Monat: August 2016

Sprache, Ton und Umgang

Es geht in dieser grenzenlosen Welt um Kommunikation, um Sprache, Ton und Umgang. Das ist eine zutiefst politische Angelegenheit, weil Kommunikation über den Umgang in einer Gesellschaft entscheidet, weil sie das Klima zwischen Staaten bestimmt, weil sie über die Wahrnehmung, pathetisch gesprochen: über die Wahrheit entscheidet – oder das, was viele Menschen als richtig und wahr empfinden. (…) Enthemmte Kommunikation radikalisiert, sie befördert den Hass, sie reißt Barrieren von Anstand und Würde ein. Weil die Hemmschwelle sinkt, steigt das Bedürfnis nach immer radikalerem Wahnsinn. Nicht zufällig haben gerade jene Populisten Konjunktur, die es nicht so genau mit der Wahrheit halten, die ihre Macht auf der Lüge aufbauen, die möglichst schrill, apokalyptisch und undifferenziert daherreden. (…) Der Terror nutzt die Errungenschaften einer freien Gesellschaft und wendet die Werkzeuge der grenzenlosen Kommunikation gegen ihre Erfinder. Das ist eine bittere Lektion gerade für jene Medien, die wie eine gewaltige Umwälzpumpe für Kommunikation funktionieren und sich den Beinamen sozial geben. Weil es aber nicht sozial sein kann, wenn man als Plattform für Verbrechen und Hass dient, müssen Facebook & Co, müssen all die Chat-Foren und Kommunikationsdienste den Missbrauch ernst nehmen. Datenschutzbestimmungen oder die Rechtslage, gerade bei amerikanischen Firmen mit ihrem speziell ausgeprägten Verständnis von Meinungsfreiheit, sind von höchstem Wert. Ohne Wert ist aber das Argument, man trage als Plattform keine Verantwortung für Inhalte. Verantwortung lässt sich nicht abgeben.

Stefan Kornelius, Terror und Medien. Am Scharnier, in der Süddeutschen Zeitung vom achten August Zweitausendundsechzehn

Verbale Inkontinenz

Nicht alles muss getwittert, auf Facebook geteilt oder einem vermeintlich Vertrauten gesteckt werden. Diese verbale Inkontinenz, das ständige Über-alles-reden-Müssen, die Distanzlosigkeit und die Unfähigkeit zur Diskretion, die sich im Privaten, im Geschäftsleben und in der Politik zunehmend breitmacht, bereitet mir schon lange Unbehagen

Anja Seipp aus Köln in einem Leserbrief in der Süddeutschen Zeitung vom fünfzehnten August Zweitausendundsechzehn

Hinz und Krethi

Tom, Dick and Harry. So heißt man sie in Englisch. Fulano, Zutano y Mangano in Spanisch. Pierre, Paul ou Jacques im Französischen. Und bei uns nennt man sie Hinz und Kunz. Jedermann ist gemeint. Jedefrau eigentlich auch. Hinz und Kunz. Heinrich und Konrad. Allerweltsnamen. Jedermannsnamen. Jedenfalls im Hochmittelalter. Da waren sie inflationär gebräuchlich. So, saß man mit den beiden Kurzformen, Hinz und Kunz eben, jeden meinte, alle, die, die nichts besonderes darstellten, Du und ich sozusagen. Wie ich drauf komme? Weil der Name Hinz derzeit in aller Munde ist. Nicht als Kurzform für Heinrich, sondern als Nachname von Petra. Jener Petra, die in Essen reüssierte, weil sie sich ein Abitur erlog, ein komplettes juristisches Studium, das Referendariat samt beider Staatsexamina. Und mit diesen Weihen versehen dann stracks für die SPD in den deutschen Bundestag einzog. So weit, so bekannt. Achtung und Respekt, Anerkennung, Zuneigung, alles fußt auf Betrug. Jeder Hinz und jeder Kunz haben mehr Anstand, mehr Ehre. Petra Hinz unterschied sich in nichts von Hinz oder Kunz oder Krethi, bis sie sich ihre Meriten erlog. War sie als Hinz nicht gut genug für die Karriere in Partei und Parlamenten? Muß man in der SPD oder in anderen Parteien mit dem Doktortitel winken können, um zu gelten? Mit anderen Titeln, akademischen Weihen? Es wäre furchtbar. Und: Wenn man dann aufgeflogen ist, wie lange darf man aus dem Betrug dann noch Kapital schlagen? Petra Hinz hat sich krank gemeldet und ist abgetaucht. Ihre Ankündigung, ihr Mandat zurückzugeben, hat sie noch nicht wahrgemacht. Seit fast zwei Wochen, dreizehn Tagen genau, nachdem ihr Betrug bekannt geworden ist. Wenn sie wirklich erst im September, wie heute zu lesen ist, dem Bundestagspräsidenten gegenüber ihren Mandatsverzicht aussprechen wird, dann wird sie circa achtundzwanzigtausend Euro kassiert haben nach ihrer Rücktrittsankündigung. Anstand kann man sich nicht erlügen.