Tja. Gauck. Jetzt, finde ich, ist er eher zweite Wahl. Wäre es nicht hohe Zeit für eine Bundespräsidentin gewesen? Zwar hat Gauck, was die beiden letzten Präsidenten eher nicht hatten: das Wort, die Sprache, auch Erfahrung, Lebenserfahrung. Aber kann er wirklich die gewachsene Kluft zwischen Politik und Gesellschaft, zwischen Parteien und Bürgern schließen, wenigstens ansatzweise? Ist er nicht doch, obwohl nicht parteipolitisch eingebunden, eher Vertreter der Macht, der aktuellen Variante des politischen Systems? Einer Gesellschaft, die vielfach geteilt ist. In oben und unten, in arm und reich, in mächtig und ohnmächtig, in sprachlos und einflußreich. Sein Thema, sein Lebensthema ist, natürlich, die Freiheit, die Freiheit des Einzelnen in einer bürgerlichen Gesellschaft. Und die freie, zivilgesellschaftliche Demokratie als Gegenentwurf zur Diktatur, zu vor- oder nachbürgerlichen Gesellschaften feudalen Charakters. Wenn die Freiheit der bürgerlichen Gesellschaft indes, wie derzeit, vor allem dazu führt, daß wenige ökonomisch immer mächtiger werden und immer mehr Menschen dagegen immer weniger haben und in wirtschaftlich prekären Verhältnissen leben müssen, dann ist es mit der Entwicklung unserer Gesellschaft in Richtung eines freiheitlichen Zusammenschlusses freier Bürger mit gleichen Rechte und Pflichten und gleichen Chancen für alle nicht wirklich weit her. Wenn immer mehr Menschen sich von den politischen Eliten lossagen, von Parteien, von Politikern, von Parlamenten, von Regierungen, wenn immer mehr Menschen eigene, neue Formen entwickeln, Interessen durchzusetzen, neue Kommunikationsmöglichkeiten nutzen und entwickeln, dann ist die bürgerliche Gesellschaft nicht wirklich entfaltet. Vom freien, freiwilligen Zusammenschluß freier Bürger, der Citoyens, zu einem Gemeinwesen, in dem Interessen offen ausgehandelt und Konflikte rational verhandelt werden, sind wir noch entfernt. Die bürgerliche Gesellschaft nahm ihren Anfang in der französischen Revolution gegen die feudale Adels- und Klerusgesellschaft. Das Motto für die Umwälzung lautete: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Das ist und bleibt die Richtschnur für die Entfaltung der bürgerlichen Gesellschaft. Freiheit ist Demokratie, demokratische Freiheit für Jedermann. Rechtsstaat, gleiches Recht für alle, Meinungsfreiheit, Versammlungsfreiheit, Demonstrationsfreiheit, Religionsfreiheit, die Freiheit der Kunst, das Recht zur Teilhabe an der Politik, frei von Privilegien, frei von ökonomischer Macht. Aber ohne die beiden anderen Kriterien, Gleichheit und Brüderlichkeit, ist die Freiheit nichts. Gleichheit bedeutet Gleichheit vor dem Gesetz. Gleiche Bildungschancen. Gleiche Lebenschancen. Unabhängig vom Geschlecht, vom Alter, vom gesellschaftlichen Stand, vom Einkommen, vom Vermögen, von Religionszugehörigkeit, von der Hautfarbe, von der Herkunft. Brüderlichkeit. Ich mag dieses ältlich klingende Wort. Lasse mich aber auch ein auf die kirchlich geprägte Nächstenliebe oder die eher gewerkschaftlich gedachte Solidarität. Wenn freie Bürger sich zusammenschließen zu einem Gemeinwesen, dann muß jeder zu diesem Gemeinwesen beitragen. Der Starke stützt den Schwachen, der Reiche gibt mehr als der Arme. Die Menschen verhalten sich brüderlich zueinander. Und es regiert nicht, wie es der neoliberale Zeitgeist vorgibt, die Gier, das Geld, der Erfolg. Mein Auto, mein Haus, mein Schiff. Hast Du was, bist Du was. Das ist lediglich eine Gesellschaft zur Erzielung maximalen ökonomischen Reichtums, die Assoziation der Bourgeois, der Bürger als Wirtschaftssubjekte, die darwinistische Verkümmerung der bürgerlichen Gesellschaft. Achso, ja. Joachim Gauck. Von dem läse oder hörte ich solches gerne.
Monat: Februar 2012
Die Welt steht Kopf.
Ab heute steht die Welt Kopf. Jedenfalls hier im Rheinland. In Köln. Ganz so schlimm wird es bei uns im Bergischen schon nicht werden. Schade eigentlich. Da kann man nur hoffen, daß auch das Wetter mitspielt für den einen oder anderen gelungenen Kopfstand. Und vielleicht läßt sich die Welt aus dieser Sicht aus besser aushalten.
König Otto kommt zurück
Der Präsident geht, der König kommt zurück. Von König Otto ist die Rede. Einst in Griechenland tätig, soll er nun die moribunde Hertha in der Hauptdtadt retten. Otto Rehagel, so melden es die Gazetten, nistet sich wieder ein in die Fußballbundesliga. Ab sofort ist das Wort von der “kontrollierten Offensive” wieder bundesligatauglich. Wer weiß: Vielleicht wird der Dreiundsiebzigjährige ja zum Hauptstadtretter. Dann verneigen sich neben den Griechen auch die Berliner vor dem Ex-Fußball-Rentner.
Half und All, wer soll das verstehen…
So geht’s
Fünfte Jahreszeit
Die Scotchzahnpata. Oder die mit dem typischen Bourbontaste. Wann wäre sie jemals wichtiger als in der fünften Jahreszeit. Schade nur, daß sie in Florida erfunden wurde und nicht im Rheinland. Amerikanischer Unternehmergeist versus rheinische Hastalavistamentalität. Und schade auch, daß sie vermutlich heutzutage nicht mehr zu kaufen ist.
Demographieabgabe
Basta sagte sie, die Kanzlerin. Nein, natürlich nicht. Die Diskussion ist nicht zielführend, sagte sie. Sie formuliert ja als Wissenschaftlerin. Gemeint ist die Debatte um den Vorschlag einiger junger CDU-Funktionäre, eine neue Abgabe für kinderlose Paare einzuführen, sozusagen eine Demographieabgabe. Aus der Opposition wird der Vorschlag als “Strafsteuer” für Kinderlose geschmäht. Und alle sind sich einig. Von “Abzocke” ist da die Rede, von “demographischer Planwirtschaft”, quer durch die Parteienlandschaft. Und ich bin, selten genug, diesmal an der Seite junger CDU-Mitglieder. Was ist eigentlich falsch daran, einmal über Gerechtigkeit in unserer Gesellschaft nachzudenken? Und ist es wirklich gerecht, daß Paare, die Kinder in die Welt setzen, mehr zahlen müssen, viel mehr als Kinderlose, über viele, viele Jahre? Daß sie alleine die Kosten für den Bestand der Gesellschaft tragen, dafür, daß auch in den kommenden Jahren noch Renten erwirtschaftet werden? Denn trotz Steuervorteil und Kindergeld sind kinderlose Paare gleichverdienenden Familien gegenüber erheblich im Vorteil. Ob es eine Abgabe sein muß, bleibt fraglich. Aber warum wird beispielsweise das sogenannte Ehegattensplitting in der Besteuerung nicht in ein Familiensplitting umgewandelt, das auch die Anzahl der Kinder berücksichtigt? Es gäbe so viele gute Möglichkeiten, die Gesellschaft ein wenig gerechter zu machen. Mit Bastapolitik und Schmähungen wird man auf Dauer eine notwendige und überfällige Debatte nicht los. Gottlob
Der gute alte Valentinstag
Valentinstag. Amerikanisches Brauchtum zum Nutzen der Blumenindustrie und der Blumenändler. Stimmt. Aber der Valentinstag kommt nur zurück auf den guten alten Kontinent. Denn der Valentinstag wurde schon 469 für die ganze katholische Kirche eingeführt und geht auf einen christlichen Märtyrer namens Valentinus zurück. Und seit dem fünfzehnten Jahrhundert wird in England der vierzehnte Februar als Tag der Liebenden begangen. Englische Auswanderer nahmen den Brauch mit in die Vereinigten Staaten von Amerika und von dort aus brachten Soldaten ihn zurück nach Europa. Dann also doch: Laßt Blumen sprechen.
Existenzminimum
Da hat jemand um die sechshundertzwanzigtausend Euro an liquiden Mittel auf diversen Banken. Zudem gehören ihm Festgelder in Höhe von dreiundzwanzig Millionen Euro und Wertpapiere für neunhundertsiebzigtausend. Da er aber zuvor eine formidable Pleite hingelegt und Kredite im Wert von einhundert Millionen Euro nicht bedient hatte, sind die Festgelder und Wertpapiere eingefroren. An dieses Geld möchte der Mann nun heran. Weil, wie Spiegel-Online berichtet, der Mann und seine Frau “ohne das eingefrorene Geld (…) vielleicht schon bald nicht mehr flüssig” seien und beide dann nur noch “über das absolute Existenzminimum” verfügten. Kein Witz. Bei dem Mann handelt es sich um Thomas Middelhoff. Ehemaliger Bertelsmannmanager und später Chef von Karstadt-Quelle-Arcandor. Das absolute Existenzminimum. Bei Middelhoffs sind das, wie sie dem Kölner Oberlandesgericht mitgeteilt hatten, etwa fünfunddreißigtausend Euro. Monatlich. Denn für ihre Immobilien in Bielefeld bräuchten sie monatliche Personalkosten von etwa zwanzigtausend und für Bewacher und Gärtner eines “Anwesens” in St. Tropez nochmal etwa fünfzehntausend Euro. Die Middelhoff’sche Variante von Existenzminimum liegt also bei etwa vierhundert- bis fünfhunderttausend Euro jährlich. Dabei ist die Rede noch keineswegs vom, wie Spiegel-Online schreibt, “erhebliche(n) unbelastete(n) Vermögen im Eigentum von Cornelie Middelhof”. Zehntausende von guten Arbeitsplätzen hat dieser Middelhoff mit seiner Pleite vernichtet, zehntausende Mitarbeiter und deren Familien in existenzielle Not gebracht. Und dann salbadert dieser famose Finanzexperte so ahnungs- und gewissenlos vom Existenzminimum daher. Was für eine Gesellschaft. Da werden einem ja beinahe die Schlecker-Kinder sympathisch.




