Was für ein Tag, der achtzehnte Dezember. In diesem Jahr feiern wir den hundertsten Geburtstag von Willy Brandt. Einverstanden: Nicht wir. Nicht wir alle. Nicht jene, die den vierten deutschen Bundeskanzler Zeit seines Lebens wegen seiner unehelichen Herkunft schmähten. Wie beispielsweise Konrad Adenauer. Oder ihn, der sich seinen Namen selbst gegeben hatte, Willy Brandt, im Kampf gegen die Nazidiktatur im norwegischen Exil, bei seinem Geburtsnamen gerufen haben, Herbert Frahm. Brandt alias Frahm hieß es dann hetzerisch aus Deutschlands rechter Seite in den sechziger, auch noch in den siebziger Jahren. Wir, die wir ihm den Kniefall von Warschau verdanken, die Demutsgeste angesichts der Verbrechen Nazideutschlands. Wir, die wir ihm das Wort verdanken, daß Deutschland mehr Demokratie wagen müsse. Wir, die wir das Vertragssystem mit den osteuropäischen Staaten für einen wichtigen Schritt zur Sicherung des Friedens in Europa halten. Wir gedenken heute Willy Brandts. Was für ein Tag, der achtzehnte Dezember. Vor einhundertfünfundzwanzig Jahren etwa wurde Josef Wissarionowitsch Dschugaschwili geboren, der später unter seinem Kampfnamen Stalin eine der übelsten Diktaturen des vergangenen Jahrhunderts anführen sollte. Ein Jahr später dann die Geburt von Paul Klee. Der Maler, dessen Bilder in unseren Unterrichtsmaterialien bei uns Schülern Unverständnis hervorriefen oder auf gewaltige Weise die Phantasie beflügelten. Dreizehn Jahre nach Klee wurde Albin Köbes geboren. Ein Soldat, Matrose, der USPD nahestehend, der sich mit anderen für die baldige Beendigung des Weltkrieges eingesetzt hatte und nach der Niederschlagung eines Soldatenaufstandes neunzehnhundertsiebzehn von der Militärführung hingerichtet wurde. Ein fünfundzwanzigjähriger Vorkämpfer der Novemberrevolution, die zum Sturz der Monarchie und zur ersten parlamentarischen Demokratie in Deutschland führen sollte. Was für ein Tag, der achtzehnte Dezember. Heute vor siebzig Jahren wurde Keith Richards geboren, der beste schlechteste Gitarrist aller Zeiten und, neben Mick Jagger, eines der beiden Gesichter der Rolling Stones. Als Kind noch sang er vor der Königin im Händelschen Oratorium Der Messias, später dann entzückte er die Welt als böser Bube des Rock’ n Roll. Und die junge Welt mit den Gitarrenthemen von The Last Time oder von I Can’t Get No Satisfaction. Sex and Drugs and Rock’n Roll haben ihre Spuren hinterlassen im Leben und im Gesicht des Rockopas. Aber auch in unser aller Leben, so oder so. Heute hören die Opas die Songs der Stones wie ihre Enkel. Wann jemals war Musik derart demokratisch, sogar gleichmacherisch?
Monat: Dezember 2013
Groko
Groko. Das Wort des Jahres. Das Wort des Jahres? Groko? Das ist doch kein Wort. Groko ist eine Abkürzung. Für: Große Koalition. Und Große Koalition sind zwei Worte. Sonst hätte es vielleicht das Zeug zum Unwort des Jahres haben können. Die Gesellschaft für deutsche Sprache kürt alljährlich das Wort des Jahres. Ein Proseminar über Abkürzungen in den Hallen der GfdS in Wiesbaden könnte vielleicht nicht schaden.
Mehrheit, irgendwie …
Nur ganz wenige Ablehnungen. Eine Mehrheit für die Große Koalition, wenn auch teils mit nur geringer Begeisterung, einige Zustimmungen gar nur halb- oder viertelherzig. So das Meinungsbild der Wermelskirchener Sozialdemokraten, die gestern Abend die ausgehandelte Koalitionsvereinbarung diskutierten. Und ich wieder nicht bei der Mehrheit. Wie immer.
Free Nelson Mandela – Amy Winehouse
Nelson Mandela
I learned that courage was not the absence of fear, but the triumph over it. The brave man is not he who does not feel afraid, but he who conquers that fear.
Vielleicht ist es eine besondere Gnade, in der eigenen Lebenszeit das Wirken Nelson Mandelas erfahren zu haben, seinen Triumph der Würde über Apartheid, Ungerechtigkeit und Unmenschlichkeit. Seine trotz Haft und Isolation ungebrochene Humanität, seine Freundlichkeit, seine politische Weisheit, sein Lächeln, seine Kunst, Menschen einzunehmen, zu bezaubern, seine ungeheure Menschlichkeit.
Kopfsache
Frau Andrea Tur Tur
Gestern, via Livestream der SPD, Sigmar Gabriel bei der Regionalkonferenz in Nürnberg. Ein Genosse versteigt sich zum Argument, bei der Mitgliederbefragung handele es sich um eine Scheinabstimmung. Heute vormittag, Deutschlandfunk. Ein zugeschalteter Hörer wählt die gleiche Vokabel, Scheinabstimmung, wenn postuliert werde, nach einer eventuellen Ablehnung der Koalitionsvereinbarung durch die Mitglieder der SPD müsse die gesamte Führung der Partei zurücktreten. Mit Recht. Wer die Mitglieder befragt, muß mit dem Ergebnis auch leben können, so oder so. Eine Befragung der Mitglieder ist nur demokratisch, wenn sie auch ergebnisoffen stattfindet. Wer ein bestimmtes Ergebnis mit Druck zu erreichen sucht, mit der Drohung des Rücktritts der gesamten Führung, wenn die Basis falsch abstimme, der hat wenig verstanden von Demokratie und gehört auch nicht in eine leitende Position. Andrea Nahles hat sich in einem Pressegespräch mit der Welt wohl in diesem Sinne geäußert. Generalsekretäre und Generalsekretärinnen von Parteien dürfen sich gewiß nicht durch überbordende Empfindlichkeit auszeichnen. Eine derart schmerzfreie und die Nöte von zweifelnden Genossinnen und Genossen ignorierende Haltung indes, wie sie Andrea Nahles auszeichnet, sollte in der SPD-Führung keinen Platz haben. Der Scheinriese in Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer hieß Herr Tur Tur. Der erschien dann als Riese, wenn man sehr weit von ihm entfernt war. Nur wer sich ganz nah an den Scheinriesen heranmachte, konnte erkennen, daß er genauso klein und armselig ist wie jeder normale Mensch. Weil sich das aber niemand traute, blieb Herr Tur Tur sehr einsam. Die SPD braucht keine einsame Scheinriesin in ihrer Führung, sondern eine Generalsekretärin, die nicht taub ist gegen Bedenken der Mitglieder gegen das von den Riesen in der Partei ausgehandelte Konvolut.
Vorwärts, Deutschlands Zukunft gestalten
Heute angekommen. Ein wenig zerrupft und zerknittert, vom Regen ramponiert, weil zu dick, um in den Briefschlitz zu passen. Die Briefträgerin hätte schon besondere Mühe walten lassen müssen, damit das dicke Bündel Papier, die Koalitionsvereinbarung im Gewand des Vorwärtssonderdrucks, unbeschadet unseren Hausflur erreicht. Und das kann man nicht von ihr erwarten. Samstags muß es besonders schnell gehen. Habe ich mich bislang auf die Version der Koalitionsvereinbarung berufen, die im Netz kursiert, muß ich mich nun mit etwas aufgeweichtem Papier herumschlagen. Anyway. Die Vereinbarung mit den Unterschriften von
Frau Merkel und den Herren Seehofer und Gabriel wird auch als nasses Papier nicht besser. Der gemeine Sozialdemokrat, der seine Partei nicht schon wieder als unkenntlicher Juniorpartner ohne Prokura in einer von Christdemokraten dominierten Bundesregierung erleben und mithin dem Impuls folgen möchte, die Koalitionsvereinbarung abzulehnen, muß sich nun mit einem öffentlich verhandelten Argument auseinandersetzen, daß im Falle der Ablehnung durch die Mitglieder ja die komplette SPD-Führung zurücktreten müsse. Da muß man durch, ohne sich irre machen zu lassen. Die Parteiführung hat beschlossen, die Mitglieder zu befragen. Also wird sie mit dem Ergebnis leben müssen. So oder so. Die SPD-Mitglieder müssen ja auch mit einer Koalitionsvereinbarung leben, mit deren Inhalten sie womöglich nicht wirklich einverstanden sind oder die Ihnen nicht weit genug gehen. Da muß man durch. Das Fußvolk wie die Parteioberen. Ich werde mich wahrscheinlich nicht für die große Koalition erwärmen können. Mal sehen, was die in den kommenden Tagen stattfindenden Beratungen der SPD noch so ergeben werden. Gleichwohl möchte ich der SPD-Führung meinen Respekt zollen für die Mitgliederbefragung. Die Beteiligung der Mitglieder, wenn es um substanzielle Richtungsfragen geht, stellt eine wichtige und notwendige Weiterentwicklung der innerparteilichen Demokratie dar. Mein Votum gegen die große Koalition ist kein Votum gegen führende Gremien und Personen der SPD, namentlich Sigmar Gabriel.