspolitischen Verantwortung gerecht zu werden, was immer das auch sein mag. Die große Koalition, so ist allenthalben zu hören und zu lesen, sei die ultima Ratio der Stabilität in Deutschland und in diesem Sinne auch alternativlos. Nachdem ich gestern über den Livestream von Phönix einen Teil der Regionalkonferenz Hessen Süd der SPD zur Koalitionsvereinbarung verfolgen konnte, hege ich keinen Zweifel mehr, daß eine ansehnliche Mehrheit für die große Koalition zustande kommen wird. Das rhetorische Geschick des Vorsitzenden wird so manchen noch zweifelnden SPD-Genossen, wenn nicht überzeugen, dann doch jedenfalls zu einem halb- oder viertelherzigen Ja zur Vereinbarung mit den bayerischen Christsozialen und den gesamtdeutschen Christdemokraten bewegen. Das jedenfalls war gestern auf Phönix schon zu besichtigen. Und in diesem Sinne sind auch jene Journalisten zu verstehen, die nicht müde werden, der SPD einen großen Sieg in den Verhandlungen über die vereinten Christdemokraten zu attestieren. Die SPD habe sich in den Koalitionsvereinbarungen durchgesetzt und weit mehr erreicht, als es ihrem Stimmenanteil von etwa einem Viertel zukomme. CDU/CSU hingegen, denen ja nur fünf Bundestagsmandate zur absoluten Mehrheit fehlen, hätten ihre Handschrift in den Vereinbarungen nicht kenntlich machen können. Das Ganze wird dann noch unter den Oberbegriff der Sozialdemokratisierung gestellt. Die Große Koalition aber ist eine übergroße Koalition. Die parlamentarische Opposition wird von nur noch zwanzig Prozent der Bundestagsabgeordneten geleistet werden müssen. Und die Wahrung der Oppositionsrechte wird vom Wohlwollen der drei Koalitionsfraktionen abhängig sein. “Eine starke Demokratie braucht die Opposition im Parlament. CDU, CSU und SPD werden die Minderheitenrechte im Bundestag schützen.” Auf Seite einhundertvierundachtzig der Koalitionsvereinbarung ist das zu lesen, daß die Regierungsfraktionen auch das Geschäft der Opposition noch im Auge haben werden. Unter staatspolitischer Verantwortung verstehe ich das genaue Gegenteil einer übergroßen Koalition. Warum wurde nicht gründlicher und offen über eine Möglichkeit gesprochen, die das Wahlergebnis geradezu auf dem Tablett servierte, nämlich eine Minderheitsregierung der CDU/CSU. Wenn die SPD die Option einer knappen rot-rot-grünen Mehrheit im Bundestag nicht ernsthaft bedenken wollte oder konnte, wäre die knappe Minderheitsregierung der Christdemokraten und der Christsozialen aber staatspolitisch durchaus eine bedenkenswerte Alternative. CDU und CSU haben die Bundestagswahl gewonnen. Eindeutig. Angela Merkel hat ihren Anspruch auf eine weitere Amtszeit als Bundeskanzlerin bei den Wählern durchgesetzt. Die SPD hat die Wahlen verloren. Eindeutig. Nur einem Viertel der Wähler erschien im September die SPD samt Programm und Personal als regierungstauglich. Und die Wähler wählen keine Koalitionen. Sie wählen Parteien. Wegen ihres Programms, ihrer Politik und oder oder wegen ihres Personals. In die Regierung kann man sich zwar hineinverhandeln. Über Beratungen zur übergroßen Koalition. Dem Wählerwillen entspricht dies indes nicht. Mehr Demokratie wagen. Das kluge Motto aus der ersten Regierungserklärung eines sozialdemokratischen Bundeskanzlers ist nach vierundvierzig Jahren aktueller denn je. Mehr Demokratie wagen, das könnte heutzutage das Wagnis bedeuten, sich auf Verhältnisse einzulassen, die in anderen europäischen Demokratien durchaus üblich sind, die von den Wählern immer mal wieder herbeigewählt werden und keineswegs eine Gefahr für die demokratische Grundstruktur und Verfassung des Landes darstellen. “Eine Minderheitsregierung, in der von Fall zu Fall um soziale und ökologische Lösungen gerungen wird, könnte ein solches Wagnis sein. Die Abgeordneten wären vom Fraktionszwang in bestimmten Fällen entbunden und frei, ihren Sachverstand zu gebrauchen. Ihr Mandat bekäme einen anderen Charakter, gebunden an die Wähler, nicht an die Parteidisziplin. Vorgaben der Regierung wären nicht mehr alternativlos. Dies würde eine Abkehr von der bisherigen politischen Kultur bedeuten. Und das wäre gut so.” So Daniela Dahn in der heutigen Ausgabe des Freitag, unter dem schönen Titel: Mehr Streit wagen. Stattdessen sieht die Koalitionsvereinbarung auf Seite einhundertvierundachtzig vor, daß “im Bundestag und in allen von ihm beschickten Gremien (…) die Koalitionsfraktionen einheitlich ab(stimmen). Das gilt auch für Fragen, die nicht Gegenstand der vereinbarten Politik sind. Wechselnde Mehrheiten sind ausgeschlossen. Über das Verfahren und die Arbeit im Parlament wird Einvernehmen zwischen den Koalitionsfraktionen hergestellt. Anträge, Gesetzesinitiativen und Anfragen auf Fraktionsebene werden gemeinsam oder, im Ausnahmefall, im gegenseitigen Einvernehmen eingebracht. Die Koalitionsfraktionen werden darüber eine Vereinbarung treffen.” Mehr Demokratie wagen? Die Abstimmungsguillotine wird sicher alsbald im Berliner Reichstag zu besichtigen sein. Wolfgang Bosbach wird sich, um seinen politischen Hals zu retten,  dann entscheiden müssen, ob er weiter den von der (Regierungs-)Linie abgefallenen Helden gibt, der Ronald Pofalla immer noch die Stichworte liefert, wenn es in die nächste Runde Europarettung geht. Die Stabilität der Regierung stehe und falle mit der Mehrheit im Parlament, heißt es immer wieder. Nun ja, die gewesene schwarz-gelbe Regierung hatte eine satte parlamentarische Mehrheit. Aber der Hort politischer Stabilität war sie wohl kaum. Der Einheitlichkeitszwang, sozusagen die “formierte Gesellschaft” (Ludwig Erhard) der übergroßen Koalition, ist das schiere Gegenteil von mehr Demokratie. Nämlich Einheitszwang, imperatives Mandat unter dem fadenscheinigen Deckmantel politischer Stabilität. „[Die Abgeordneten] sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.“ So regelt das der Artikel 38 des Grundgesetzes. Der Abgeordnete ist bei seiner Entscheidung lediglich seinem Gewissen verpflichtet. Fraktionsdisziplin heißt das Zauberwort, mit dem abweichende Auffassungen, Minderheitenvoten unterdrückt werden können. Und die Autoren der Koalitionsvereinbarung schreiben fest, daß die Koalitionsdisziplin das Abgeordnetengewissen fest im (Würge-)Griff hat. Abweichende Meinungen sind nicht vorgesehenen in der übergroßen Koalition. Einer Koalition, die sich auf weit mehr als eine Zweidrittelmehrheit im Parlament stützen kann. Das gespenstisch-bequeme “Durchregieren” wird sie kennzeichnen, die  übergroße Koalition. Kein nennenswerter Widerspruch in den eigenen Reihen und zwei nur in sehr engen Grenzen oppositionsfähige Fraktionen auf der anderen Seite. Diese steinernen Verhältnisse hätte man mit einer Minderheitsregierung der vereinigten Christsozialen und -demokraten durchaus zum Tanzen bringen können, wie Daniela Dahn im Freitag ausführt: “Das Parlament würde nicht mehr zum sprichwörtlich gewordenen Vollzugsorgan des Kanzleramtes verkommen. Das Mitregieren käme nicht aus dem Koalieren, sondern aus dem Opponieren. So wäre die Regierung zu flexiblen Reaktionen gezwungen. (…) Beständigkeit in der Politik wird im Wesentlichen an der Außen-, Sicherheits- und Fiskalpolitik gemessen. Auf diesen Gebieten gab es in den vergangenen Jahren – leider mag man in vielen Fällen sagen – de facto sowieso schon eine Große Koalition. Die Sozialdemokraten haben die Euro-Rettungsschirme, die Afghanistan-Einsätze, den auch aus Deutschland kommenden Drohnentod, die diplomatischen Rücksichten gegenüber der NSA und vieles mehr mitgetragen. Das würde so weitergehen. (…) In diesem Sinne bliebe das Land durchaus stabil.” Mehr Demokratie wagen. Die übergroße Koalition ist keine Übung in mehr Demokratie. Die Mitgliederbefragung in der SPD dagegen ist eine solche Übung. Keine der an der Koalitionsvereinbarung beteiligten Parteien hatte zunächst im Sinn, gemeinsame Sache zu machen, eine Koalition zu bilden. Angetreten sind sie alle, um mit ihrem Programm und ihrem Personal Mehrheiten zu erringen. Koalitionen werden nicht gewählt. Die CDU hat fast die absolute Mehrheit erzielt, ihr geborener Koalitionspartner FDP dagegen wurde vom Wähler aus dem Parlament geworfen. Parteien werden gewählt (oder nicht gewählt) und Koalitionen werden nach der Wahl von Parteien gebildet, ohne daß der Wähler noch einmal bestätigend oder korrigierend eingreifen könnte. Und: Koalitionen werden normalerweise von den Parteispitzen abgesegnet. Den Vorständen. Mitunter auch von Parteitagen oder anderen Zirkeln. Beteiligt sind mithin zwischen wenigen Dutzend Parteioberen und wenigen Hundert Delegierten. Und nun soll eine Befragung von allen Mitgliedern einer Partei, vierhundertsiebzigtausend an der Zahl, demokratische Regeln und Standards verletzen? Geht’s noch? Die scheuklapprig-schludrig geführte öffentliche Debatte ist kein Meisterstück politischer Argumentationskunst. Allzu durchsichtig die partikularen Interessen.