“Wir brauchen solidarisch finanzierten Journalismus, der sich am Gemeinwohl orientiert, der Bürgerinnen und Bürger eben nicht primär als Konsumenten adressiert, sondern als Bürgerinnen und Bürger. In Zeiten von sozialen Medien, Desinformation, Polarisierung und Kommerzialisierung brauchen Bürgerinnen und Bürger Orte der Information und Selbstverständigung. Wenn es die heute nicht gäbe, müsste man sie erfinden. Aber dann würde man sie eben auch ganz anders bauen, inklusive der Gremien.”
Leonard Novy, Direktor des Instituts für Medien- und Kommunikationspolitik im Interview mit der Tageszeitung taz (Johannes Drosdowski), gefragt nach der Berechtigung des Öffentlich-Rechtlichen Rundfunks, zitiert nach Altpapier
Kategorie: Wermelskirchen
Da bin ich Fan von
Gestern Abend. Fernsehen. Frauenfußball vom Feinsten. Die deutschen Kickerinnen besiegen die französischen Ballkünstlerinnen. Nach langem Kampf auf Augenhöhe. Ein TV-Sporterlebnis ersten Ranges. Die Damen spielen einen erstklassigen Ball, das Spiel ist athletisch und schnell, technisch versiert. Die Spielzüge machen die ganze Schönheit dieses Sports deutlich, auf beiden Seiten zudem. Frauenfußball ist erstklassig, mittlerweile. So wie Männerfußball zumeist auch erstklassig ist. Es handelt sich indes um zwei Sportarten, zwei verschiedene. Wie beim Handball, Eishockey, Radrennen, Boxen oder Turnen auch. Es gibt keinen Grund mehr, keinen einzigen, naserümpfend an das Unternehmen Frauenfußball heranzugehen. Der Damenfußball hat sich emanzipiert von beleidigenden Entwertungen. Frei nach Stoppok singe ich das Hohelied des Damenfußballs: Da bin ich Fan von. Und dann noch: Nach dem Spiel sind die Damen überzeugender, authentischer, bedachter als ihre männlichen Pendants. Keine gestanzte Sprache, frische, kluge, auch selbstkritische Statements. Bei Fußballern tue ich mir das seit langem nicht mehr an. Den Damen kann ich noch gut zuhören und zusehen. Auch nach dem Spiel. Vielen Dank, Ihr teutonischen Kickerinnen.
Aus dem Skizzenbuch: Julisonne
Leadership
Und es stehen ja auch unangenehme Fragen im Raum: Seit den Bestsellern von Hoimar von Ditfurth und Franz Alt in den siebziger und achtziger Jahren wissen hier alle, dass es mit einem auf fossilen Energien basierenden Wachstumsmodell nicht weitergeht. Deutschland ist ein Land der Erfinder, Bastler und Tüftler, es ist schon bizarr, ja verdächtig, dass Verfahren und Technologien, die erneuerbare Energie nutzen, sich hier nicht längst durchgesetzt haben. Warum gibt es keinen deutschen Tesla, warum steht nicht auf jedem Dach eine Fotovoltaik-Anlage aus europäischer Produktion? Auch die großen Konzerne setzten auf weiter so, ökologische Innovation und technologische Kreativität wurden ausgebremst, Risiken wurden gescheut. Es ist nicht allein die Schuld früherer Bundesregierungen, so wollte des die Mehrheit der wählenden Bevölkerung, so wollte es die deutsche Wirtschaft und die Boulevardpresse. Es waren die “Geiz ist geil”-Jahre, die netten Jahre, in denen Deutschland allen anderen Ländern gern gute Ratschläge spendierte. Der “ökologische Umbau der Industriegesellschaft”, den Oskar Lafontaine im Wahlkampf 1990 anmahnte – all so was war zu aufwendig, zu stressig, zu teuer. Man muss differenzieren: Es gab die Grünen und viele andere Gruppen, die gewarnt und im kleinen Rahmen einen Umbau vorgenommen haben. Aber die Mehrheit der Leute wollte ihre Ruhe, die Reichen wollten reicher werden und die Regierenden haben serviert, was bestellt wurde.
Nils Minkmar, Denk nicht an Winter. Wie wär‘s mit Leadership?, in: Newsletter, Der Siebte Tag
Wie weiter? Eine Zeitenwende ist keine private Angelegenheit, über Duschpraxis und Nebenkostenabrechnung allein kann der Umbau nicht geregelt werden. Bezahlen müssen ihn jene, die in den vielen guten Jahren der billigen Energie so immens reich geworden sind. Wir brauchen, wie nach dem Krieg, ein Lastenausgleichsgesetz. Es ist die Stunde der Exekutive und nicht des permanenten Dialogs, sondern der Entscheidungen. Ich hätte nie gedacht, dass ich das mal schreibe, aber diese Republik braucht Leadership.
Reim auf geiler
“Layla” ist einer der bezauberndsten und beliebtesten arabischen Frauennamen. Er sieht ebenso schick mit i wie mit y aus, macht sich gut mit e oder a, und bedeutet “Nacht”, oder “schönste aller Nächte”. Dass der Name sich mit viel gutem Willen und einem wackeligen Reimverständnis auf “geiler” reimt, dafür kann er nichts. Jenes wackelige Reimverständnis hat vor einer Weile auch ein DJ-Duo namens “DJ Robin & Schürze” bewiesen, und auf dem Sampler “Ballermann Hits Zweitausendzweiundzwanzig” ein harmonisch und musikalisch recht dürftiges Tanzlied namens “Layla“ veröffentlicht, vier Akkorde im Vier/Viertel Takt, viel Refrain, Kirmestechnosound. Vor ihn wurde auf der CD ein Stück namens “Kopfweh” von “Frenzy Blitz” kompiliert, ihm folgt “Unten Kommt Die Gurke Rein” von einer Band namens “Die Sacknähte“. (Weil ich zuweilen meinen Augen nicht traue, habe ich “Die Sacknähte” recherchiert: Es handelt sich um den DJ Namen der Podcaster-Comedians Tommi Schmitt und Felix Lobrecht, das tut eigentlich hier nichts zur Sache, ich wollte nur wissen, welche Art Humor man für einen solchen Bandnamen generieren muss. Ist nicht ganz meiner, aber ich bin ja auch schon ÜAchtzehn und gehe zum Lachen ins Tiefparterre der Super-Emanzen.)
Jenni Zylka, Schöner, jünger, geiler, in: Altpapier
Verstummt
Eine Lungenerkrankung mit einer Reihe von Krankenhausaufenthalten und dann, seit Zweitausendundzwanzig, Corona. Mit allen Lockdowns, allen Virenvarianten, allen Impfungen und in dem Wissen, daß man sich als Lungengeschädigter älterer Herr besser nicht infiziert, da Covid-2 durchaus problematisch für mich und die Gruppe Gleichgeschädigter verlaufen kann. Die Folge: Anders als im vorpandemischen „Vorleben“, trage ich fast überall eine Maske und meide Menschen, soweit sie in kleineren und größeren Gruppen auftreten. Keine Versammlungen, keine Konzerte, keine Diskussionsrunden, keine Stadtratssitzungen, keine Feste, keine Kneipenbesuche, keine Familienfeiern. Treffen fast ausschließlich digital, über Zoom & Co. oder Jitsy Meet. Gleichsam ein Leben in der heimischen Eremitage. Ich bin nicht wirklich und nicht gerne Eremit, Einsiedler. Denn mir fehlen, wie anderen Menschen auch, die Gespräche, Umarmungen, die Nähe, der Spaß in Gemeinschaft, auch die dosierte Trunkenheit. Das Telefon, Facetime, Zoom sind allenfalls dürre Abstraktionen direkter Kommunikation. Abstraktionen indes, auf die in diesen Zeiten erst recht nicht verzichtet werden darf. Ohne all das, ohne Telefon und Tablet und Computer wäre das zurückgezogene Leben im Haus in der Hagenstraße wirkliche Einsiedelei. Auch die technisch vermittelten Begegnungen sind Begegnungen, wenn auch anderer Art, sind zudem oft Zuwachs an Kenntnissen und Informationen. Mehr noch: Diese Technologie hat mir in den vergangenen Monaten die eine oder andere bereichernde Begegnung verschafft, Seminare, politische und gesellschaftliche Debatten, Foren und Gesprächsrunden in den Weiten der Republik, die ich analog niemals hätte besuchen können oder wollen. Zoom & Co. verhindern auf ihre Weise wirkliche Einsamkeit. Man verstummt weitgehend in dieser selbstgewählten Isolation. Die gesprochene Sprache wird nicht wirklich ausdauernd gepflegt und trainiert. Aber Quarantäne macht nicht schon an sich einsam. Allein: Der Wunsch nach Begegnung, nach Körperlichkeit, nach Nähe, auch Lautstärke bleibt, nach Thekenpalaver, nach Musikern auf Bühnen, guten Gesprächsrunden, in denen Meinungsunterschiede friedlich streitend ausgefochten werden können, im unmittelbaren Angesicht des Antipoden. Ich bedaure nicht und klage nicht. Meine Lage ist selbstgewählt. Und verantwortlich ist ein Virus. Mehr nicht und nicht weniger.
Einsicht
Wer die Klimakrise erfolgreich bremsen will und zugleich Gas einsparen möchte, muss viele Dinge gleichzeitig tun. Gebäude dämmen, Heizungen neu einstellen, langsamer Auto fahren, zu schwere Autos stehen lassen, bei Neubauten Solardächer zur Pflicht machen, die Industrie auf Energieeffizienz trimmen und und und. Bei vielen dieser Maßnahmen steckt der Teufel im Detail und deswegen eignen sie sich wenig für große Aufmacher. Oder haben Sie schon einmal eine Schlagzeile in den Boulevardmedien über Wärmepumpen gelesen?”
Petra Pinzler, Zeit Online, zitiert nach: René Martens, Altpapier
Wegducken und Ablenken
Es gibt, wenn man selbst nicht liefert, zwei Methoden: Erstens wegducken und hoffen, dass es nicht auffällt. Das macht Wissing. Zweitens ablenken. Das macht der Rest der FDP. Denn statt sich auf eine Debatte über die verkehrte Verkehrspolitik einzulassen, sprechen Liberale immer wieder ein anderes Thema an, und zwar mehr oder weniger so: Ach nee, jetzt nervt mich nicht mit eurem Klimakram – stellt einfach die AKWs wieder an. Dann hat sich der Film.
Petra Pinzler, Zeit Online, zitiert nach: René Martens, Altpapier
Ach, wie blöd
Seit zweiundzwanzig Jahren herrscht Putin über Rußland. Achtzehn Jahre davon als „Präsident“, vier als Ministerpräsident. Die Bezeichnung Präsident alleine kennzeichnet ein politisches System noch keineswegs als Demokratie. Der autoritäre Herrscher Putin soll nunmehr aber, wenn man der nationalistisch-populistischen Liberaldemokratischen Partei (LDPR) Rußlands glauben kann, mit der Bezeichnung „Herrscher“ ausgestattet werden. Das berichtet der Merkur. Der Begriff „Präsident“ in Russland sei noch nicht „vollständig verwurzelt“, schreibt die staatliche Nachrichtenagentur Ria Novosti. In den Augen der LDPR grenze man sich mit der russischen Bezeichnung „Pravitel“ (Herrscher) auf diesem Wege auch von den USA ab, die ihr Staatsoberhaupt seit jeher Präsident nennen. In der Begründung heißt es weiter, man wolle von einer aus einer Fremdsprache stammenden Berufsbezeichnung wegkommen – in diesem Fall Französisch beziehungsweise Latein. Vor zwei Jahren noch wurde dieser obskure Vorschlag in der Duma, dem Parlaments-Substitut in Moskau, abgelehnt. Mit der politischen Bildung der Bevölkerung kann es nach mehr als dreißig Jahren autoritärer Herrschaft von Jelzin und Putin, nach mehr als neunzig Jahren Diktatur der Bolschewisten, nach jahrhundertelanger Herrschaft von Klerus und Zaren nicht sehr weit her sein. Daß aber die Eliten des Landes zu einem derartigen Vorschlag samt kruder Begründung greifen, läßt mich dennoch schaudern.