Fußball, die Bundesligen, die europäischen Wettbewerbe, Championsleague, Europaleague, Conference League haben das Fußball-TV-Angebot enorm verbreitert, nachgerade täglich findet in den TV-Anstalten Profifußball statt. Mit den immergleichen Zutaten, der ausgedehnten Vorberichterstattung, der von Kommentator und Experten vollgequatschten Spielübertragung, einer ausgedehnten Nachberichterstattung sowie den offenbar unausrottbaren und nur allzu selten erhellenden Spieler- und Trainerstatements nach dem Spiel. Die Mannschaft, die Kicker, in aller Regel volljährig und gestandene Männer, zumeist millionenschwer und vielfach abgehoben in eigenen Welten lebend, werden dabei in den Trainersuaden mehr und mehr als „die Jungs“ bezeichnet, ganz so, als hätte man es mit einer C-Jugendmannschaft von Vierzehnjährigen zu tun. Die Jungs. Die Jungs haben gekämpft, die Jungs hatten eine gute Einstellung, die Jungs, die Jungs. Auch diese euphemistische Formulierung vermag die Zuschauer nicht davon zu überzeugen, daß es die Jungs von nebenan sind, die den Profifußball tragen. Wer zu Spielen den Coiffeur aus London einfliegen läßt, wer mit dem Lamborghini zum Spiel fährt, wer ein Vielfaches dessen kassiert, was das Salär des Trainers ausmacht, sind nicht „die Jungs“, nicht Jungs mit dem Potential der Fanbindung. Eher Höchstbezahlte, oft Wanderarbeiter, die dem Geld folgen, deren Identifikation mit dem anstellenden Verein mitunter die Vertragslaufzeit deutlich unterschreitet. Die Jungs, eine verklärend-verharmlosende Sprache.
Kategorie: Wermelskirchen
Ökodiktatur und Sozialismus
Die Dänen haben eine Luxusteuer für Autos, ein Tempolimit von 130km/h, ein Verbot von Öl- und Gasheizungen in Neubauten, hohe Steuern und sichere Radwege und gehören zu den glücklichsten Menschen der Welt, während hierzulande all dies als Ökodiktatur und Sozialismus gelten würde.
Fundstück aus Twitter
Peinlich
Echte Linke und falsche Linke
Robert Misik ist österreichischer Journalist und politischer Schriftsteller. In den sozialen Medien meldet er sich auch mit dem Newsletter “Vernunft und Ekstase” zu Wort, zum geschliffenen Wort. Hier “Vernunft und Ekstase” von heute, made my day:
Die Wagenknechte und ihre fragwürdigen Phrasen kann man leicht kritisieren. Aber was sind eigentlich die Prinzipien eines demokratischen Sozialismus? Über die sachlichen und moralischen Fragwürdigkeiten mancher linker „Friedens“-Phrasendrescherei ist längst viel gesagt. Etwa, dass regelrecht so getan würde, als hätte die Ukraine mit Hilfe des ruchlosen Westens Russland angegriffen, als wäre die kleine Ukraine ins arme Russland einmarschiert. Dass dem Angegriffenen, der sich bloß wehrt, vom hohen Ross herunter geraten wird, er möge sich ergeben, vergewaltigen, massakrieren lassen. Die autokratische Natur des Moskauer Regimes wird verleugnet, dessen faschistoide Rhetorik ignoriert, und mitunter wird sie relativiert, indem irgendwelche Defizite der ukrainischen Demokratie so behandelt werden, als bewege sich das auf dem gleichen Niveau wie Putins Gulag-Konterrevolution. Die innere, psychologische Motivation solcher Rede ist vermutlich nicht bloß ignorantes Desinteresse an der diktatorischen Natur dieser Herrschaft, sondern – schlimmer – eine verborgene Sympathie für dieselbe, eine klammheimliche Identifikation. Gerade Putins Ruchlosigkeit führt zu einer (wahrscheinlich sogar uneingestandenen) Bewunderung, da sie als Entschlossenheit und Standfestigkeit erscheint, die man selbst gerne hätte. Noch in den Schwundformen von Achtung gegenüber einem Potentaten steckt eine Art „Penisneid“. Der Kriegsherr, der nicht zuckt und sich gegen die halbe Welt stellt, ist Quelle verdrängter Bewunderung. Auch eine scheinbar nur pazifistische Haltung kann äußerst fragwürdige Motivationen nicht verbergen, wie schon George Orwell vor vielen Jahrzehnten hellsichtig beschrieb: „Die Mehrheit der Pazifisten gehören entweder zu eigenartigen religiösen Sekten oder sie sind ganz einfach Humanisten, die es ablehnen, irgendjemanden das Leben zu nehmen und die über dieses elementare Prinzip hinaus jede weitere Überlegung ablehnen. Aber es gibt eine kleine Gruppe intellektueller Pazifisten, deren reales, doch uneingestandenes Motiv der Hass auf die westliche Demokratie und die Bewunderung des Totalitarismus ist. Pazifistische Propaganda wird üblicherweise auf die simple Behauptung verdünnt, dass die eine Seite genauso schlecht wie die andere sei, aber wenn man die Schriften jüngerer Pazifisten genauer betrachtet, dann stellt man fest, dass sie keineswegs beide Seiten auf die gleiche Weise anklagen, sondern beinahe ausschließlich Großbritannien und die USA.“ Antidemokratische Affekte von der Art „Wo gehobelt wird, da fliegen Späne“, die in früheren Zeiten unter antiliberalen Linken verbreitet waren und mit denen man entartete Sozialismen sowjetischer Bauart gerechtfertigt hatte, werden einfach emotional auf den rechtsradikalen KGB-Mafia-Kapitalismus übertragen, den Putin etabliert hat. Soweit, so skurril. Man sollte die Gelegenheit für eine klare Grenzziehung nützen, aber nicht nur zur Kritik wirrer Ansichten. Was sind eigentlich die Prinzipien eines demokratischen Sozialismus? Ein demokratischer Sozialismus, der den Versuchungen des Autoritären widersteht, wird nie Werte von Freiheit, Grund- und Menschenrechten und die politischen Freiheitsrechte für Vorstellungen einer formierten Gesellschaft opfern, mag die sich noch so sehr mit antiimperialistischem oder sozialem Wortgekringel aufhübschen. Die sogenannten „bürgerlichen“ Freiheitsrechte sind zu kritisieren, weil sie nicht weit genug gehen, aber nicht als Nebensachen oder Täuschungen abzutun. Nicht weit genug gehen sie, weil sie die Bedingungen der Freiheit ignorieren, die nötigen Voraussetzungen, diese Freiheit auch zu leben, etwa eine soziale Gleichheit, ohne die die Freiheitschancen sehr ungleich verteilt würden. Zum tragenden Umfeld der Freiheitsrechte gehören Autonomie, die Achtung vor Anderen und ihrer Ansichten, aber auch die Freiheit jedermanns und jederfrau, sein oder ihr „Ding“ zu machen, weshalb die Existenz von Freiräumen entscheidend ist, in denen diese Freiheit sich verwirklichen kann, gewissermaßen Brutplätze der Autonomie. Diese Brutplätze sind nicht nur von autoritärer Herrschaft, sondern auch von Konformismus, klebriger Traditionshuberei und auch von Totalökonomisierung bedroht. Ein Sozialismus, der die räuberische Mentalität des Kapitalismus bändigen oder sogar überwinden will, braucht einen starken Staat, der ökonomische Regulierungen setzt, kräftige Sozialsysteme etabliert, Investitionen steuert und vieles mehr, aber gerade deshalb diese Freiheiten durch eiserne Regeln schützen muss, wie schon Karl Polanyi bemerkte: „In einer etablierten Gesellschaft muss das Recht auf Nonkonformismus institutionell geschützt sein.“ Eine kollektive Befreiung ist ihren Namen nicht wert, wenn die Befreiung der Einzelnen nicht ihr eigentliches Ziel ist. Dabei kann man sich ruhig an Karl Marx halten, demzufolge es gelte, „alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist“. Echte Linke fieberten deswegen mit Vaclav Havel, Alexander Dubcek und anderen im Jahr Neunzehnhundertneunundachtzig in der Laterna Magica und drückten nicht Figuren wie Husak, Jakes oder Honecker die Daumen. Der moralische Kompass echter Linker darf niemals zittern und ruckeln – sie stehen auf der Seite der Freiheitskämpfe aller, die geknechtet oder von Knechtschaft bedroht sind. Unterdrückten oder Bedrohten zu raten, sie mögen sich des lieben Friedens willen nicht wehren, bedeutet letztlich nichts anderes, als sich auf die Seite der Henkersknechte zu stellen. Der moralische Kompass echter Linker darf niemals zittern und ruckeln – sie stehen auf der Seite der Freiheitskämpfe aller, die geknechtet oder von Knechtschaft bedroht sind. Unterdrückten oder Bedrohten zu raten, sie mögen sich des lieben Friedens willen nicht wehren, bedeutet letztlich nichts anderes, als sich auf die Seite der Henkersknechte zu stellen. Ob in Freiheitskriegen demokratischer Gesellschaften gegen faschistische Nationen (wie etwa im Krieg gegen die Nazis), ob in Widerstandsbewegungen gegen autoritäre Diktatoren oder eine Soldateska (vom Spanischen Bürgerkrieg bis zu den Aufständen gegen Potentaten wie Somoza), ob in antikolonialen Befreiungskriegen wie der algerischen FLN gegen das imperiale Frankreich – in all diesen Fällen ist eine „Neutralität“ oder ein billiger „Bothsidismus“ einfach eine unmoralische Sache. Der Widerstand der ukrainischen Gesellschaft gegen Russlands Invasion hat viele Elemente dieser geschichtlichen Kämpfe, also des Widerstandes gegen faschistische, expansionistische Regimes und des Widerstandes gegen (post-)koloniale Unterdrückung. Entweder stehst du auf der Seite der Freiheit oder auf der Seite der Reaktion, Tertium non datur. Da ein demokratischer Sozialismus einerseits von seinen grundlegenden Prinzipien nie abweichen darf, andererseits nicht im Wolkenkuckucksheim, sondern in der wirklichen Wirklichkeit operiert, darf er auch den Realismus nicht aus den Augen verlieren. Der verlangt häufig verwickelte Abwägungsfragen und Balanceakte. So wird man, wenn immer möglich, Kriege zu vermeiden suchen, gelegentlich auch um den Preis von Kompromissen mit schlimmen Fingern. Wenn man gegen alle Feinde der Freiheit Krieg führen würde, würde die Welt in Gewalt untergehen und die Freiheit höchstwahrscheinlich keinen Millimeter voran kommen. Gerade eine humanistische Idee, die dem zynischen „Wo gehobelt wird, da fliegen Späne“ nichts abgewinnen kann, muss jedes Menschenleben retten, das gerettet werden kann. „Der Frieden ist nicht alles, aber alles ist ohne den Frieden nichts“, formulierte Willy Brandt. Der Befreite hat nichts von der Befreiung, wenn er nach der Befreiung tot ist. Der Realismus lehrt, dass man im Notfall natürlich auch mit dem Teufel zu verhandeln hat, aber ebenso, dass sich mit bewaffneten Gangstern besser verhandelt, wenn man selbst bewaffnet ist. Moralische Klarheit und Besonnenheit widersprechen sich nicht. Ja, praktisch alle Kriege enden mit Verhandlungen. Nur: Ob diese Verhandlungen gerechter oder weniger gerecht ausgehen, darüber entscheidet leider auch das Geschehen in dem, was die Amerikaner so lapidar das „Theater of Operation“ nennen. Echte Linke können schwerlich Pazifisten sein, aber sie hassen den Krieg. Übrigens auch aus folgendem Grund: Krieg ist niemals eine Schule der Zärtlichkeit. Gewalt verroht, und zwar auch die Gegner der Rohheit. Auch Befreiungskriege werden eher häufig eine unerfreuliche Nebenfolge haben, nämlich die Stärkung des Autoritären, des Kommandohaften der Militärs, die Brutalisierung derer, die die Brutalität verabscheuen. Vom Bolschewismus bis zu irgendwelchen Caudillos ist die Welt voller Beispiele für diesen Sachverhalt. Deshalb ist auch die die Romantisierung der Gewalt, wie sie in linken Milieus auch nicht ganz selten ist, eine Verirrung. Der Krieg, der der ukrainischen Demokratie aufgezwungen wurde, schwächt diese Demokratie natürlich, das ist ja überhaupt keine Frage: Auch Verteidigungskriege stärken die Zensur, bedrohen die freie Rede, haben die selbstverständliche Eigenschafft, dass die Reihen geschlossen werden, und die Gegenwehr überfallener Gesellschaften führt zu unschönem Nationalismus. Man weiß das. Und weil man das weiß, sollte man es immer berücksichtigen. „Auch der Hass auf die Niedrigkeit / Verzerrt die Züge“, formulierte bereits Brecht. Opposition wird zum Schweigen gebracht, ja, die Opposition erlegt sich selbst ein Schweigen auf, um „dem Feind keine Munition zu liefern“. Der „Leitstern“, schrieb Timothy Garton Ash über „Ukraine in Our Future“ müsse jener sein, den George Orwell stets verfolgte: „Kämpfe für die richtige Seite, aber bleibe unbestechlich kritisch gegenüber deren Fehlern“.
Robert Misik, Echte Linke und falsche Linke, in: Vernunft und Ekstase, Newsletter von heute
Stairlift to Heaven
Das hohe Lied auf den Treppenlift
Gut, einen Geburtstag auszulesen und damit das Alter des Users zu bestimmen, ist weiß Gott keine Großtat künstlicher Intelligenz. Aber wo immer ich mich in den letzten Jahren in den Weiten des Netzes herumgetrieben habe, war ein Ergebnis doch immer auch das Gleiche: Ich habe die Altersgrenze für Treppenlifte überschritten. Offenbar. Neben medizinischen Hilfsmittelchen für funktionierende Erektion und Blasentätigkeit taucht seither auch der Treppenlift auf der Liste der Offerten des künstlich Intelligenten auf. Immer mal wieder. Mitunter in die Frage verpackt, ob ich denn wüßte, zu welchem Eurokurs ich ein solches Verkehrsmittel erwerben könnte? Und? Ich hab’s natürlich abgetan. Im Kopf zu einer eher wegwerfenden Handbewegung gegriffen und mich nicht weiter drum gekümmert. In den letzten Monaten aber haben Lunge, Beine und Muskeln immer wieder und immer mehr geschwächelt, wenn es um die Treppe in den ersten Stock unseres Hauses geht und ging. Bis ich es gegen Ende des Jahres gar nicht mehr ins Erdgeschoß geschafft habe. Dann aber haben wir einen Treppenlift angeschafft. Dessen Segnungen genieße ich nun mit gehöriger Verspätung, habe ich die ersten beiden Monate des Jahres doch aushäusig zugebracht, im Hospital. Nun fahre ich mehrfach am Tag stark entschleunigt von unten nach oben und zurück. Das dauert. Ein Treppenlift ist kein Rennwagen, nichts, an dem man schrauben, nichts, dem man ein paar PSchen zusätzlich verpassen könnte. Aber das Oben hat seinen immanenten Schrecken verloren. Ich begebe mich nun auch für einen einzigen Kaffee wieder nach unten. Soviel Zeit muß sein. Lift-Zeit ist eben auch Kontemplations-Zeit.
Silvestervariante
Mit annähernd Zweiundsiebzig sollte man so ziemliche alle Varianten des Silvesterfestes durch haben. Die der jugendlichen Clique mit Böller und nicht viel, aber genug Alkohol, des Party-Paares mit Freunden mit viel Alkohol und weniger Böllern, die Fêten mit Kindern und ohne Kinder, die gesetzt-geruhsamen Jahresübergänge mit leckersten Zutaten, aber doch auch weniger Alkohol, die Silvesterabende zu Hause, ohne Böller und nur Sekt zum Anstoß aus Neue Jahr. Ich versuche mich heute an einer für mich noch unerprobten Variante. Mit einem fremden Mann in einem Zimmer des hiesigen Krankenhauses, so ganz ohne jedes Familienmitglied, ins neue Jahr zu rutschen. Vermutlich sogar ohne Alkohol, allenfalls dem zum Einreiben. Mal sehen. Ich werde berichten. Jedes Fest ist es wert, angemessen gefeiert zu werden. Ich wünsche Euch allen jedenfalls einen gesunden Übergang ins Neue Jahr. Wir trinken dann ein bißchen später drauf.
GLASSES FROM OUTERSPACE
VON WOLFGANG HORN
Der zweite Weihnachtsfeiertag hatte so seine Tücken. Die provisorische Lesebrille, die meinen relativ frisch gelaserten Augen die Arbeit mit Computer, Tablett, iPhone und Apple-Watch möglich machte, gab nach wenigen Tagen schon die Zusammenarbeit auf. Das heißt: eigentlich nur das rechte Glas. Heute, gleichsam am dritten Weihnachtsfeiertag, nahte aber bereits Rettung: Gudrun Kirst. Sie ist die Inhaberin des Optikergeschäfts Sehenswert an der Kölner Str. 29, eingesessenen Dellmännern als „Madel“ gewiß ein Begriff. Frau Kirst nahte mit einem groß dimensionierten Koffer mit unzähligen verschiedenen Brillengläsern aller nur denkbaren Stärken und Einstellungen. Flugs schuf sie eine sechs Meter lange Schneise, stellte Ihre Meßtafeln mit Texten und Zahlen auf, ganz, wie man es im Optikergeschäft auch macht. Ein Gestell auf die Nase und das mitunter mühselige Verfahren beginnt.

Der Nichtseher beschreibt dem Sehenden, was er erkennen kann und was nicht, wo die Blindheit beginnt. Try and error, Versuch und Irrtum. Ist es so ein bißchen schärfer? So vielleicht? Können Sie die untere Reihe auch lesen? Und ganz links, was für ein Buchstabe ist das? Dann aber hat man es geschafft, das Team Optikerin und brillenloser Kunde, sind zu einem Ergebnis des Gemeinsem Ratschlages gekommen. Eine Lese- und Computerbrille, die den ganzen unmittelbaren Körperbereich zu erkennen möglich macht. PC, iPhone, Uhr, Buch und Zeitung, Brief. Toll. Und am allerbesten: Das Untersuchungsgestell ist der Hammer. Die Partybrille. Glasses from Outerspace. Elton John wäre neidisch. Leider weigert sich Frau Kirst, dieses formschöne Teil in ihr Programm aufzunehmen. Das war heute das allererste Mal in meinem nun bald zweiundsiebzigjährigen Leben, daß eine Brillenanpassung bei mir zu Hause stattgefunden hat. Den Arztbesuch kennt man, immer noch, gottlob. Händler liefern bis ins Haus. Gottlob. Fußpflegerinnen und Friseurinnen arbeiten ebenfalls ambulant. Aber der Hausbesuch der Optikerin ist für mich die absolute Premiere. Das sollte Schule machen in einer immer älter und womöglich immer immobiler werdenden Gesellschaft.
(Zuerst erschienen im Forum Wermelskirchen)
Die Nobelpreisvariante
Wenn sich gekrönte Häupter der ganzen Welt, Staatenlenker, Industrielle, Bürokraten, Scheichs, Minister, Kanzler, Professoren, Forscher, Potentaten von der einstigen Mutter des Punk, Patti Smith, das Lied singen lassen müssen, das ein einundzwanzigjähriger „Protestsänger“, Bob Dylan, 1962 womöglich als Allegorie auf den Atomstaub nach den vielen oberirdischen Testexplosionen geschrieben hatte, ist das für mich immer wieder ein großartiges Erlebnis. Die Welt ändert sich. Zu langsam, zugestanden. Aber wer hätte 1962 auch nur einen Dime gegeben auf das Ereignis, das ich mir immer wieder anschauen kann. Meine Lebenspanne reicht von der scheuklapprigen Nachkriegszeit in eine Zeit und eine Gesellschaft, in der die Eliten jenen zuhören müssen, sie ehren dürfen, ihre Werke anerkennen, die sich um die eine Welt des Friedens mühen, der sozialen Gerechtigkeit, der Nachhaltigkeit und der Schonung der Natur, des gemeinschaftlichen Kampfes für demokratische Verhältnisse und Einrichtungen, für eine Kultur des Streits mit dem Ziel der gemeinschaftlichen Überzeugung. A hard rain. Selbst der saure Regen oder der Klimawandel sind spürbar. Aber es treten eben auch das von Wölfen gehütete Kind auf, die Jungfrau mit dem brennenden Körper, die zehntausend Redner mit gebrochenen Zungen, die hundert Trommler mit brennenden Händen, die Männer mit blutenden Hämmern, die zwölf Berge und sieben Wälder, die Leiter im Wasser, die menschenleere Straße voller Diamanten, die alles verschlingende Flutwelle, das Mädchen, das einen Regenbogen schenkt. Die Apokalypse. Gottes Zorn. Der Dichter endet in der Gosse. Der Clown weint. Ein Mensch hungert. „Where souls are forgotten“.
Und Patti Smith, Freundin von Dylan, ist ebenso ergriffen, wie es Teile des Publikums sind, nervös, aufgeregt. Es nutzt alle Erfahrung nichts, wenn zum in der ganzen Welt geachteten und gleichsam gesiegelten Kulturgut hinzugefügt wird, was einst der Verhöhnung diente, der Beleidigung, der verächtlichen Ausgrenzung. Oben und unten haben ausgedient. Hoch und Alltag. Kultur ist Kultur ist Kultur.


