“Das Rechtsgutachten zur PCB-Belastung der Realschule zwingt zu sofortigem Handeln. Schon vor 16 Jahren hätte die Schule komplett saniert werden müssen.” Dieser schlanke Satz ist in der heutigen Ausgabe der Bergischen Morgenpost zu lesen. PCB steht für Polychlorierte Biphenyle. Und das sind “giftige und krebsauslösende organische Chlorverbindungen. (…) PCB zählen inzwischen zu den zwölf als ‘dreckiges Dutzend’ bekannten organischen Giftstoffen, welche durch die Stockholmer Konvention vom 22. Mai 2001 weltweit verboten wurden”, wie uns Wikipedia zu berichten weiß. Also nochmal: Offenbar ist die Realschule in Wermelskirchen derart mit hochgiftigen Chlorverbindungen verseucht, daß seit sechzehn Jahren die Verwaltung der Stadt und die politische Mehrheit im Rat zwingend und unmittelbar hätte tätig werden müssen. Sechzehn Jahre lang sind Schüler, Lehrer, Theaterbesucher, Schauspieler, Sportler und Besucher der Schule einer enormen Gesundheitsgefährdung, einer realen Vergiftungsgefahr ausgesetzt worden. Und: Sechzehn Jahre lang sind die Bürger dieser Stadt an der Nase herumgeführt worden. Zeitsprung ins Jahr 1996. Der Bürgermeister heißt Heinrich Niehaves. Gestellt wird er von der stärksten Partei im Rat, der CDU. Und die Abspaltungen von der CDU gibt es auch schon, nämlich die UWG und die WNK. Friedel Burghoff und seine Mitstreiter des heutigen Bürgerforums sind noch eifrige und eilfertige CDU-Gesellen. Damit haben wir sie beieinander. Jene, die vor sechzehn Jahren hätten tätig werden müssen. Eine CDU-geführte Verwaltung, eine CDU-geführte politische Mehrheit im Rat der Stadt. Sechzehn Jahre Nichtstun, sechzehn Jahre Gefährdung, sechzehn Jahre Ausreden, sechzehn Jahre Ignoranz, sechzehn Jahre Beschwichtigung, sechzehn verlorene Jahre. Und jetzt, ganz plötzlich nach sechzehn Jahren, wird die CDU wieder aktiv in Sachen Realschule. Die CDU fordert, Arm in Arm mit WNK UWG, den Abriß der Realschule samt Sporthalle und den sofortigen Neubau einer Sekundarschule. Volker Schmitz und Henning Rehse, der CDU-Fraktionsvorsitzende und der einst verlorene Sohn der CDU, heute Sprachrohr der WNK, schmiegen sich öffentlichkeitswirksam aneinander und üben den Gleichschritt. Nur: Wie das Ganze angesichts des ohnehin prekären Stadthaushaltes finanziert werden soll, verraten die Brüder im Geiste der Öffentlichkeit nicht. Dabei wäre es doch gewiß ein Leichtes gewesen, sich einmal beim Stadtverbandsvorsitzenden der CDU zu informieren, bei Dr. Andre Benedict Prusa, der in der Verwaltung der Stadt die Stelle des fürs Bauen zuständigen Dezernenten bekleidet. Bei ihm, dem noch amtierenden CDU-Chef in der Stadt hätten die beiden schmusenden Partei- bzw. Fraktionschefs, Schmitz und Rehse, sicher in Erfahrung bringen können, daß ein solcher Abriß und Neubau nicht für weniger als dreißig Millionen Euro zu haben sein wird. Haben die beiden Chefturtler von CDU und WNK das Finanzdesaster um den Bau der Pestalozzischule nur verdrängt oder schon vergessen? Vergessen und Verdrängen scheinen Kernkompetenzen für Kommunalpolitiker zu sein. Wenn richtig ist, was die SPD in einer Stellungnahme formuliert, daß nämlich der Ausbau bestehender Schulgebäude für die Hälfte, nämlich etwa fünfzehn Millionen Euro zu haben wäre, dann kann man den Vorstoß der konservativen Anführer nur als Augenwischerei bezeichnen. Sparen, Haushaltsdisziplin, Haushaltssicherung, die Tugenden der schwäbische Hausfrau, das alles zählt auf einmal nicht mehr. Wer sich öffentlich zu Wort meldet und Abriß und Neubau fordert, ohne der Öffentlichkeit auch nur eine Zahl zu präsentieren, ist politisch nicht mehr ernst zu nehmen. Die Stadt muß an allen Ecken und Enden sparen und CDU und WNK geben mal so eben locker dreißig Millionen Euro aus. Nicht ihre, unsere. Das verstehe, wer will.
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Bagatellvergehen?
Wie war das noch mit der Berliner Supermarktkassiererin, der nach einunddreißigjähriger Betriebszugehörigkeit fristlos gekündigt worden war, weil sie Pfandbons im Wert von Euro 1,30 unterschlagen haben soll? Oder mit der Bäckereiverkäuferin in Friedrichshafen am Bodensee, die wegen eines Fehlbetrags von 1,36 Euro in der Kasse fristlos entlassen wurde? Oder der achtundfünfzigjährigen Altenpflegerin in Konstanz, die wegen sechs Maultaschen im Wert von drei bis vier Euro ihren Job verloren hatte? Da bin ich ja mal auf die Folgen gespannt, die der gewesene Ministerpräsident Mappus von der Christlichen Union zu spüren bekommt, der immerhin Festplatten, die nicht ihm, sondern dem Staat, dem Land Baden-Württemberg, letztlich also uns allen gehörten, hat vernichten lassen.
Yellow Submarine
Augenklappe, orangefarbenes Kopftuch und Freibeutergehabe können den blau-gelben Wams bisweilen doch nicht so ganz verbergen. Piraten erstatten Anzeige gegen den Finanzminister von Nordrhein-Westfalen, so ist es heute allenthalben zu lesen, wegen des Ankaufs von Datensätzen mutmaßlicher Steuerhinterzieher. Ist die Zahl der Steuerhinterzieher wirklich so groß, daß neben CDU und FDP auch noch die Piratenpartei bei Wahlen von Steuerflüchtigen profitieren könnte? Eher nicht. Kein Wunder also, daß der Vorstoß der politischen Seeräuber in der Korsarenpartei für Unmut sorgt. Noch einmal: Es sind keine Steuersünder, die ihr Geld in die Schweiz oder Liechenstein oder Singapur bringen. Es sind Steuerhinterzieher, die sich an bundesdeutschen Gesetzen vergehen und mithin das deutsche Gemeinwesen schädigen. Daß die Piraten ein U-Boot steuern, hätte ich nicht gedacht. Das blue-yellow Submarine – der FDP.
Klüngelspartei
Die CDU Köln hat ein Kommunalwahlprogramm für die Zeit von Zweitausendneun bis Zweitausendvierzehn, in dem es unter anderem heißt, daß das „System Köln“ der grundlegenden Erneuerung bedürfe. „Kein Klüngel, mehr Transparenz“. Nur wenn die CDU diese Messlatte der Erneuerung selbst beherzige, so heißt es dort, akzeptierten dies die Wähler. Der christliche Oberbürgermeisterkandidat Peter Kurth sagte am vierzehnten August Zweitausendneun: „Es geht in unserer Stadt zudem um Fragen der Rückführung des parteipolitischen Einflusses“. Rückführung des parteipolitischen Einflusses. Wie wohl das klingt, wie lernfähig, wie modern, wie demokratisch. Doch, ach: Mit der Erneuerung ist es nicht wirklich weit her. Jetzt hat der Kölner Stadtzeiger ein internes Positionspapier des Fraktionsvorstandes der Kölner Christdemokraten in Ausschnitten veröffentlicht und kommentiert, in dem die Oppositionspartei im Kölner Stadtrat auch in Zukunft städtische Amtsleiterposten nach Parteibuch besetzen will. Fünfzehn Amtsleiterstellen und zweiundfünfzig andere Leitungsstellen, so listet die Kölner Klüngelspartei akribisch auf, würden im höheren Dienst in der Stadtverwaltung frei. Der Kölner Stadtanzeiger weiter: “Die CDU müsse frühzeitig damit beginnen, ihr nahestehende Mitarbeiter für die Besetzung dieser Stellen ‘fit zu machen’, heißt es in der Niederschrift des Treffens aus dem Juni.” Die CDU will immer mehrere Kandidaten für je einen Posten aufbieten. „Der politische Gegner habe dadurch eine gewisse Auswahl und könne nicht immer alle Bewerber ablehnen. Sollte sich der ein oder andere Distanz zur Partei wünschen, soll offenbar ein bisschen Druck helfen. ‘Gegebenenfalls müsse die Fraktion ein Bekenntnis für die CDU von Führungspersönlichkeiten einfordern und sie daran erinnern, wer für ihre Karriere mitverantwortlich ist’, heißt es in dem Protokoll.” Die Stadt Köln hat ein Zweihundert-Millionen-Euro-Loch im Haushalt, alle städtischen Leistungen stehen auf dem Prüfstand. Doch ist das alles für die ach so sauberen Christdemokraten nicht so besonders wichtig. Es geht ja um den Klüngel, um Pöstchengezerre, darum, eine Position zu ergattern, für die nicht Leistung, sondern Parteibuch entscheidend ist. Man mag es nicht glauben und wendet sich angewidert ab.
ADSH
Henning Rehse heißt er, der Chef der WNKUWG. Wenn nicht Chef, dann allemal ihr Lautsprecher, Dröhner, Wadenbeißer. Kaum eine Woche geht ins Land, in der er nicht Radfahrer auf der Telegrafenstraße geißelt, wildwachsendes Grünzeug als Torpedo gegen die Verwaltung zu nutzen sucht, ein besseres Stadtmarketing seitens der Verwaltung einfordert und dabei sein Konzept als das einzig Löbliche darstellt, die baldige Rathausfassadenrestauration als Erfolg nur seiner Fraktion wertet, dem Allgemeinen Deutschen Fahrradclub mit einem langen Instanzenweg durch die deutsche Gerichtsbarkeit droht oder wildes Plakatieren an städtischen Laternenpfählen als Versäumnis der Verwaltung schurigelt. Henning Rehse macht Druck auf den Bürgermeister. Laut, polternd, mit Schreien und wilden Gesten auf sich aufmerksam machend bewegt er sich durch die Gefilde der Kommunalpolitik und läßt kaum ein Thema aus. Es läuft, glaubt man dem Laut-Sprecher der CDU-Abspaltung, nicht gut in Wermelskirchen, mehr noch: nichts läuft gut in Wermelskirchen. Was ist bloß los mit Henning Rehse? Das Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom mit Hyperaktivität, ADSH? Das ließe sich ja noch mit Ritalin behandeln. Kann Henning Rehse die im Urlaub gesammelten Kräfte nicht anders kanalisieren als über wildes Gewese? Oder hat das Bürgermeisterbündnis mit dem schönen Namen Regenbogen einen Knacks bekommen? Dafür spräche durchaus einiges. Denn immer häufiger bandeln die illegitimen Blagen, Bürgerforum (Büfo) und WNKUWG, mit der einst verstoßenen Mutter, der CDU, an. Wenn’s etwa ums Wohl der Autofahrer geht, schubsen diese drei Parteien gemeinsam und einhellig die Radfahrer vom Rad. Wenn’s ums Wohl der Autofahrer geht, wird flugs ein Parkplatznotstand in Wermelskirchen herbeigelärmt, Seit an Seit mit der CDU. Es dürfe “keine Gefährdung durch Radfahrer geben”. Muhahaha. Sprache kann ja so entlarvend sein. Das Fahrrad gefährdet Henning Rehses SUV. Wie schrieb Thomas Wintgen heute so treffend im Wermelskirchener Generalanzeiger? Es sei die “Brötchen-Fraktion”, die von Henning Rehse und seinem Mentor Rüdiger Bornhold angeführt werde, die Fraktion der Automobilisten, die nur mal eben Brötchen holen wollten und dabei verbotswidrig auf der linken Seite parken müssen. Es ist ja derart schlecht bestellt im Städtchen mit Parkplätzen. Nichts da. Ich stimme Thomas Wintgens Fazit zu, daß “Radfahren wesentliches Element unserer Freizeit’industrie’ ist und ein ernst zu nehmender Wirtschaftszweig” und daß “Verantwortungsbewusstsein zum Wohle der ganzen Stadt” anders auszusehen habe.
Autoritäre Machtentfaltung
Gertrud Höhler, einst Literaturprofessorin und Beraterin Helmut Kohls, hat in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung eine schonungslose Analyse des Machtsystems der Kanzlerin veröffentlicht, einen Vorabdruck aus ihrem demnächst erscheinenden Buch „Die Patin. Wie Angela Merkel Deutschland umbaut“. Hier einige Ausschnitte:
“Die Stabilität des Kontinents wird nur noch über Geldwerte definiert. Der Irrtum am Start der Währungsunion wird damit wieder handlungsleitend; das geheime Motto lautet: Wir kaufen Europa. (…) Mit Angela Merkel ist eine Frage auf die politische Tagesordnung gekommen, mit der die CDU einstweilen nur intuitiv, nervös und im Kern fassungslos umgeht: Es ist die Frage, ob der Wertekonsens, den alle bürgerlichen Parteien teilen, seine Gültigkeit verliert zugunsten situativer Unberechenbarkeit aller Akteure und Motive. Dass der Konflikt nicht ausgetragen wird, nicht jetzt, hat mit seinem grundsätzlichen Gewicht zu tun. Die Kanzlerin arbeitet daran, dass er sich von selbst erledigen werde, durch Gewöhnung an das neue, utilitaristische Wertekonzept. (…) Angela Merkel hat das Konzept von der überparteilichen, übernationalen Kanzlerin entwickelt. Sie führt ihr Amt wie einen Gemischtwarenladen: Produkte, die nicht gehen, werden aus dem Angebot genommen. Produkte der Konkurrenz, die besser laufen, werden kopiert. Die Kanzlerin sieht sich als Anbieterin in einem Meinungsmarkt, wo die Kundengunst über den Marktwert der Ware entscheidet. Was Politik anbietet, sind aber nicht Waren. Es sind Entwürfe für Lebensqualität, soziale Sicherheit und Entfaltungsrechte. In den Entwürfen der Parteien werden nicht einfach Kundenbedürfnisse erfüllt und Konsumversprechen abgeliefert. Politische Angebote in der Demokratie beziehen sich immer auf den Kanon von Zusagen, die unsere Verfassung den Bürgern macht. Dieser Kanon beginnt mit dem höchsten virtuellen Gut, das nie in Geldwerten taxiert werden darf: der Würde des Menschen. Wer Normen und Werte einer demokratischen Gesellschaft zur Manövriermasse macht wie Angela Merkel, der arbeitet am Zerfall der Demokratie. Wer die Alarmzeichen dieses Politikstils abstellen möchte, spricht gern vom „moderierenden“ Führungsstil der Kanzlerin. Sie moderiert den Wandel, der ohnehin abläuft, heißt es in solchen Entdramatisierungsgesprächen. Merkel sorge eher für einen softeren Verlauf der Abschiedsparty von dem Werteballast der bürgerlichen Mitte. (…) Wertemanagement à la Merkel ist ein Business für Erfolgreiche, die sich entschieden haben: Interessenlage schlägt Wertesystem. Immer. (…) Auf leisen Sohlen verlässt die Kanzlerin unseren Grundwertekonsens. Da sie die Macht hat, ist das doch mehr als nur ein Moderationserfolg. Mit Angela Merkel kommt der Typus des Ego-Politikers auf die politische Bühne. Die seien doch alle mit einem Riesenego unterwegs, mag mancher jetzt sagen. Aber die Ego-Politikerin Merkel macht den Unterschied. Keiner ihrer Kollegen und Vorgänger hat das Tableau seiner Themen so entschieden unter eine einzige Prämisse gestellt – den persönlichen Machtzuwachs – wie Angela Merkel. Keiner hat so zynisch die oppositionellen Lager ausgeräumt wie sie, keiner hat es zu einem Image gebracht, das die deutsche Kanzlerin begleitet: Alles ist möglich. Nichts ist ausgeschlossen. Die Ego-Karriere rangiert in jedem Fall vor dem Wohl des Landes und vor Europa. Noch kein deutscher Staatschef hat so kompromisslos die Rangfolge seiner politischen Ziele immer wieder umgeworfen und neu sortiert – um den einen Mittelpunkt: das eigene Ich. Ein so egomanischer Politikstil lässt sich nur durchhalten, wenn er schwer lesbar bleibt. Die Kanzlerin der Volten hat ihr Publikum und ihre Entourage an unverhoffte Richtungswechsel gewöhnt. Keiner ihrer Mitarbeiter würde eine Wette wagen, wenn es darum geht, wo man die Kanzlerin morgen antrifft. (…) Das System M etabliert eine leise Variante autoritärer Machtentfaltung, die Deutschland so noch nicht kannte. Die Diktaturen des zwanzigsten Jahrhunderts boten andere Erfahrungen, was den politischen Stil angeht – obwohl die Anklänge nicht zu leugnen sind: die Marginalisierung der Parteien, der Themenmix aus enteigneten Kernbotschaften anderer Lager in der Hand der Regentin; ihre Nonchalance im Umgang mit dem Parlament, mit Verfassungsgarantien, Rechtsnormen und ethischen Standards. Der Anspruch, das deutsche „Bremssystem“, eine Mischung aus Präpotenz und Symbolpolitik, zum Durchgriff auf das Budgetrecht beliebig vieler europäischer Länder auszubauen, ist wieder eine von den geräuschlosen Sprengungen, die Umsturz als Regierungsprivileg durchsetzen. (…) No commitment ist das Motto. Kein Bekenntnis zu Deutschland oder Europa, nur ein bisschen mehr statt weniger von beiden: eben ein deutsches Europa. Keine Leidenschaft, kein Credo, kein Bekenntnis. Sie alle lassen wir hinter uns in der Alten Welt. Kein mission statement, das die Größe des Projektes verrät. Es kommt „wie ein Dieb in der Nacht“. (…) Wo Markenkerne entwendet und neu kombiniert werden, kann auch die Partei, aus der die Täterin ihre Jagdausflüge unternimmt, die CDU, nicht mehr auf Patentschutz für ihre Identität bestehen. Der Allparteienstaat hat lauter gesichtslose Parteien. Bald wird sich keine von ihnen mehr über Gesichtsverluste beklagen. (…) Über Angela Merkels visionäres Profil wissen wir nichts. Sie arbeitet seit ihrem Auftreten an ihrer Flexibilität; wer sie auf eine Idee festlegen will, muss scheitern. Für sie hat sich die Abstinenz gegenüber Ideen und Visionen als Karriere-Treibsatz erwiesen. Das Fazit: In Deutschland kann man seit der Einigung politisch an die Spitze rücken, wenn man als Asket an allen Vorgaben vorbeizieht, von denen sich die Mitspieler aus der alten Westwelt aufhalten lassen: Rechtsnormen und Verfassungswerte, Verträge und Wettbewerbsfreiheit, ethische Standards und moralischer Grundkonsens.”
Koalition der Korpulenz
Was lese ich in den lokalen Zeitungen? Radfahrer dūrfen nicht nicht mehr gegen die Fahrtrichtung der Autos in der Telegrafenstraße fahren. Jetzt, da die Radfahrtrasse ausgebaut ist und gut angenommen wird. Jetzt, da die Innenstadt vom zu erwartenden Fahrradboom profitieren könnte. Beschlossen hat diese kurzsichtige Entscheidung eine Mehrheit von CDU, WNKUWG und Bürgerforum im Verkehrsausschuß. Im Interesse illegal geparkter Autos auf der Telegrafenstraße. Denn um Brötchen zu holen oder Medikamente, müssen die Innenstadtbesucher selbstredend vor der Bäckerei parken oder der Apotheke. Auf der linken Straßenseite. Getreu dem Motto: Alles für den Autofahrer hat die Koalition der Korpulenten – wer glaubt denn, daß Henning Rehse, Friedel Burghoff oder Volker Schmitz jemals mit dem Rad in die Stadt führen? – dem Radfahrboom den Garaus zu machen versucht. Mit dem halbseidenen Argument, daß man verhindern müsse, daß es zu folgenschweren Unfällen komme. Das muß man in der Tat. Aber, indem man illegales Parken in der Wermelskirchener Hauptstraße verhindert, zur Not auch durch mehr Kontrollen in der Anfangszeit. Indem man dafür sorgt, daß der Durchgangsverkehr über die dafür vorgesehene Brückenstraße fließt, zur Not auch mit härteren Sanktionen. Für mich als eingefleischten und bequemen Autofahrer, der auch gerne jeden Fußweg zu vermeiden sucht und möglichst nahe am Geschäft parken möchte, hat diese Koalition der Pedalfeinde nicht gesprochen und entschieden. In Wermelskirchen wimmelt es nachgerade vor Parkmöglichkeiten. Jeder Ort in der Innenstadt ist gut, bequem und schnell zu erreichen. Nicht die Radfahrer müssen aus der Telegrafenstraße verbannt werden. Die Autofahrer müssen zur gedeihlichen Kooperation angehalten, erzogen, zur Not gezwungen werden. Und: Der Stadtrat muß sich dieser Angelegenheit annehmen. Es kann und darf nicht sein, daß lediglich ein Ausschuß, und sei er noch so wichtig, eine Entscheidung fällt, die Wermelskirchen zum Gespött macht, nur weil dicke Männer Autos mehr mögen als Räder.
Nachlese
Die Nachlese, so kann man nachlesen, ist eine nachträgliche, auswählende, bewertende Betrachtung. Also, dann lesen wir mal die Ergebnisse der letzten Landtagswahl hier in Wermelskirchen nach. Wahlverlierer, wie im ganzen Land, ist auch hier die CDU. Nur noch 4.339 Wähler entschieden sich für die einst große bürgerliche Partei, das sind 26,5 Prozent aller abgegebenen gültigen Stimmen. Das klingt schon schlecht genug für eine Partei, die vor zwei Jahren immerhin noch 38,9 Prozent der Wählerstimmen einheimsen konnte. 2010 waren das immerhin noch 6612 Wähler im traditionell schwarzen Wermelskirchen. Die CDU hat also in Wermelskirchen sage und schreibe 2273 Wähler verloren. Das ist ein Verlust von 34,4 Prozent! Schlimmer aber ist, daß gemessen an der Zahl der Wahlberechtigten der Anteil der CDU-Wähler lediglich noch 15,75 Prozent beträgt. Auch die CDU steckt in der akuten Gefahr, ihren Charakter als Volkspartei zu verlieren. Für die SPD entschieden sich vor einer Woche 5203 Wermelskirchener, 31,7 Prozent. Zwar liegen die Sozialdemokraten damit erstmals vor der CDU. Vor zwei Jahren votierten 4532 Bürger für die SPD, was 26,6 Prozent ausmachte. Die SPD hat also 671 Stimmen dazugewonnen. Ein Zuwachs von knapp fünfzehn Prozent ihres letzten Ergebnisses. Dennoch: Gemessen an allen Wahlberechtigten schrumpft die sozialdemokratische Erfolgszahl auf einen Anteil von knapp 19 Prozent. Beide großen Parteien repräsentieren zusammen also etwa ein Drittel (!) der wahlberechtigten Menschen in unserer Stadt. Betrug die Wahlbeteiligung vor zwei Jahren noch 62 Prozent, waren es am vergangenen Sonntag nur noch 60,6 Prozent. Die Entfernung zwischen Parteien und Bürgern nimmt also weiter zu, das Interesse der Menschen an Politikern, Politik und Parteien nimmt ab. Jedenfalls führt es nicht zur Teilnahme am demokratischen Prozess, wie er derzeit gestaltet ist. Die Grünen konnten 1657 Zweitstimmen verbuchen, gegenüber 2022 Kreuzchen vor zwei Jahren. Das sind 10,1 Prozent gegenüber 11,9 Prozent in 2010. Die Grünen haben also binnen zwei Jahren 18 Prozent ihrer Wähler verloren. Und auch hier: Sie vertreten gerade noch sechs Prozent aller wahlberechtigten Bürger. SPD und Grüne werden die Landesregierung stellen, weil sie im ganzen Land die Mehrheit der abgegebenen Stimmen errungen haben. Die Mehrheit der Bürger haben sie indes nicht erreicht und überzeugt. Neben der SPD zählt die FDP um Christian Lindner zu den Wahlgewinnern im grünen Wermelskirchen. 2822 Wermelskirchener ließen sich vom liberalen Shootingstar überzeugen, FDP zu wählen. Das sind 962 Stimmen mehr als 2010, als sich 1860 Wähler für die FDP entschieden. Der Lindnersche Zugewinn beträgt also knapp 52 Prozent oder eine Steigerung des blau-gelben Anteils von 10,9 auf 17,2 Prozent. Mit 10,25 Prozent aller Wahlberechtigten steht die FDP durchaus in einer Reihe mit den beiden einstigen Volksparteien, SPD und CDU. Gleichwohl: SPD, CDU, Grüne und FDP repräsentieren gemeinsam nur etwa die Hälfte (!) aller wahlberechtigten Bürger der Stadt, nämlich 51 Prozent. Für die Linke votierten letzten Sonntag nur noch 337 Stimmberechtigte, das sind etwa zwei Prozent. Zwei Jahre zuvor waren es noch 848 Wähler oder fünf Prozent. Die Linke hat also 511 Stimmen verloren, also 60, 3 Prozent ihrer Wähler nicht mehr an sich binden können. Die Linken sprechen nur noch für 1,22 Prozent aller hiesigen Wahlberechtigten. Keine Volkspartei, keine Protestpartei mehr, eine unbedeutende Partei unter den “Sonstigen”. Und schließlich die Piraten: 1207 Stimmen gegenüber 224 Stimmen zwei Jahre zuvor. Ein Zugewinn von 983 Kreuzchen, mehr also, als die FDP an Zugewinn hatte. Der eigentliche Wahlgewinner sind mithin die Augenklappenträger mit den Enterhaken, konnten sie ihren Anteil doch um knapp 439 Prozent steigern. Und jetzt noch das übliche Wasser in den guten Wein: Die Piraten vertreten auch nur 4,4 Prozent aller Bürger in der Stadt. Zusammen also vertreten diese sechs Parteien nur etwa zwei Drittel der Wermelskirchener. Wenig genug für ganze sechs Parteien. Das Landtagswahlergebnis bietet allen Parteien genügend Stoff für Demut und Nachdenklichkeit. Wenn sich 39,4 Prozent aller Wahlberechtigten von der Urne fernhalten, sollte dies eine Menetekel sein für alle Parteien, für alle Politiker am Ort, über die Gestaltung ihrer Politik, über die Ansprache an die Bürger gehörig nachzudenken.
Nachlese
Vor drei Jahren hatte die CDU in Schleswig-Holstein etwa fünfhundertfünftausend Zweitstimmen, gestern nur noch vierhundertachttausend. Wahlsieger? Die FDP wählten 2009 knapp zweihundertvierzigtausend Menschen im nördlichsten Bundesland. Gestern entschieden sich einhundertneuntausend Wahlbürger für Wolfgang Kubicki. Wahlsieger? Sehr viel weniger drastisch die Differenz zwischen 2009 und 2012 bei den Grünen: Sie verloren lediglich fünfundzwanzigtausend Wähler. Auch die SPD konnte ihre Wählerschaft nicht komplett mobilisieren: Viertausend Stimmen beträgt die Differenz zwischen den letzten und den aktuellen Landtagswahlen an den Küsten. Wahlverlierer? Der Südschleswigsche Wählerverband verlor etwa achttausend Stimmen und erreichte gestern etwas mehr als einundsechzigtausend Zweitstimmen. Die Linke hingegen konnte gestern nur noch knapp dreißigtausend Menschen begeistern, während vor drei Jahren noch mehr als fünfundneunzigtausend Stimmen auf die Linken entfielen. Wahlverlierer. Eindeutig und auch zugestanden von den Verantwortlichen der Partei. Die Piraten sind die Gewinner der Landtagswahl. Vor drei Jahren entschieden sich noch knapp neununzwanzigtausend Wähler für die orange Partei, gestern waren es immerhin knapp einhundertneuntausend. Wahlsieger. Eindeutig. Die absoluten Zahlen des amtlichen Endergebnisses machen so bestechend klar, was ansonsten hinter Prozentzahlen, Anteilsberechnungen und semantischen Kunststückchen von Journalisten und Politikern verschwinden soll: Schwarz-Gelb und Rot haben die Wahl verloren, haben ihre Wähler verloren. CDU und FDP erhielten vom Wähler die gelbe, die Linke gar die rote Karte. Piraten, Grüne, SPD und der SSW sind die Wahlsieger. Weil sie, wie die Piraten hinzugewonnen haben, weil sie, wie die anderen Parteien, ihre Verluste in absoluten Stimmen in engeren Grenzen halten konnten. Der Rest ist rhetorische Gesundbeterei, Logorrhoe, also Sprechdurchfall.