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Empathie, die Zweite

“Nun sollte man nicht glauben, dass staatliche Auffanggesellschaften à la Schlecker zwangsläufig zum Pflichtprogramm des Modells „Soziale Marktwirtschaft“ gehören müssen. Zumal heute, wo die Bundesagentur für Arbeit längst keine verbeamtete Verwahranstalt, sondern flexibler Dienstleister für die Suche nach neuer Arbeit ist. Doch Politik ist eben mehr als sture Ökonomie. Sie muss mit Empathie auf gesellschaftliche Entwicklungen eingehen können, will sie Vertrauen in ihre Legitimität schaffen. Und das Kommando Schlecker, auch das steht fest, markiert in dieser Beziehung einen Tiefpunkt – für die unionsgeführten Landesregierungen, die den schwarzen Peter bei ihren liberalen Koalitionspartnern abladen; für die Kanzlerin, die aus Angst um dessen Überleben ihren Stellvertreter nicht in die Schranken weisen will; auf jeden Fall aber für Philipp Rösler, dessen „mitfühlender Liberalismus“ und dessen Mahnung an seine Partei, mehr „soziale Sensibilität“ zu zeigen, mit einem Schlag an ihr Ende gekommen ist. Mit Ordnungspolitik oder gar Gerechtigkeit gegen kleine Handwerksbetriebe, denen niemand hilft, hat der Fall Schlecker überhaupt nichts zu tun. Alles, worum es dabei geht, sind fünf Prozent für die FDP.” Antje Sirleschtov in einem Meinungsbeitrag des Berliner Tagesspiegel.

Mitfühlender Raubtierkapitalismus

Irgendeine Tageszeitung, ich habe leider vergessen, mir zu notieren, welche es war, glänzte heute mit der Überschrift: Mitfühlender Raubtierkapitalismus. Treffender sind FDP-Politik und Schlecker-Ausbeutung kaum zu beschreiben in diesen Zeiten. Schlecker und die FDP sind an der gleichen Brühe krank. Am Raubtierkapitalismus. Zuerst litten die Verkäuferinnen von Schlecker an miserabler Bezahlung und miesen Arbeitsbedingungen.  “Schlecker ist auch im Niedergang das, was es bereits in den Jahren des Gedeihens der Firma war: ein Symbol.” So die Süddeutsche Online heute. Ein Symbol für Raubtierkapitalismus. In den Zeiten aber, als von Scheitern noch nicht die Rede war, als Anton Schlecker auf dem Rücken der Verkäuferinnen zum Multimilliardär wurde, war von der FDP kaum zu hören oder zu lesen, daß im Sinne des mitfühlenden Liberalismus die Arbeitsbedingungen der Schleckerangestellten verbessert werden müßten oder Schlecker die Seinen zu schlecht bezahle. Schlecker hat, so die Süddeutsche, sein Imperium als “eingetragener Kaufmann” geführt. “So brauchen sie keine Gewinn- und Verlustrechnung offenzulegen, keinen Aufsichtsrat einzurichten, keinen Insolvenzantrag zu stellen. (…) Wer nur eine Würstchenbude führt, trägt Verantwortung allein für sich. Nichts dagegen einzuwenden, wenn der als eingetragener Kaufmann am Rost steht. Wer aber eine Kette aufbaut, bürdet sich auch Verantwortung auf; dessen Gebaren ist keine kleine Kaufmannssache mehr. Begreift er das nicht, muss der Staat ihn per Handelsgesetzbuch dazu zwingen. Das wäre eine Lehre, die gerade solche Politiker aus dem Fall ziehen könnten, die Wirtschaftspolitik vor allem als Ordnungspolitik interpretieren. Politiker der FDP zum Beispiel.” Ordnungspolitik? FDP? Von wegen. Funkstille bei der FDP, als andere schon gegen die Zustände bei Schlecker protestierten. Alles, was sich am Markt durchsetzt, ist gut. Das ist der ordnungspolitische Kernsatz der FDP. Und wenn ein Unternehmen im Markt scheitert, gleich aus welchen Gründen, haben seine Angestellten eben Pech gehabt. Soziale Marktwirtschaft? Nein. Radikaler Markt. Ohne jedwede Ordnung, ohne jedwede Regulierung. Die Freiheit des Dschungels, das ist freidemokratische Ordnung. Noch einmal die Süddeutsche: “Schlecker-Mitarbeiter zweifeln nicht nur an Marktwirtschaft und Kapitalismus, sondern verzweifeln auch an Politikern – zum Beispiel aus der FDP. Sie betreiben Politik nach dem Motto: Wer ist der Kälteste im Land?” Spiegel Online zitiert Matthias Jung, den Chef der Forschungsgruppe Wahlen, zu den Überlegungen, die FDP könne mit dieser Eiseskälte bei marktorientierten Wählern punkten: Man solle das nicht überbewerten, sagt er mit Blick auf mögliche FDP-Gewinne beim Wähler durch das Schlecker-Manöver: “Die Wahrnehmung der FDP ist langfristig in den Keller gegangen, sie wird deshalb nicht kurzfristig wieder steigen.” Emnid-Chef Schöppner sehe in Sachen Schlecker ein anderes Problem für die Liberalen. “Die FDP darf nicht zu kalt wirken.” Denn Kaltherzigkeit komme beim Wähler nicht gut an und werde von der politischen Konkurrenz gerne aufgegriffen. Genau wie jetzt. Ausgerechnet Parteichef Rösler habe dafür die beste Vorlage geliefert – mit seiner Aufforderung an die Schlecker-Frauen, “schnellstmöglich eine Anschlussverwendung selber zu finden. Herzloser kann man es kaum ausdrücken. Dem Vernehmen nach ist Rösler am Tag darauf selbst nicht mehr glücklich mit seinen Worten – aus der Welt kriegt er sie so leicht aber nicht mehr.” Wie verlogen die blau-gelbe “ordnungspolitische Prinzipienreiterei” wirklich ist, wird erkennbar daran, daß laut Süddeutscher, “derselbe bayerische FDP-Minister, an dem am Donnerstag um 15 Uhr die Schlecker-Transfergesellschaft scheiterte, (..) es eine halbe Stunde vorher für gut (hielt), bei der bayerischen Bäckerei Müller-Brot Hilfe zuzusichern.”

Ordnungspolitik

Wie ist das jetzt noch genau? Die ordnungspolitischen Vorstellungen der Liberalen haben die FDP in drei Landesregierungen daran gehindert, einer Transfergesellschaft für elftausend Mitarbeiterinnen von Schlecker eine Bürgschaft auszustellen, deren Höhe irgendwie um die siebzig Millionen Euro beträgt. Und jetzt werden diese Mitarbeiterinnen gekündigt, während sie andernfalls in ein – geringer bezahltes –  Anstellungsverhältnis bei dieser Transfergesellschaft gewechselt wären. Der Insolvenzverwalter hat nunmehr aber größere Schwierigkeiten, Schlecker zu verwerten, weil als Folge Abfindungsansprüche der Mitarbeiterinnen erwachsen. Und das Ganze nennt sich Marktwirtschaft? Wirklich? Handelt es sich um die gleiche Marktwirtschaft, die mit Zustimmung der FDP (!)  “systemrelevante” Banken rettet, und zwar mit Milliardenbeträgen (!), die die Steuerzahler aufbringen? Handelt es sich um die gleiche Marktwirtschaft, in der staatliche Subventionen, also Steuergelder, für Unternehmen mit Zustimmung der FDP (!) täglicher Usus sind? Handelt es sich um die gleiche Marktwirtschaft, in der Abwrackprämien mit Zustimmung der FDP der Automobilindustrie aus der Krise helfen sollten? Ordnungspolitische Argumente entdeckt die FDP vor allem als Rezept gegen ihre eigene Krise. Das Geld der Steuerzahler ist den Liberalen heilig, darf also nicht ausgegeben werden, wenn soziale Stützungsmaßnahmen finanziert werden sollen, die Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen zugute kommen. Weniger heilig ist das Steuerzahlergeld, wenn es gilt, die Klientel der FDP zu bedienen.  Ordnungspolitik. Daß ich nicht lache. Hier geht es um eine in völlige Unordnung geratene Partei, die ehemals liberale FDP, die sich mittels ordnungspolitisch klingender Sprüche im Gespräch zu halten versucht, die krampfhaft das Profil eiserner Marktwirtschaftsverfechter für sich reklamiert, derweil sie landauf, landab vom Wähler abgestraft und ins Ghetto der Familienpartei oder der Partei der Bibeltreuen Christen verwiesen wird. Eine Partei, die sich nicht lumpen läßt, wenn es sich um Unternehmen handelt, zum Lunpen aber wird, wenn es um die Arbeiter und Angestellten der Unternehmen geht, hat jeden ordnungspolitischen Kompaß verloren. Sie ist eine Partei der ordnungspolitischen Blamage geworden.

Mitfühlendes Antlitz

Der Sozialismus mit menschlichem Antlitz. Antlitz. Welch schönes Wort. Angesicht, Gesicht. Weniger schön ist hingegen die Wortverbindung Sozialismus und menschliches Antlitz. Besagt sie doch, daß es den Sozialismus auch gab oder gibt ohne jenes menschliche Angesicht. Ähnlich verhält es sich mit der Wortverbindung von Liberalismus und mitfühlend. Der mitfühlende Liberalismus ist die Erfindung der FDP-Boygroup, also der Lindners und der Röslers. Bedeutet mitfühlender Liberalismus nicht, daß der Liberalismus, wie er zuvor verstanden wurde, zumindest in der Westerwelleära, eben nicht mitfühlend war. Wie das menschliche Antlitz den Sozialismus maskiert hat, so ist das “mitfühlend” die Maskerade des Liberalismus. Sie gibt eine Eigenschaft vor, die dem derzeitigen Liberalismus eben nicht eigen ist. Die des Mitfühlens, der Empathie. Der Liberalismus soll als sympathischer Liberalismus das Bild der  sozialen Kälte neoliberaler Politik übertünchen. Liberalismus in seiner aktuellen Ausprägung ist eine politische Ideologie, die ihren zentralen Begriff aus dem Gegensatzpaar Staat und Individuum destilliert. Mehr Rechte fürs Individuum, weniger für den Staat. Nicht einmal das Recht für den Staat, sozial bedrängten, in Not geratenen Menschen Hilfe zu leisten. Der Markt soll es richten, selbst die Linderung der Not Einzelner. Mitfühlender Liberalismus. Klingt zunächst gut. Wie menschliches Antlitz. Ist aber ein schierer Täuschungsversuch. In der konkreten Politik bleibt es beim radikalen Marktgedanken, bei der Fesselung des Staates. Zudem: Mitfühlen ist Mitleid, im besten Fall. Ist aber keine Handlungsstrategie, kein politisches Konzept. Mitfühlender Liberalismus ist wohlfeil. Wohlfeil ist ein ebenso schönes altes Wort wie Antlitz. Es bedeutet billig, zu einem günstigen Preis. Im übertragenen Sinne meint wohlfeil aber auch geistlos, ohne intellektuelles Niveau.

11.000 Wählerstimmen

Weiß jemand, wieviele von den elftausend Schlecker-Mitarbeiterinnen in NRW wohnen und hier im Mai wählen dürfen? Auf diese Stimmen werden Christian Lindner und seine FDP wohl nicht mehr rechnen dürfen. Und auf die von Familienmitgliedern wohl auch nicht. In dem Sinne: Sind wir nicht alle irgendwie Schlecker-Mitarbeiter?

Hütet Euch!

Die Länder sind sich im wesentlichen einig, die politischen Kräfte auch. Nur die FDP schert aus. In Sachsen, Niedersachsen und Bayern. Keine Transfergesellschaft für die elftausend Schleckermitarbeiterinnen. Die FDP wird diese wohl demnächst zu IT-Fachkräften oder Betriebswirtschaftlerinnen umschulen lassen. Sie ist ja eine solch soziale Partei, die Einskommazweiprozentliberalen. Für Banken, Bänker, Manager lassen sich die Blau-Gelben nicht lange bitten. Nicht, daß Herrn Lindner der Wind am Ende doch stark ins Gesicht bläst, statt in den Rücken. Die Wähler in NRW haben ein gutes Gedächtnis.

Pereant ist Lateinisch und bedeutet: Hütet Euch. Robert Prutz, ein deutscher Schriftsteller und Universitätsprofessor  hat bereits 1845 gewarnt.

Pereant die Liberalen, / Jene blassen, jene fahlen, / Die in Zeitung und Journalen / Philosophisch sich ergehn: / Aber bei des Bettlers Schmerzen / Weisheitsvoll, mit kaltem Herzen / Ungerührt vorübergehn.

Wahlsieger

So, so, die CDU hat also die Wahl an der Saar gewonnen. Dann müssen wir eben mal genauer hinsehen. Gestern hat die CDU im Vergleich mit der Wahl im Jahr 2009 fast fünfzehntausend Stimmen weniger erhalten. Das ist ein Verlust von mehr als acht Prozent. Die SPD hat gestern dagegen ihren Stimmenanteil um mehr als zwölf Prozent vergrößert. Und die FDP hat etwa neunzig Prozent ihrer Wähler verloren. Jetzt muß man nicht einmal mehr Adam Riese sein, um zu erkennen, daß die CDU der Wahlsieger der saarländischen Landtagswahlen nicht sein kann. Zweitgrößter Verlierer sind die Linken, die mehr als dreißig Prozent ihrer Wählerstimmen einbüßten. Der eigentliche Wahlverlierer sind wir alle, ist doch die Wahlbeteiligung erneut zurückgegangen. Der Stimmenanzahl derer, die sich nicht an der Wahl beteiligt haben, ist größer als die Stimmenzahl von SPD und CDU zusammen. Von wegen bürgerliche Mehrheit, von wegen Mehrheit. Alles ist relativ.

Steilvorlage und diverse Nachträge

ARD und ZDF rechnen noch hoch. Nur, was die FDP angeht, wird in beiden System niedrig gerechnet.  Momentan sind es 1,3 Prozent oder 1,4 für die Liberalen. Ein Zwölftel dessen, was die Linke erreicht hat. Oder: ein Sechstel des Piratenergebnisses! Wie tönte seinerzeit der Noch-Vorsitzende der FDP, Bundeswirtschaftsminister Phillip Rösler vollmundig? “Das Saarlandergebnis wird eine Steilvorlage für die FDP in Schleswig-Holstein.” Das kann er also auch nicht. Wolfgang Kubicki wird sich bedanken für eine solche Art Steilvorlage. Und Christian Lindner auch. Es ist an der Zeit, die Positionen der FDP auf den Prüfstand zu stellen. Und neue zu entwickeln. Höchste Zeit. Um den Preis des Untergangs. Und weniger dröhnig daherzukommen, auch, wenn Wahlkampfzeiten sind. Ein bißchen Demut täte schon ganz gut. Denn das Ergebnis ist kein Wählerirrtum. Denen kann man es nicht in die Schuhe schieben. Es liegt einzig an der FDP und ihrer Verfassung. Mehr nicht und nicht weniger. Nachtrag eins: Und was sagt der Generalsekretär der FDP in Berlin? “Das Ergebnis ist eine Ermutigung.” Dreister geht’s wirklich nicht. Politikersprech. Logorrhoe. Sprechdurchfall. Unaushaltbar. Nachtrag zwei: Wer kennt die Familienpartei? Jedenfalls liegt die FDP mit ihrem Ergebnis noch hinter der Familienpartei. Nachtrag drei: Dreiundachtzig Prozent aller befragten Wähler hielten, halten die FDP für unglaubwürdig. Das sagt eigentlich alles. Nachtrag vier: “Tyrannei der Masse.” Locker spricht der Generalsekretär der FDP, Patrick Döring: genau, das ist der, der einst eine “nationale Streusalzreserve” forderte, ein Wort aus, dessen Bedeutung er nicht zu überschauen scheint. Der Masse, also der Mehrheit Tyrannei zu bescheinigen, an einem demokratischen Wahlabend, an dem die Masse die FDP pulverisiert hat, wie die Welt schreibt, ist schon ein arges Bubenstück. Nachtrag fünf: Sechs Landtage hat die FDP mit dem heutigen Wahlergebnis in nur einem halben Jahr verlassen müssen. Tyrannei der Masse.