Geistig-politische Wende. Sie erinnern sich? Vor knapp einem Jahr wurde sie, die geistig-politische Wende, ausgerufen. Vom FDP-Vorsitzenden Guido Westerwelle. Das Ergebnis der geistig-politischen Wende? Die neuesten Umfragen bescheren der FDP kurz vor Weihnachten nur noch drei (!) Prozent Zustimmung. Binnen nur eines Jahres hat die ehemals liberale Partei etwa achtzig Prozent ihrer einstigen Wähler verloren. Der Kurs der FDP und ihres Kapitäns hat sich als desaströs erwiesen, als verheerend. Die FDP bangt um den Einzug in die Landtage im kommenden Jahr und um die Wiederwahl in den Bundestag. Die Folge: Es vergeht kein Tag mehr, an dem nicht Rücktrittsforderungen aus der FDP an Guido Westerwelle gerichtet werden. Als ob die FDP nur ein Personalproblem in der Person ihres Vorsitzenden habe. Mit der Abwahl des Vorsitzenden ist das Problem programmatischer Verengung auf nur ein Thema, die Steuersenkung, keineswegs gelöst. Egoistisch, rücksichtslos und inkompetent, das sind nicht nur öffentlich geäußerte Beschreibungen des FDP-Vorsitzenden, mit diesen Adjektiven läßt sich der Kurs der ganzen Partei beschreiben. Und: Diese Adjektive stehen auch für das Gesellschaftsbild der FDP. Ob mit oder ohne Westerwelle: Ohne tiefgreifende Änderungen im Kurs der Partei, ihrer Programmatik, wird das nichts mehr mit der FDP. Das Land und seine Bürger brauchen eine liberale Partei. Aber keineswegs die derzeitige FDP.
Schlagwort: Guido Westerwelle
Tranchieren
Als Tranchieren bezeichnet man das kunstgerechte Zerlegen von Geflügel, Fleisch oder Fisch. Das Tranchieren gehört seit jeher zum Bereich der Kultur, der Eßkultur. Fachgerechtes Tranchieren setzt gehöriges Wissen um die Anatomie des zu Zerlegenden voraus sowie den gekonnten Umgang mit dem Tranchierwerkzeug. Derzeit tranchiert sich die FDP selbst. Wolfgang Kubicki, blau-gelber Landeshäuptling in Schleswig-Holstein, operiert öffentlich die personellen Defizite der FDP hervor, die mangelhafte Kommunikation und die Ziellosigkeit der Partei, den Seriositätsverlust durch den Empörungspolitiker Westerwelle, die Bedeutungslosigkeit der Fraktionsvorsitzenden im Bundestag, Birgit Homburger. Die Partei hingegen tranchiert munter mit. Birgit Homburger bezeichnet den Kritiker als “Nörgler und Selbstdarsteller”. Generalsekretär Lindner mault, “mit ätzender Kritik” könne man keine Probleme der FDP lösen, andere FDP-Granden konstatieren gereizt eine gewisse “Ungeduld an der Parteibasis”. Die “Maulwurfaffaire” um den Büroleiter von Westerwelle trägt zudem nicht eben zur Beruhigung der Partei bei. Wir alle werden Zeugen eines kunstgerechten Zerlegungsvorgangs, einer Parteitranchierung.
“Schräge Wahl”
Aufregung im Netz, Aufregung im Fernsehen, Aufregung in der Presse: Wikileaks hat zweihunderteinundfünfzigtausend Dokumente des amerikanischen Außenmisteriums veröffentlicht. Eintausendsiebenhundertneunzehn dieser Dokumente enthalten, wie Spiegel Online berichtet, Einschätzungen amerikanischer Mitarbeiter und Informanten über deutsche Politiker. Eine “schräge Wahl” sei die Ernennung von Dirk Niebel zum Entwicklungsminister gewesen. Ja und? War sie das nicht auch? Eine “schräge Wahl”? Der ehemalige FDP-General wird Chef einer Behörde, die die FDP noch vor der Wahl abschaffen wollte. Wenn das keine “schräge Wahl” ist, gibt es keine. In diesen Berichten wird Außenminister Guido Westerwelle als “aggressiv, inkompetent und eitel” bezeichnet. Ja und? Ist er das etwa nicht, unser Außenminister und FDP-Chef? Man wird ja noch an die Exzesse der spätrömischen Dekadenz erinnern dürfen, an die Freiheitsstatue, die der FDP-Lautsprecher eigenen Worten zufolge ist, an das Motto: Mehr Brutto vom Netto, mit dem er die Wählerstimmen geködert hatte, an das eitle Versprochen- Gehalten-Gerede nach Unterzeichnung des Koalitionsvertrages. Geheimdokumente? Das hat man alles seit langem in bundesdeutschen Zeitungen, im Internet, sonstwo schon lesen dürfen, mitunter sogar erheblich weniger freundlich formuliert. Geheim ist an solchen Bewertungen gar nichts. Neu ist bestenfalls, daß die amerikanische Regierung mit diesen Einschätzungen ebenfalls arbeitet. Gottlob mag man da nur sagen.
Qualmen für Industrieschlote
Das sogenannte “Sparpaket” der Bundesregierung pries vor Monaten FDP-Chef Westerwelle als “sozial ausgewogen”. Die Belastungen, so sagte er, verteilten sich im nächsten Jahr so: Fünf Milliarden Euro von der Wirtschaft, fünf Milliarden von Arbeitslosen, Geringverdienern und Familien und weitere drei Milliarden vom Staat und seinen Mitarbeitern. Nun ist die schwarz-gelbe Katze aus dem Sack: Völlig ungewiß ist, ob die Banken werden einzahlen müssen, die Brennelementesteuer ist denkbar unkonkret. Und nun wird auch noch die einzige wirklich große Belastung für die Wirtschaft weitgehend gekappt. Energieintensive Betriebe sollen kaum mehr Ökosteuer zahlen als bisher. Bislang wurden, um Wettbewerbsnachteile auszugleichen, energieintensive Produktionsbetriebe fast vollständig von der Ökosteuer befreit – bis zu 95% der anfallenden Steuern konnten sich diese Betriebe vom Staat erstatten lassen. Eigentlich sollte dieser Satz zunächst auf 85% und später auf 65% reduziert werden. Stattdessen werden nun wieder einmal die Raucher geschröpft. Die Tabaksteuer wird erhöht. Die Industrielobby siegt – erneut – auf der ganzen Linie. Raucher als Quersubventionierer. Schon jetzt aber gehört die Tabaksteuer mit 13,2 Milliarden Euro zu den wichtigsten Einnahmequellen des Staates, noch vor dem Solidaritätszuschlag. Ach ja, wie war das noch anno 2003, als die rot-grüne Bundesregierung die Tabaksteuer erhöhte, um das Gesundheitswesen mitzufinanzieren? Rauchen für die Gesundheit sei “kein Reformkonzept, sondern der absurde Endpunkt einer unfähigen Bundesregierung”. Guido Westerwelle. Damals Oppositionspolitiker. Und damals hatte er Recht. Aber. Auch Rauchen für Industrieentlastung von der Ökosteuer ist kein Reformkonzept, sondern der absurde Endpunkt einer unfähigen Bundesregierung. Und eine der frechsten Umverteilungsaktionen von unten nach oben. Schwarz-gelbe Klientelpolitik. Qualmen für die Schlote der Industrieunternehmen. Mehr Netto vom Brutto. Muhaha. Wie schrieb Bernd Roling, Wirtschaftsredakteur des SWR heute auf der Seite der ARD: “Aber ich glaube, die meisten Wähler durchschauen diese Taktik! Sie haben sehr wohl mitbekommen, dass alle Grausamkeiten des Sparpakets zulasten der Niedrigverdiener und Arbeitslosen in der Koalition ohne große Debatten abgenickt wurden. Und nun wird die soziale Schräglage sogar noch verstärkt: für die Industrie-Rabatte bei der Ökosteuer sollen die Raucher aufkommen! Dass die Koalition zum Ausgleich über Steuervereinfachungen nachdenkt, die die Bürger um 500 Millionen Euro entlasten sollen, empfinde ich persönlich als Hohn.”
Richtig fürs Land
“Es habe in den vergangenen zehn Jahren viel zu viele Politiker gegeben, die zuerst darauf geachtet hätten, was sie beliebt mache und nicht darauf, was ist richtig fürs Land.” Mit diesen Worten zitiert Spiegel Online heute ausgerechnet den FDP-Vorsitzenden Guido Westerwelle. Das kann ja eigentlich nur heißen, er, Westerwelle, mache, was richtig ist fürs Land. Infam. Nach der Mövenpick-Hotel-Steuerermäßigung, nach diversen nepotistischen (Nepotismus ist Vetterleswirtschaft) Auslandsreisebegleitungsskandälchen, nach seiner Logorrhoe-Attacke (Sprechdurchfall) mit der spätrömischen Dekadenz: Was gut ist fürs Land hat Guido Westerwelle noch längst nicht begriffen. Dieser Mann posiert, immer noch und nur. Pose ohne jede Substanz, das ist gewiß nicht richtig fürs Land.
Schliengensief
“Allerdings habe ich keine Skrupel zu sagen: Das Wichtigste ist, dass man einfach diese FDP wegjagt. Ich mag diese Partei nicht, weil dort viele Leute genau die neoliberale Marktwirtschaft propagiert haben, die den Dreck angerichtet hat, in dem wir jetzt stecken. Und dass diese Leute jetzt zusammen mit der CDU das Sagen haben sollen – das gönne ich ihnen einfach nicht. Ich will nicht sehen, wie Guido Westerwelle als Außenminister in Israel herumläuft. Der hat schon so viel Scheiße gebaut – diese Aktion 18, das ging einfach gar nicht. Es sollen doch bitte nicht die Leute darauf reinfallen, die jetzt glauben, wenn sie die FDP wählen, zahlen sie fünf Prozent weniger Steuern.”
(Christoph Schlingensief, geboren am 24. Oktober 1960 in Oberhausen, gestorben am 21. August 2010 in Berlin, in einem Interview mit der Welt am 11. September 2009)
Mene mene tekel
Im Buch Daniel des Alten Testaments wird die Geschichte beschrieben, wie nach dem Tode des babylonischen Königs Nebukadnezar sein Sohn Belsazar eine Feier, ein Besäufnis veranstaltet, während derer eine Hand ohne Arm und restlichen Körper eine Schrift an die Wand des Palastes schreibt: Mene mene Tekel u-parsin. Diese Worte bedeuten: Gezählt hat Gott die Tage deiner Herrschaft und macht ihr ein Ende. Gewogen wurdest du auf der Waage und zu leicht befunden. Wir haben aus dieser Geschichte das Wörtchen Menetekel übernommen. Die ersten beiden Wahlgänge in der Bundesversammlung waren fraglos ein Menetekel. Für Angela Merkel und für Guido Westerwelle. Die Tage ihrer Herrschaft sind gezählt und sie wurden gewogen und für zu leicht befunden. Mehr nicht und nicht weniger. Gleich, was im dritten Wahlgang geschieht.
Eingemauert und angekettet
Sie hat sich eingemauert, die ehemals liberale Partei in Deutschland. Auf ihrem Wahlparteitag in Köln hat sich die FDP fest gebunden, an die CDU. Nein, gekettet. Sie will nur mit der CDU koalieren. Jede andere Option soll ausgeschlossen bleiben. Liberal kann das nicht sein, sich lediglichg als rechter Wurmfortsatz der CDU zu begreifen. Die Ex-Liberalen sind zu Betonköpfen verkommen. Schade drum. 1966 haben Willi Weyer und Heinz Kühn in Nordrhein-Westfalen die erste sozialliberale Koalition in der Bundesrepublik vereinbart. 1969 waren es Walter Scheel und Karl-Hermann Flach, die die Koalition im Bund mit der Partei Willy Brandts schmiedeten. Später haben die Liberalen die sozialliberale Koalition unter Genscher verlassen und sind ein Bündnis mit der CDU Helmut Kohls eingegangen. Die FDP hatte jedesmal die Kraft, einen derartigen Richtungswechsel durchzusetzen und auch zu überleben. Diese Kraft hat sie unter Westerwelle und Pinkwart nicht mehr. Dieser Kurs der FDP wird die Partei schwächen. Nun gut, das müssen die FDP-Mitglieder unter sich ausmachen. Aber: Diese törichte und ohnmächtige Bindung an die Konservativen, dieser Verlust der Liberalität schwächt auch das politische System unseres Landes. In einem fünf-Parteien-System sind Liebesheiraten die am wenigsten wahrscheinlichen Wahlergebnisse. Alle Parteien sind gefordert. Demokratische Parteien sollten miteinander koalitionsfähig sein. Was spräche eigentlich in Nordrhein-Westfalen gegen ein Mitte-Links-Bündnis? Wäre eine solche Zusammenarbeit der Parteien nicht auch eine gute Möglichkeit, dem Land aus der schweren Krise zu helfen? Jetzt steht der ex-liberale Parteiegoismus gegen eine solche politische Variante. Ich kann nur hoffen, daß die Wähler der FDP am kommenden Sonntag die gelbe Karte zeigen werden. Für Klientelpolitik, für wohlfeilen Populismus ihres Vorsitzenden, für uneinsichtiges Beharren auf Steuersenkungen in den Zeiten einer schweren Finanzkrise, für die Entsolidarisierung der Gesellschaft, für den Versuch, Wähler mit rechten Parolen, mit Burkaverbot und sonstigem Unsinn zu ködern. Für all das sollten die Wähler die FDP abstrafen. Und ein Signal setzen. Für eine Erneuerung der FDP, für die Rückgewinnung von Liberalität.