Schlagwort: Eric Weik

Comeback?

“Wenn einer die FDP aus der Misere herausführen kann, dann ist es Christian Lindner.” So der Kölner Politikwissenschaftler Christoph Butterwegge im Kölner Stadtanzeiger. Ein interessantes Lob, kommt es doch von einem Professor, der für die Linke im deutschen Bundestag sitzt und standhaft gegen neoliberale Positionen anschreibt. Aber es ist wohl wahr: Wenn jemand das Zeug hat, das intellektuelle und politische, die einst bedeutsame, inzwischen aber zur radikal neoliberalen Ein-Thema-Wirtschaftspartei verkommene liberale Partei wieder auf einen Kurs zu bringen, der auch Menschen jenseits der Rechtsanwaltsberufe, Zahnärzte, Notare und Finanzdienstleister, der Versicherungsunternehmen, Banken oder Hedgefonds anzusprechen in der Lage ist, dann ist es der Jüngste aus der blau-gelben Boygroup. Kein Wunder, daß Lindner in der Bergischen Morgenpost gar als “Lichtgestalt” bezeichnet wird. Christian Lindner hat jedenfalls vor geraumer Zeit schon publiziert, daß sich die liberale Partei aus der politischen Verengung lösen und stärker die gesamte Bandbreite des politischen Liberalismus repräsentieren muß. Fraglich bleibt, ob das substanziell mehr ist als bloße Garnierung des politischen Kurses, den die FDP in den letzten Jahren, im letzten Jahrzehnt unter Westerwelle eingeschlagen hat. Und bei dieser Kursverengung waren sie alle schon dabei, auch jene, die jetzt das Sagen haben, nach Westerwelle, gegebenenfalls sogar nach Rösler. Auch Christian Lindner. Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben. Dieser große Satz des russischen Philosophen und Staatenlenkers Gorbatschow kennzeichnet eben nicht nur die Honeckers dieser Welt, sondern womöglich auch die Lindners. Die FDP hat nun diesen Versuch in Nordrhein-Westfalen. Im Grunde sind sich alle Auguren einig: die FDP hat bei den drei anstehenden Landtagswahlen kaum eine Chance in die Landtage zurückzukehren und sich weiter an den Fleischtrögen der Macht zu laben. Sie hat fürs erste: abgewirtschaftet. Politisch und personell ist sie ausgezehrt. Blass. Bläulich-Gelblich. Und also ist das Risiko für den bis zum Dezember als Generalsekretär der Bundes-FDP agierenden Christian Lindner überschaubar. Jedenfalls das persönliche Risiko. Schafft er es, die FDP in Nordrhein-Westfalen auf ein erträgliches Maß diesseits der Zwei-Prozent-Marke zu hieven oder gar an die oder über die Fünf-Prozent-Grenze, dann wird er zum umjubelten Guru. Bleibt die FDP dort, wo sie sich jetzt nach allen Umfragen befindet, im politischen Nichts, hinter Piraten, auf Augenhöhe mit den Tierschutz- und Bibelparteien, bei den Sonstigen, dann wird es heißen, daß nicht einmal das größte politische Talent der FDP in der Lage war, in dieser kurzen Zeit das Ruder herumzureißen. Und Landesvorsitzender der FDP wird Christian Lindner bleiben. Die Machtbasis für später ist gelegt. Die FDP wird ja nicht verschwinden. Die Wähler haben sie, zu Recht, wie sich die Partei derzeit präsentiert, aus den Augen verloren. Christian Lindner ist nicht nur das große politische Talent der FDP, er ist auch das jüngste Talent. Er hat die Zeit auf seiner Seite. Auch für ein Comeback. Ein persönliches Comeback. Ein Comeback seiner Partei. Partei und Lindner müssen sich für ein Comeback allerdings häuten, die verhornte Schlangenhaut des unsozialen Neoliberalismus abstreifen. Originalton Christian Lindner: “Oskar Lafontaine hat unlängst behauptet, die Kernforderungen des Freiburger Programms würden heute nur noch von der Partei „Die Linke“ vertreten. Er hat Recht, denn tatsächlich formuliert nur noch seine Partei eine Sozialpolitik im Stil der frühen siebziger Jahre.” Da haben wir das Muster. Rückgriff auf die Freiburger Thesen der FDP. Öffnung, Erweiterung des verengten Blick auf die politische und gesellschaftliche Lage im Land. Und zugleich die Denunziation als gestrig. “Objektiv betrachtet hat Deutschland ein historisch und weltweit nahezu einmaliges Niveau an sozialer Sicherheit erreicht. Inzwischen sind Folgeprobleme erkennbar: Mitunter wirkt der Wohlfahrtsstaat wie ein Magnet, der Menschen in seiner Sphäre hält, statt sie in die Selbstverantwortung und Teilhabe an Arbeit zurückzuführen.” Christian Lindner, schauen Sie sich um im Land. Ohne bläßlich blau-gelbe Brille. Unzählige Menschen befinden sich in unserer reichen Republik in prekären Lebens- und Arbeitsverhältnissen, sind gleichwohl fleißig, leistungsbereit und arbeitsam. Das Niveau sozialer Sicherung in unserem Land ist hoch, zweifelsfrei. Gleichwohl verhindert es nicht, daß immer Menschen in immer unsichereren Verhältnissen zu Leben gezwungen sind, daß die Spaltung in Oben und Unten, in Arm und Reich zugenommen hat. Daß einige wenige von den Krisen profitiert und viele diesen Profit mit finanziellen Verlusten, sozialen Einschränkungen, mit Sorgen und Ängsten zu bezahlen haben. Zu dieser Erkenntnis verhilft ein vorurteilsfreier Blick auf die Wirklichkeit ohne ideologische Verengung. Nicht einmal “links” muß man sein, um zu einem solchen Urteil zu kommen. Man kann sogar ein Liberaler sein. Denn: “Wer Angst vor Armut, Alter, Arbeitslosigkeit oder Krankheit haben muss, der ist nicht frei”, so Christian Lindner im gleichen Text. In der Tat: Armut, Arbeitslosigkeit oder Krankheit und die Ängste, arm zu werden, die Arbeit zu verlieren, die Familie nicht mehr ernähren zu können, krank zu werden und das Ganze nicht bezahlen zu können, hindern die Menschen an gesellschaftlicher Teilhabe, an Selbstverantwortung. Das Sozialsystem ist eben kein Magnet. Mit dem Leben im Sozialsystem sind in aller Regel Einschränkungen, Deformationen, Defizite verbunden, auch an der Würde der Menschen. Selbst wenn die eigentliche Klientel einer liberalen Partei nicht die große Zahl von Arbeitnehmern und Angestellten sein sollte, kommt man mit der Denunziation dieser Menschen als nicht arbeitsam und in der sozialen Hängematte eingerichtet politisch nicht sehr weit. Das haben die Ereignisse der letzten beiden Jahre zur Genüge bewiesen.  Die Besserverdienenden sind eben nicht automatisch auch die Leistungsbereiten. Boni für Bänker, die veritable Pleiten hingelegt haben, sind das Gegenteil von Prämien für Leistungsbereitschaft. Und die Leistungsbereiten sind eben nicht auch automatisch die Besserverdienenden. Wo wäre die deutsche Wirtschaft denn heute, in und nach der Krise ohne die Vielzahl fleißiger Arbeiter und Angestellter, die unter Verzicht auf Lohnerhöhungen seit Jahren die Räder rollen lassen? Zudem hat die Krise gelehrt, daß Mißbrauch von sozialen System eben nicht nur bei denen da unten stattfindet. Steuerhinterziehung oder Subventionsbetrug sind um nichts ehrbarer als die Hartz IV-Mogelei. In der Dimension eher gewaltiger. Die Gier des Geiz-ist-geil steht der Gier des Hast-Du was- Bist-Du-was der Finanzwirtschaft nach. Kurzum: Ich kann mir eine Erneuerung der liberalen Partei nicht denken ohne eine geschärftere Wahrnehmung der sozialen Wirklichkeit. Wer das soziale Leben der Menschen ausblendet, mehr noch: wer die Ängste und Sorgen der Menschen in ihrer Mehrheit als dekadent denunziert, den bestraft das Leben, an der Wahlurne. “Vierzig Jahre nach den Freiburger Thesen ist aber auch wieder – um das Wort aufzunehmen – eine ‘Reform des Kapitalismus’ dringlich.” Stand bei Karl-Hermann Flach, dem Autor der Freiburger Thesen der FDP, noch die soziale Teilhabe der Menschen an den Ergebnissen wirtschaftlichen Handelns im Vordergrund, Mitbestimmung, so ist für Lindner die Reform des Kapitalismus eine neue Balance zwischen Markt und Staat. “Der Mittelständler fühlt sich von Bürokratie und Fiskus drangsaliert – und zugleich entfesselten Gewalten ausgeliefert. Vom Staat erwartet er zu Recht den Schutz einer fairen Freiheitsordnung. Stattdessen hat sich der Schuldenstaat selbst in die Abhängigkeit der globalen Finanzmärkte begeben.” Das ist das eigentliche Feindbild der FDP, der Staat. Die Märkte gehen vor Staat. Der Staat hat die Aufgabe, die Märkte zu schützen. Mehr nicht. Der Staat aber sind wir alle. Das Volk, die Regierenden, die wirtschaftlich Handelnden, die Verwaltung, die Gesetze, die Regeln, die Politik, das Recht, die Gesetze, Parlamente. Das Gemeinwesen und seine Grundidee. Wir geben uns einen Staat, wir treten Rechte ab an den Staat, als einzelne, als Gemeinschaft, damit der Staat uns schützt, damit der einzelne geschützt wird vor Übergriffen. Wir geben uns einen Staat, damit jemand die Regeln durchsetzt, die wir uns im Gemeinwesen geben. Märkte führen nicht per se zu sozialem Ausgleich. Märkte sind in ihrer Folge eher chaotisch denn geregelt. Märkte garantieren nicht Freiheit, Demokratie, soziales Wohlergehen. Der Staat kann das. Nur der Staat. Deshalb geht Staat vor Markt. Politik vor Wirtschaft. Macht vor Geld. Jedenfalls im Prinzip. Lindner hat Recht. An dieser Stelle geht es darum, wie die Balancen beschaffen sind, zwischen Staat und Markt, zwischen Staat und Einzelnem, zwischen Politik und Wirtschaft, zwischen Markt und Bürokratie. Und da ist viel aus der Balance geraten, da hat sich vieles verkehrt. “Heute besteht diese Reform (des Kapitalismus, W.H.) in der Wiederbelebung der Sozialen Marktwirtschaft – als Regelrahmen der Märkte.” Einverstanden. Der ungezügelte Kapitalismus, vor allem die Finanzwirtschaft, braucht einen Regelrahmen, der Wirtschaft wieder vom Kopf auf die Füße stellt. Verluste dürfen nicht mehr sozialisiert, also der Gemeinschaft aufgehalst werden, während Gewinne privatisiert werden. “Wer baute das siebentorige Theben. In den Büchern stehen die Namen von Königen. Haben die Könige die Felsbrocken herbeigeschleppt?” Mit diesen Fragen beginnen die Fragen eines lesenden Arbeiters von Berthold Brecht. An den Gewinnen weniger ist immer auch auch die Leistung vieler beteiligt. Die Balance der Verteilung stimmt nicht. Der Kapitalismus muß reformiert werden. Gezügelt. Es muß umverteilt werden. Nach den Kriterien gesellschaftlicher Gerechtigkeit. Gerechtigkeit ist keine Marktkategorie. Das ist eine moralische und dann auch eine politische Forderung, Position. Gerechtigkeit ist das höherwertige Gut. Früher auch für die Liberalen. “Die Freiburger Thesen haben zu Recht den Blick dafür geschärft, dass die Verwirklichung von Lebenschancen Voraussetzungen hat: beispielsweise eine tolerante Gesellschaft, materielle Grundsicherung, individuelle Bildung und intakte natürliche Lebensgrundlagen. Ohne diese Ressourcen wird Freiheit zu einer bloß formalen Möglichkeit.” Ich stimme Christian Lindner zu. Die Freiburger Thesen haben den Blick auf die individuellen Lebenschancen geschärft, den Blick aber auch auf die Voraussetzungen für diese Lebenschancen. Es geht eben um mehr als die lediglich formale Möglichkeit zur Lebensverwirklichung, zu sozialer Sicherheit, zu individueller Bildung, einer intakten Umwelt. Ein Blick, ein Blickwinkel, der der liberalen Partei von heute verloren gegangen ist. Nur wenn Lindner es schaffen sollte, den Blick und das Handeln der FDP aus der neoliberalen Verengung zu befreien, wird die FDP eine neue Chance bekommen. Und das ist kein Programm für die wenigen Wochen bis zur Landtagswahl. Über diese Arbeit kann man schon vierzig und älter werden. “Aber in der Politik ist alles möglich.” So jedenfalls Bürgermeister Eric Weik heute in der Bergischen Morgenpost.

“Unser” Christian

“Unser Christian” heiratet. Diese Formulierung samt Possessivpronomen hat die Lokaljournalistin Gundhild Tillmanns in ihrem Beitrag in der Bergischen Morgenpost  verwendet. Es geht um den aus Wermelskirchen stammenden Generalsekretär der FDP, Christian Lindner, der in dieser Woche von seinem Freund, Bürgermeister Eric Weik, mit der Journalistin Dagmar Rosenfeld vermählt wird. Christian ist fortan also “unser” aller Christian. Gundhild Tillmanns Begeisterung über dieses gesellschaftliche Großereignis ist mit Händen zu greifen: Ein Heiratsantrag auf einer Serviette in einem Restaurant auf Fuerteventura, das Traugespräch mit dem Bürgermeister, die vorgezogene Hochzeitsreise auf der “Queen Mary”. Die Morgenpost schlüpft in die Rolle der örtlichen “yellow Press”. Selbst vor einer weiteren Peinlichkeit scheut das Wermelskirchener Gesellschaftsblatt nicht zurück: “Ob Lindner und Rosenfeld wie weiland in dem Kino-Film ‘Untergang der Titanic’ in memoriam Leonardo DiCaprio und Kate Winslet die berühmte Liebesszene am Schiffsbug nachgespielt haben, ist nicht überliefert.” Originalton Tillmanns. Im Gesellschaftsblatt assoziiert man mit dem Untergang der Titanic Winslet und DiCaprio. Im seriösen Journalismus wohl eher den Niedergang der Partei Christian Lindners. Einerlei. Christian Lindner heiratet. Gut so.  Eric Weik traut. Gut so. Alles kein Grund für mediokre Schmachtfetzen in der lokalen Presse. “Unser” Christian wird Christian Lindner bleiben – für Werner Güntermann, Heinz Jürgen Manderla, Patrick Engels, für die Mitglieder und Freunde der FDP. Für alle anderen bleibt er Christian Lindner, ohne “unser”. Ich gratuliere dem Brautpaar und wünsche beiden ein Fest, an das sie noch lange denken werden. Möglichst ohne Lokaljournalisten.

Politik und Polizei – Wermelskirchen 21

Wermelskirchen im Oktober: Die Kreispolizei will ihre Wache in Wermelskirchen auflösen. Viele Bürger fürchten um ihre Sicherheit und wollen die Polizei in der Stadt behalten. Eine siebzehn (!) Jahre alte Schülerin sammelt in nur vier Wochen viertausend (!) Unterschriften gegen die Auflösung der Polizeiwache. Und die Parteien? Organisieren sie gemeinsam den Widerstand der Bürger gegen die Polizeipläne. Die Parteien? Nein! Die Parteien, die sich das Wohl der Bürger auf ihre Fahnen und in ihre Programme geschrieben haben, sind bemerkenswert still. Sie schweigen. Oder eiern. Parteien, die ansonsten jeden Furz aufgreifen, um öffentlich Gehör zu finden, verstummen beredt. Die WNKUWG verweist auf den Innenminister oder den Landrat, die Stadt sei in dieser Frage nicht zuständig. Die CDU führt einen Stammtisch durch, einen Informationsabend, um “Fakten und Bürger näher zusammenzubringen”. Ein Forum für Landrat und Polizei. Für die Grünen ist die Polizeiwache in der Stadt lediglich “ein Symbol”. Die SPD behandelt das Thema Polizei nur intern. Tenor: Kein kommunalpolitisches Thema.  Die Linke bleibt stumm. Nur FDP und Büfo erklären öffentlich, die zweitgrößte Stadt im Kreis brauche eine Polizeiwache in der Stadt. Die Parteien wirken an der politischen Willensbildung des Volkes mit. Sagt uns das Grundgesetz im Artikel 21. In Wermelskirchen nicht. Hier tauchen sie ab, die Parteien, ducken sich weg. Mag sein, daß Stadtverordnete gegen eine Landratsentscheidung oder gegen den Innenminister des Landes als Polizeiminister nichts werden ausrichten können. Aber: Mit feigem Schweigen, mit dem Verweis auf andere Instanzen werden Parteien den Nöten der Menschen in unserer Stadt  nicht gerecht. Sicherheit ist eines der Grundbefürfnisse der Bürger. Und wenn sie diese Sicherheit gefährdet glauben, ist es Aufgabe der Parteien, den Menschen zu erläutern, daß und inwiefern die Sicherheit gewährleistet werden kann. Ein Steilvorlage eigentlich für Parteien, die wieder in den Dialog mit den Bürgern treten müssen. “Mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln will sich Bürgermeister Eric Weik dafür einsetzen, dass die Polizeiwache in der Innenstadt bleibt. Er will dem Landrat mit seinen Schließungsplänen die Stirne bieten.” So zu lesen in der heutigen Onlineausgabe der Bergischen Morgenpost. Die Polizei gehöre dorthin, wo die Bürger sind. “Er vermisse bei den Überlegungen zur Verlegung der Polizeiwache ganz eindeutig den Dienstleistungsaspekt. Offensichtlich sei die Polizei dabei zu vergessen, dass sie eigentlich der Dienstleister der Bürger zu sein habe, beklagt der Bürgermeister.” Der Bürgermeister will dem Landrat “die Stirn bieten”. Klingt gut. Aber was bedeutet das konkret? Läßt sich doch etwas ausrichten gegen die Pläne aus dem Kreis? Wenn ja, wie? Hat der Bürgermeister Handlungsoptionen, die bislang noch nicht öffentlich gemacht wurden? Oder lassen sich die Polizeipläne bestenfalls mit gehörigem Druck, mit Protest, mit Demonstrationen der Bevölkerung verhindern? Sozusagen “Wermelskirchen 21”. Die kommunalpolitische Gemengelage in Wermelskirchen war schon immer nicht so ganz einfach. Aber mit welchen Truppen will der Bürgermeister ins Feld ziehen, wenn schon die Regenbogenkoalition eher matt und kampfesunlustig zu sein scheint? Und CDU und SPD sich hinter “ordentlichem Verwaltungshandeln” verschanzen. Das wäre ja mal eine ganz neue Kommunalpolitik, wenn der Bürgermeister nicht auf lavierende Parteien setzte, sondern auf die Macht der Bürger. Der Bürger-Meister, kraft der Bürger gewählt, stärkt die Kraft der Bürger. Wie sagte doch einst der große deutsche Philosoph Franz Beckenbauer: Schaun wir mal.

Stuttgart 21 in Wermelskirchen?

“Stuttgart 21 auch bei uns”. Bei uns in Wermelskirchen. So eine reißerische Überschrift aus der Bergischen Morgenpost. Viel weniger reißerisch ist dann der Artikel. Unser Bürgermeister stammt aus Stuttgart und wäre er heute dort, befände er sich auf der Seite der Bahnhofsbefürworter. Das ist sein gutes Recht. Auch als schwäbischer Dellmann. Als Bürgermeister äußert er sich aber auch zum Bürgerprotest und kommt zu erstaunlichen Einsichten. Das Stuttgarter Bahnhofsprojekt sei zwar seit Jahren bekannt, “den Bürgern aber nicht ausreichend kommuniziert worden. Und das ist auch unser Problem in Wermelskirchen, vor allem bei unpopulären Entscheidungen.” “Doch Weik”, so schreibt die Morgenpost weiter, ” sieht die Verantwortung für diese weit verbreiterte (Original der Bergischen Morgenpost, W.H.) Reaktion von Bürgern auch bei der Verwaltung und der Politik: ‘Wir haben ein ganz großes Problem, unsere Themen und Entscheidungen auch zu kommunizieren. Dagegen müssen wir etwas tun.'” Gut gebrüllt, Löwe. Verquaste Verwaltungssprache, unverstehbares Politikerdeutsch, semantische Täuschungsversuche, all dies trägt nicht unwesentlich zur Entfernung von Bürgern und Politik bei. “Professionelles Know-how von PR-Agenturen”, wie Eric Weik es für wünschenswert hält, ist indes kaum eine gute Lösung. Glatt gestrichene Public- Relations-Phrasen wären nur eine weitere Form der Uneigentlichkeit, der Täuschung.  Politiker, lokale Parteien, Bürgermeister, Stadtverordnete oder Kommunalbeamte müssen wieder lernen, die Sprache der Bürger zu sprechen, die Dinge offen und einfach formuliert auf den Punkt zu bringen, sich öffentlich so zu äußern, daß man sie ohne Übersetzer zu verstehen in der Lage ist, Interessen hinter vermeintlichen Verwaltungs- oder Politikzwängen offenzulegen – kurzum: mit den Bürgern in das Gespräch auf Augenhöhe einzutreten. Das wäre schon genug. “Stuttgart 21” in Wermelskirchen? Ach iwo. Das war doch nur der Überschriftentrick von Frau Tillmanns. Und wenn schon: Ein bißchen Protest müsse die Politik gelegentlich auch mit starkem Rücken aushalten, zitiert sie den Bürgermeister. Stimmt. Und freuen sollte sich die Politik, wenn sich die Bürger einmischen, wenn sie ihre Meinung sagen, wenn sie sich Gehör verschaffen gegen Parteien, Verwaltungen oder Politiker. Denn nichts ist gesünder für die Demokratie als muntere Bürger, die sich selbstbewußt zu Wort melden. Stuttgart 21 in Wermelskirchen? Ach iwo. Schade.

Kahlschlag

Das Wohngeld soll gekürzt werden. Um vierzig Prozent. Das sind etwa dreihundert Millionen Euro. Der schwarz-gelbe Sozialkahlschlag nimmt weitere Konturen an. Die Folge: Die Kommunen werden die Ausgaben übernehmen müssen: “Die Experten des Städtetags rechnen damit, dass wegen der Wohngeldkürzung demnächst wesentlich mehr Haushalte auf zusätzliche Unterstützung nach Hartz IV angewiesen sein werden, weil ihnen trotz Arbeit nicht genug zum Leben bleibt. Für die Unterkunftskosten dieser sogenannten Aufstocker sind aber die Städte und Gemeinden zuständig. ‘Das ist Haushaltssanierung des Bundes auf Kosten der Kommunen’, sagt Monika Kuban, stellvertretende Hauptgeschäftsführerin des Deutschen Städtetags.” Nachzulesen in Spiegel Online. Jetzt bin ich mal gespannt, ob Bürgermeister Weik in einer der kommenden Ausgaben der Bergischen Morgenpost mit der Überschrift zitiert werden wird: “Schwarz-Gelb  wird teuer für die Stadt.”

Die Morgenpost, Frau Tillmanns, Herr Weik und die Landesregierung

Noch keine Woche ist die rot-grüne Minderheitsregierung im Amt. Erst fünf Tage. Und schon ist eines sonnenklar: “Rot-Grün ist teuer für die Stadt.” Schreibt jedenfalls die Bergische Morgenpost von heute. Nein. Schreibt Frau Tillmanns in der Bergischen Morgenpost. In der Wirtschaft, im Schulwesen und beim Innenstadtausbau werde die Stadt die Auswirkungen des Wählervotums zu spüren bekommen, selbst, wenn sich die neue Regierung nicht werde lange halten können. Erkenntnisquelle von Frau Tillmanns ist unser Bürgermeister, Eric Weik. Ich kenne Eric Weik. Ich habe ihn gewählt. Zweimal. Und ich habe öffentlich dazu aufgerufen, ihn zu wählen. Weil er ein guter Bürgermeister ist. Nun scheint mir unser Bürgermeister aber doch allzu sehr durch eine blau-gelbe Brille auf die Glaskugel zu schauen. Es ist vollkommen in Ordnung, daß der Bürgermeister bemüht ist, im Einklang mit den Landesverantwortlichen seiner Partei zu bleiben. Aber: Ein derartiges Urteil über eine neue Landesregierung, die erst vor fünf Tagen ins Amt kam, ist, mit Verlaub, eher parteipolitische Kaffeesatzleserei denn prognostische Stärke. Und entspricht im übrigen auch keineswegs demokratischem und parlamentarischem Brauch. Lassen Sie die Landesregierung doch erst einmal ihre Plätze einnehmen, Frau Tillmanns, Herr Weik. Das galt für die vorherige Landesregierung und sollte auch für die derzeitige gelten. Ich kann ja verstehen, daß FDP-Mitglieder lieber eine andere Landesregierung im Amt sähen. Aber da war eben der Wähler vor. Der gleiche Wähler, der hier in Wermelskirchen den Bürgermeister mit einer überzeugenden Mehrheit ausgestattet hat. In Wermelskirchen wie in Düsseldorf gilt: Der Wähler ist der Souverän. Und in Wermelskirchen war möglich, was parteipolitische Eiferer in Düsseldorf zu verhindern wußten. Ein breites Bündnis. Die FDP hätte sich ja bewegen können in den Gesprächen mit Grünen und SPD. Aber da war der parteiinterne Zwist vor: Pinkwart ja, Papke nein. Das muß die FDP nun mit sich selbst ausmachen. (Meine Prognose, mein Kaffeesatz: Sie wird sich bewegen, die FDP, bewegen müssen. Auch, wenn es ein wenig dauert. Mit drei Prozent lebt es sich nicht so gut.) Und ob die neununddreißigste Auflage einer “Rote-Socken”-Kampagne den Wähler davon abhalten wird, die Linke erneut in das Landesparlament zu entsenden, ist durchaus fraglich. Bleiben wir also dabei: Der Wähler hat fünf Parteien ins Parlament entsandt. Und also muß es nach Lage der Dinge Dreier-Bündnisse geben, eine “große” Koalition oder eine Minderheitsregierung. Mit sklavischer Treu zu Schwarz-Gelb legt man sich auf Opposition fest. Und handelt nicht im Interesse des Landes. Aber, wie gesagt, das ist Angelegenheit der FDP. Welche Substanz hat nun der Weiksche Blick in die Glaskugel für die flotte Kritik ergeben? Die Unternehmer werden sich aus dem rot-grünen Nordrhein-Westfalen zurückziehen und ihre Investitionsentscheidungen revidieren. Empirisch ist das nicht gesichert, so schnell sind auch die fixesten Unternehmer nicht. Im Gegenteil: Das ist eine sattsam bekannte Suada. Eine Regierung, an der die FDP nicht beteiligt ist, gefährdet den Wirtschaftsstandort, wahlweise den der Bundesrepublik oder eines ihrer Länder. Ich kenne diesen Vorhalt seit Jahren, seit Jahren aber blüht der Wirtschaftsstandort, ganz unabhängig davon, welche Regierung sich die Bürger leisten. Das zweite Argument ist die Schulpolitik. Weik befürchte “verheerende Auswirkungen für die Schulen in Wermelskirchen, sollte die von der neuen Landesregierung geplante Schulreform mit einer Gemeinschaftsschule und der sechsjährigen Primarschule tatsächlich umgesetzt werden”, heißt es in dem Artikel von Frau Tillmanns. Ich kann da nur die neue Schulministerin zitieren, die den Umbau des Schulsystems „nicht verordnen” wolle, sondern „im regionalen Konsens gestalten”, wie in der  WAZ zu lesen war. Also, Herr Weik und Frau Tillmanns, warten wir es doch noch ein paar Wochen ab. Warum jetzt die Pferde scheu machen? Oder war die Zeit gerade günstig nach dem Hamburger Volksentscheid, um jetzt eben mal ein bißchen Stimmung zu machen? Ideologische Scheuklapprigkeit nutzt niemandem. Wem sage ich das, Herr Weik, Frau Tillmanns, vor allem mit Blick auf die vergangene Kommunalwahl hier in Wermelskirchen? Die Bürger werden sich mit den Problemen der Schulen in dieser Stadt gewiß noch zu beschäftigen haben. Aber, wie Carl-Friedrich Arp Ole Freiherr von Beust neulich so treffend gesagt hat, “ein Jedes hat seine Zeit”. Der Schulkampf auch. Wenn es denn zu einem solchen kommen sollte. Ich glaube es nicht. Und dennoch wird in der Morgenpost schon jetzt das Totenglöcklein für die hiesige Realschule geläutet. Das ist, mit Verlaub, Angstmacherei. Die Verantwortlichen in der Stadt, der Bürgermeister, der Rat, auch die Eltern und die Bürger werden zu gegebener Zeit die Frage zu beantworten haben, wie die Schullandschaft in der Stadt angesichts sinkender Schülerzahlen sinnvoll gestaltet werden kann. Panik und Angst zu verbreiten, hilft dieser Gestaltung nicht. Tja, so ein blau-gelber Blick in eine Glaskugel kann so manche Verzerrung mit sich bringen. Ich wäre, wenn’s um Wermelskirchen geht, für einen klaren Blick ohne parteipolitische Eiferei.

Weiks feine Klinge

Die feine Klinge, das Florett, sollte die Waffe der Politik sein und der Politiker. Nicht der Holzhammer oder gar der Baseballschläger. “Die Linken werden vom Verfassungsschutz beobachtet. Die SED-Nachfolgepartei im größten Bundesland in der Regierung – das ist doch furchtbar.” Dieser Satz, finde ich, ist die Mischung von Holzhammer und Baseballschläger. Die Linke ist auch die Nachfolgepartei der SED, mehrfach geändert und verstümmelt. Und sie wird dies für geraume Zeit auch bleiben. Aber: Die Linke ist auch die Nachfolgepartei der WASG. Schon vergessen? Und die WASG ist eine Westgründung ohne jegliche Verbindung zur SED. Die NRW-Linken dürften nur wenige Ex-SEDler in ihren Reihen versammelt haben. Mitglieder der Linken sind aber auch Gewerkschafter, ehemalige Sozialdemokraten, sogar enttäuschte Mitglieder anderer Parteien, selbst der bürgerlichen. Auch Sektierer sind in dieser Partei, Idioten, Soziopathen. Wie in anderen Parteien auch. Parteien sammeln mitunter eben auch unter den Kranken der Gesellschaft ein, unter den Geltungsbedürftigen, den Karrieresüchtigen, den Egomanen, den Belasteten. Und keineswegs nur die linken Parteien. Die FDP beispielsweise war mal, in den Fünfzigern des vergangenen Jahrhunderts, eine Partei, die auch denen eine Heimat gab, die ansonsten keine finden konnten, Deutschnationalen, Nazis ohne Persilschein. Sollen wir heute darüber noch diskutieren? Bleibt die Beobachtung durch den Verfassungsschutz. Nur: Das ist doch eine politische Entscheidung. Je nach Couleur des Innenministers wird entschieden, ob eine Partei beobachtet wird oder nicht. Zudem: Selbst Gewerkschaften sind schon bespitzelt worden, die Deutschen Jungdemokraten, der sozialdemokratische Hochschulbund. Man mag die Linken mögen, man mag sie verdammen. Eins aber wird nicht mehr gelingen: Man wird sie nicht mehr aus der Realität der bundesdeutschen Parlamente wegträumen können. Der Wähler hat sie gewählt, die Politiker müssen jetzt lernen, mit ihnen umzugehen. Kämpft mit ihnen, diskutiert mit ihnen, entzaubert sie, bindet sie ein, laßt sie Verantwortung tragen, was auch immer. Sie ignorieren hieße, den Souverän zu ignorieren und sein Votum. Warum schreibe ich das alles? Weil mich heute Morgen ein Satz in der Bergischen Morgenpost stutzig gemacht hat. Der Fraktionschef der SPD in Wermelskirchen wird dort mit dem Satz zitiert, er werde die “Linkspartei nicht verteufeln”. Und dieser Satz wiederum habe Bürgermeister Eric Weik fast die Sprache verschlagen. Es folgt der eingangs zitierte Satz: “Die Linken werden vom Verfassungsschutz beobachtet. Die SED-Nachfolgepartei im größten Bundesland in der Regierung – das ist doch furchtbar.” Wer die Linken nicht in der Regierung sehen möchte, kann und darf sich Gesprächen mit SPD und Grünen nicht entziehen. Das geht, natürlich, an die Adresse der liberalen Partei und ihrer Funktionsträger. Das Schneckenhaus ist kein geeigneter Ort für kluge und weitsichtige Politik. Und Rote-Socken-Argumente sind dumm und von gestern. Der Wähler von heute ist klüger. Also weg mit dem Baseballschläger.