Schlagwort: SPD

Opium des Volkes

Ich bin nicht sicher, ob ich es für einen Fortschritt halten soll, wenn sich Christen, Muslime, Juden, Anglikaner, Buddhisten, Satanisten, Hinduisten, Zeugen Jehovas, Adventisten, Sonnenanbeter, Hussiten, Quäker, Baptisten, Druiden oder Rosenkreuzer jeweils eigene sozialdemokratische Plattformen geben.

screen-capture

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

(Aus: Vorwärts)

Karl Marx war es, der in seiner Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie Religion als „das Opium des Volkes“ bezeichnete. Alle Religionen. Große wie kleine. Bekannte und Unbekannte. Nette oder Garstige. Soziale wie Gemeine. Koks und Schnee. Für die Nase, nicht den Kopf.

 

Nordkoreanische Wahlergebnisse

Versammlungen von Gruppen oder Vereinen, von Parteien allemal, sollten terminlich nur festgelegt werden, nachdem man zuvor den Rahmenterminkalender des Deutschen Fußballbundes konsultiert hat. Das ist mein Ceterum Censeo, seit ich Gastmitglied und hernach ordentlicher Genosse der hiesigen SPD geworden bin. Allein: Auch die ständige Mahnung bleibt folgenlos. Die Vorstandsgenossen der Wermelskirchener Sozialdemokratie, auch jene, von denen ich sicher weiß, daß sie an Fußball interessiert sind, sehr interessiert sind, ignorieren den mahnenden Hinweis konsequent. Während also die deutsche Fußballnationalmannschaft gestern Abend im Wembleystadion gegen die englischen Kicker ihr letztes Länderspiel in diesem Jahr absolvierte, erfolgreich und ansehnlich zudem, mühten sich die lokalen SPD-Mitglieder, übrigens in bemerkenswerter Anzahl erschienen, eine formal unanfechtbare Aufstellung der Kandidaten für die kommende Kommunalwahl vorzunehmen. Und viele Genossen hatten, wie ich, das Bedürfnis, dem Kick televisionär beizuwohnen. Kein Wunder also, daß die Ergebnisse der verschiedenen Wahlgänge nordkoreanische Dimensionen annahmen. Debatten wurden aufs Nötigste beschränkt, gewählt wurde einstimmig, nur höchst selten verirrte sich eine Gegenstimme in die Urne, vermutlich von jemandem, der Gesprächsbedarf hatte und keinen TV-Bedarf. Kaum jemand der Genossen konnte sich an eine ähnlich reibungslose Mitgliederversammlung und Kandidatenaufstellung in den letzten Jahren und Jahrzehnten erinnern. Was von einigen dann als wünschenswerte “Geschlossenheit” der Partei gewertet wurde, ist vielleicht eher Ergebnis eines perfiden Kalküls: Tage bis kurz vor Anpfiff eines Länderspiels und sei gewiß, daß die Debatte kaum kontrovers und ausufernd ausfallen wird. Der lokale SPD-Vorstand ist offenbar mit allen Wassern gewaschen. Mit dem Anpfiff war übrigens die umfangreiche Tagesordnung abgearbeitet und die Genossen konnten sich ihrer (un)heimlichen Obsession widmen.

Genosse Gast

Wie wird man Genosse? Bei der TAZ, der Tageszeitung, ist das nicht schwierig. Man füllt eine Beitrittserklärung aus, zahlt seinen Genossenschaftsanteil ein und schon ist man TAZ-Genosse. Mit dem Risiko einer Haftung bis zur Höhe der gezeichneten Anteile, jedoch ohne Nachschußpflicht. Bei der SPD ist das anders. Jedenfalls in meinem Fall. Ich war zunächst Gastgenosse. Ein hübsches Kompositum. Gast und Genosse. Zum Thema Genosse habe ich mich hier schon ausgelassen und hier. Genosse stammt aus dem Westgermanischen und gehört zur Wortgruppe Genießen. Was man ja durchaus auch mit Gästen kann. Aber die Ausgangsbedeutung von Genosse ist „jemand, der das gleiche Vieh hat“,  also gerade nicht Gast ist, Besucher, Eingeladener. Und wirklich eingeladen hatten mich meine Genossengastgeber nicht. Insofern stimmt das Wörtchen Gast nicht wirklich. Für die Gastgenossenschaft muß man sich schon selbst einladen. In der SPD ist der Gastgenosse ein Selbsteinlader, ein ungebetener Besucher, ein Mitesser. Und Genosse ist man mit dem Gast voran auch nicht wirklich. Die Kaulquappe ist eben kein Frosch, sondern eine Quappe, ein Klumpen, ein formloses Etwas, irgendein nachembryonales Entwicklungsstadium, jedenfalls kein Frosch, kein sozialdemokratischer. Und dennoch sei die gute Absicht hervorgehoben. Menschen einen Zugang zur Partei zu eröffnen, die den Genossenstatus, die wirkliche Genossenschaft, aus welchen Gründen auch immer, nicht oder noch nicht einnehmen wollen oder können. Meine Gastgenossenschaft haben meine Genossengastgeber in Wermelskirchen klaglos über das ursprünglich festgelegte eine Jahr hinaus verlängert. Mehr noch: Sie haben den ungebetenen Gast mehr als zwei Jahre lang ausgehalten. Vor knapp vier Monaten habe ich mich dann in die SPD eingeladen, nachdem mich einige Genossen gebeten hatten, doch auf den Gastzustand zu verzichten. Und mittlerweile hat mir auch der Landesverband der SPD mitgeteilt, daß man sich freue, meine Gastmitgliedschaft in, wie es heißt, eine “aktive Mitgliedschaft” umwandeln zu können. Gottes Mühlen mahlen langsam und die der SPD eben auch. Ich bin also kein Mitesser mehr, kein ungebetener Besucher. Ich habe hier seinerzeit Hanno Burmester zitiert, der bis vor drei Jahren Mitarbeiter in der SPD-Parteizentrale und Bundestagsfraktion war: “Politisch aktive Bürger wollen mehr als Zugehörigkeit und Präsenzrecht. Sie wollen inhaltlich mitgestalten und mitbestimmen, wollen inhaltliche Expertise im Zweifel punktuell und konzentriert einbringen – ohne sich dies durch ewige Präsenz im Hinterzimmer verdienen zu müssen. Dieser Trend verstößt jedoch gegen die Prinzipien der Ortsvereinsarbeit. Deshalb blühen NGOs und Bürgerinitiativen, die neue Formen bürgerschaftlichen Engagements geschickter für sich zu nutzen wissen als die Parteien. (…) Die Parteien haben trotz dieses desaströsen Status Quo immer noch nicht begriffen, wie irrelevant sie für das Alltagsleben der Bürgerschaft inzwischen geworden sind. Mehr öffentlicher Veränderungsdruck tut Not. Wir können die Krise der repräsentativen Demokratie nicht einfach aussitzen. (…) Die Gesellschaft muss sich in ihrem Engagement, ihrem Veränderungstempo und ihrer politischen Kultur nicht an die Parteien anpassen. Die Parteien müssen mit der Gesellschaft Schritt halten. Sonsten gehen sie unter. Und mit ihnen unser Gemeinwesen. (…) Die Reform der Parteienlandschaft ist kein Expertenthema, sondern eine Kernfrage für die Zukunft unseres Gemeinwesens. Hier haben auch Bürger ohne Parteibuch ein Mitspracherecht. Denn die Parteiendemokratie gehört uns allen.”  Wenn Parteien zunehmend irrelevant für das Alltagsleben der Bürger werden, wenn sie nicht Schritt halten mit neuen Formen bürgerlichen und bürgerschaftlichen Engagements und der Entwicklung der politischen Kultur, dann müssen wir sie verändern, die Parteien. Weil auch die Parteiendemokratie eine notwendige Bedingung für das Funktionieren unseres Gemeinwesens ist. Die Frage ist und bleibt, welche Werte unser Gemeinwesen tragen sollen, unter welchen politischen Bedingungen wir leben wollen, welche Veränderungen erforderlich sind, wie die Republik krisenfest gestaltet werden kann, wessen Interessen dominieren sollen und welche Machtinteressen zurückgewiesen werden müssen. Diese Dialoge, diese Debatten, diesen Streit können und müssen auch die Parteien austragen. Und deshalb müssen mehr Menschen in Parteien eintreten, müssen sich mehr Menschen engagieren. Verändern können wir Parteien nur von innen, indem wir eintreten. Hämische oder zynische Politikverachtung ändert, verbessert nichts.

Nachlese

Die Nachlese, so kann man nachlesen, ist eine nachträgliche, auswählende, bewertende Betrachtung. Also, dann lesen wir mal die Ergebnisse der letzten Landtagswahl hier in Wermelskirchen nach. Wahlverlierer, wie im ganzen Land, ist auch hier die CDU. Nur noch 4.339 Wähler entschieden sich für die einst große bürgerliche Partei, das sind 26,5 Prozent aller abgegebenen gültigen Stimmen. Das klingt schon schlecht genug für eine Partei, die vor zwei Jahren immerhin noch 38,9 Prozent der Wählerstimmen einheimsen konnte. 2010 waren das immerhin noch 6612 Wähler im traditionell schwarzen Wermelskirchen. Die CDU hat also in Wermelskirchen sage und schreibe 2273 Wähler verloren. Das ist ein Verlust von 34,4 Prozent! Schlimmer aber ist, daß gemessen an der Zahl der Wahlberechtigten der Anteil der CDU-Wähler lediglich noch 15,75 Prozent beträgt. Auch die CDU steckt in der akuten Gefahr, ihren Charakter als Volkspartei zu verlieren. Für die SPD entschieden sich vor einer Woche 5203 Wermelskirchener, 31,7 Prozent. Zwar liegen die Sozialdemokraten damit erstmals vor der CDU. Vor zwei Jahren votierten 4532 Bürger für die SPD, was 26,6 Prozent ausmachte. Die SPD hat also 671 Stimmen dazugewonnen. Ein Zuwachs von knapp fünfzehn Prozent ihres letzten Ergebnisses. Dennoch: Gemessen an allen Wahlberechtigten schrumpft die sozialdemokratische Erfolgszahl auf einen Anteil von knapp 19 Prozent. Beide großen Parteien repräsentieren zusammen also etwa ein Drittel (!) der wahlberechtigten Menschen in unserer Stadt. Betrug die Wahlbeteiligung vor zwei Jahren noch 62 Prozent, waren es am vergangenen Sonntag nur noch 60,6 Prozent. Die Entfernung zwischen Parteien und Bürgern nimmt also weiter zu, das Interesse der Menschen an Politikern, Politik und Parteien nimmt ab. Jedenfalls führt es nicht zur Teilnahme am demokratischen Prozess, wie er derzeit gestaltet ist. Die Grünen konnten 1657 Zweitstimmen verbuchen, gegenüber 2022 Kreuzchen vor zwei Jahren. Das sind 10,1 Prozent gegenüber 11,9 Prozent in 2010. Die Grünen haben also binnen zwei Jahren 18 Prozent ihrer Wähler verloren. Und auch hier: Sie vertreten gerade noch sechs Prozent aller wahlberechtigten Bürger. SPD und Grüne werden die Landesregierung stellen, weil sie im ganzen Land die Mehrheit der abgegebenen Stimmen errungen haben. Die Mehrheit der Bürger haben sie indes nicht erreicht und überzeugt. Neben der SPD zählt die FDP um Christian Lindner zu den Wahlgewinnern im grünen Wermelskirchen. 2822 Wermelskirchener ließen sich vom liberalen Shootingstar überzeugen, FDP zu wählen. Das sind  962 Stimmen mehr als 2010, als sich 1860 Wähler für die FDP entschieden. Der Lindnersche Zugewinn beträgt also knapp 52 Prozent oder eine Steigerung des blau-gelben Anteils von 10,9 auf 17,2 Prozent. Mit 10,25 Prozent aller Wahlberechtigten steht die FDP durchaus in einer Reihe mit den beiden einstigen Volksparteien, SPD und CDU. Gleichwohl: SPD, CDU, Grüne und FDP repräsentieren gemeinsam nur  etwa die Hälfte (!) aller wahlberechtigten Bürger der Stadt, nämlich 51 Prozent. Für die Linke votierten letzten Sonntag nur noch 337 Stimmberechtigte, das sind etwa zwei Prozent. Zwei Jahre zuvor waren es noch 848 Wähler oder fünf Prozent. Die Linke hat also 511 Stimmen verloren, also 60, 3 Prozent ihrer Wähler nicht mehr an sich binden können. Die Linken sprechen nur noch für 1,22 Prozent aller hiesigen Wahlberechtigten. Keine Volkspartei, keine Protestpartei mehr, eine unbedeutende Partei unter den “Sonstigen”. Und schließlich die Piraten: 1207 Stimmen gegenüber 224 Stimmen zwei Jahre zuvor. Ein Zugewinn von 983 Kreuzchen, mehr also, als die FDP an Zugewinn hatte. Der eigentliche Wahlgewinner sind mithin die Augenklappenträger mit den Enterhaken, konnten sie ihren Anteil doch um knapp 439 Prozent steigern. Und jetzt noch das übliche Wasser in den guten Wein: Die Piraten vertreten auch nur 4,4 Prozent aller Bürger in der Stadt. Zusammen also vertreten diese sechs Parteien nur etwa zwei Drittel der Wermelskirchener. Wenig genug für ganze sechs Parteien. Das Landtagswahlergebnis bietet allen Parteien genügend Stoff für Demut und Nachdenklichkeit. Wenn sich 39,4 Prozent aller Wahlberechtigten von der Urne fernhalten, sollte dies eine Menetekel sein für alle Parteien, für alle Politiker am Ort, über die Gestaltung ihrer Politik, über die Ansprache an die Bürger gehörig nachzudenken.

Nachlese

Vor drei Jahren hatte die CDU in Schleswig-Holstein etwa fünfhundertfünftausend Zweitstimmen, gestern nur noch vierhundertachttausend. Wahlsieger? Die FDP wählten 2009 knapp zweihundertvierzigtausend Menschen im nördlichsten Bundesland. Gestern entschieden sich einhundertneuntausend Wahlbürger für Wolfgang Kubicki. Wahlsieger? Sehr viel weniger drastisch die Differenz zwischen 2009 und 2012 bei den Grünen: Sie verloren lediglich fünfundzwanzigtausend Wähler. Auch die SPD konnte ihre Wählerschaft nicht komplett mobilisieren: Viertausend Stimmen beträgt die Differenz zwischen den letzten und den aktuellen Landtagswahlen an den Küsten. Wahlverlierer? Der Südschleswigsche Wählerverband verlor etwa achttausend Stimmen und erreichte gestern etwas mehr als einundsechzigtausend Zweitstimmen. Die Linke hingegen konnte gestern nur noch knapp dreißigtausend Menschen begeistern, während vor drei Jahren noch mehr als fünfundneunzigtausend Stimmen auf die Linken entfielen. Wahlverlierer. Eindeutig und auch zugestanden von den Verantwortlichen der Partei. Die Piraten sind die Gewinner der Landtagswahl. Vor drei Jahren entschieden sich noch knapp neununzwanzigtausend Wähler für die orange Partei, gestern waren es immerhin knapp einhundertneuntausend. Wahlsieger. Eindeutig. Die absoluten Zahlen des amtlichen Endergebnisses machen so bestechend klar, was ansonsten hinter Prozentzahlen, Anteilsberechnungen und semantischen Kunststückchen von Journalisten und Politikern verschwinden soll: Schwarz-Gelb und Rot haben die Wahl verloren, haben ihre Wähler verloren. CDU und FDP erhielten vom Wähler die gelbe, die Linke gar die rote Karte. Piraten, Grüne, SPD und der SSW sind die Wahlsieger. Weil sie, wie die Piraten hinzugewonnen haben, weil sie, wie die anderen Parteien, ihre Verluste in absoluten Stimmen in engeren Grenzen halten konnten. Der Rest ist rhetorische Gesundbeterei, Logorrhoe, also Sprechdurchfall.

Wahlsieger

Sie haben wieder Hochkonjunktur, die Wahlrabulistiker. Wir haben gewonnen, die anderen haben verloren. Unisono klingt es aus allen Ecken des Landes. Unabhängig von den konkreten Zahlen, unabhängig davon, was die Wähler den Parteien und Politikern wirklich aufgegeben haben. Die CDU ist aus dem Ministerpräsidentensessel gewählt worden, in den sie nur mit einer verfassungswidrigen Interpretation des letzten Wahlergebnisses gekommen war. Aber: Sie hat die Wahl natürlich gewonnen, weil sie vermutlich ein paar Stimmen mehr als die SPD erhalten hat. Fast ehrlich die FDP. Sie hat schon gewonnen, weil sie überhaupt wieder in den Landtag darf. Macht man hingegen, was man traditionellerweise macht an Wahlabenden, nämlich das aktuelle am letzten Ergebnis zu messen, dann hat die CDU die Wahl verloren, nicht nur den Ministerpräsidentensessel. Sie wird vermutlich auch nicht in die Landesregierung zurückkehren können. Wenn das ein Wahlsieg ist, dann ist das Land Schleswig-Holstein nicht nur flach, sondern die Erde eine Scheibe. Die FDP hat die Hälfte ihrer Wähler verloren. Aber die Wahl hat sie, natürlich, gewonnen. Sie darf nicht mehr in der Landesregierung mitspielen. Aber sie hat die Wahl gewonnen. Die Linke hat dagegen die Wahl verloren und macht daraus auch keinen Hehl. Wohltuend. Wirklich gewonnen haben dagegen die Piraten. Sie ziehen in den Landtag ein und nehmen allen anderen Parteien Stimmen weg. Wirklich gewonnen haben die Grünen mit einem fulminanten Stimmenergebnis, gegen den medialen Veröffentlichungstrend, der die Grünen seit Wochen nach unten schreibt. Und gewonnen hat auch die SPD. Nicht so viel, wie sie sich gewünscht hatte. Aber gemessen am letzten Landtagswahlergebnis steht ein Pluszeichen vor ihrem Ergebnis. Und verloren haben alle. die Parteien, das Land, die politische Kultur: Die Wahlbeteiligung von etwa siebenundfünfzig Prozent zeugt davon, daß der Trend der Entfremdung von Politik und Politikern nicht gebrochen werden konnte, Piraten hin, Piraten her.

Manipulation

Wochenpost, die freundliche Verbraucherzeitung. So nennt sich ein Gratisblatt, das uns allwöchentlich unverlangt die Briefkästen verstopft. Ein Anzeigenfriedhof, in der Regel gepaart mit ein paar Belanglosigkeiten, die in fadenscheinigen journalistischen Kleidchen daherkommen. Ich will mich aber nicht wirklich über die journalistische Qualität dieses Blättchens oder einzelner Artikel auslassen. Obwohl das sicher auch mal reizvoll wäre. Nein. Es geht um die Landtagswahl. “NRW wählt – Vier Landtagskandidaten antworten in der WOCHENPOST.” So zu lesen auf der Titelseite der gedruckten wie der Onlineausgabe. Die vier Landtagskandidaten sind nicht die örtlichen Kandidaten, nein, es ist das Spitzenpersonal der politischen Parteien in Nordrhein-Westfalen: Hannelore Kraft, Sylvia Löhrmann, Norbert Röttgen und Christian Lindner. Vier Kandidaten? Für vier Parteien, SPD, Grüne, CDU und FDP. Aber: Sind/waren da nicht fünf Parteien im Düsseldorfer Landtag? Richtig. Die freundliche Verbraucherzeitung unterschlägt ihren Lesern mal eben die Partei “Die Linke”. Warum wohl? Will die Redaktion des Verbraucherblattes verhindern, daß sich die Leser ihr eigenes Urteil über die Linken machen? So eine Art Vorzensur, das braucht Ihr wirklich nicht zu lesen? Die Redaktion mag ja mit dem politischen Kurs der Linken nicht einverstanden sein, das kann vorkommen. Aber rechtfertigt das eine derartige Auswahl? Natürlich nicht. Gut. Wir haben also vier von fünf Kandidaten, die die Morgenpost zur Lektüre freigibt. Aber: War da nicht noch etwas? Ist da nicht noch eine Partei? Eine, der seit Wochen alle Auguren, alle Umfragen attestieren, daß sie in den Landtag einziehen werde?  Richtig. Die Piraten. Die scheinen dem unfreundlichen Verbraucherblatt ebenfalls nicht in den Kram zu passen. Vier Kandidaten, das heißt vier Parteien werden vorgestellt. Zwei werden verschwiegen. Das nenne ich dreiste Manipulation. Welche Kriterien hat die Redaktion angelegt? Die letzte Wahl? Nein. Die Redaktion ignoriert den Wählerwillen. Denn die Wähler haben die Linke ja ins Parlament entsendet. Das Kriterium der Aussichten bei der diesjährigen Wahl? Nein. Dann hätten die Piraten auf jeden Fall vorgestellt werden müssen. Und womöglich die FDP nicht. Redaktion, Kriterien, journalistische Auswahl – ich fürchte, alle drei Begriffe lassen sich nicht heranziehen. Es gibt keine Redaktion. Es gibt keine Kriterien für die Auswahl. Es gibt keine journalistische Auswahl. Es ist und bleibt: Manipulation. “Uns passen zwei von sechs Parteien nicht. Und deshalb stellen wir sie auch nicht vor.” Den Mut zur Wahrheit hat das Verbraucherblatt nicht. Das Verbraucherblatt ist nur ein Blatt. Eines, das seine Leser nicht ernst nimmt, sie für dumm verkauft. Ein Anzeigenblatt. Ein Blatt nicht für Leser. Eher für die  blaue Tonne.

Das System und die Abweichler

“Wenn alle reden, die eine von der Fraktion abweichende Meinung haben, dann bricht das System zusammen.” Mit diesen Worten zitiert Spiegel Online den Fraktionsvorsitzenden der CDU im Deutschen Bundestag. Und flugs soll mit den Stimmen von CDU, SPD und FDP das Rederecht von abweichenden Abgeordneten eingeschränkt werden. Und da wundert sich wirklich noch jemand über den Höhenflug der Piraten?

Wahlsieger

So, so, die CDU hat also die Wahl an der Saar gewonnen. Dann müssen wir eben mal genauer hinsehen. Gestern hat die CDU im Vergleich mit der Wahl im Jahr 2009 fast fünfzehntausend Stimmen weniger erhalten. Das ist ein Verlust von mehr als acht Prozent. Die SPD hat gestern dagegen ihren Stimmenanteil um mehr als zwölf Prozent vergrößert. Und die FDP hat etwa neunzig Prozent ihrer Wähler verloren. Jetzt muß man nicht einmal mehr Adam Riese sein, um zu erkennen, daß die CDU der Wahlsieger der saarländischen Landtagswahlen nicht sein kann. Zweitgrößter Verlierer sind die Linken, die mehr als dreißig Prozent ihrer Wählerstimmen einbüßten. Der eigentliche Wahlverlierer sind wir alle, ist doch die Wahlbeteiligung erneut zurückgegangen. Der Stimmenanzahl derer, die sich nicht an der Wahl beteiligt haben, ist größer als die Stimmenzahl von SPD und CDU zusammen. Von wegen bürgerliche Mehrheit, von wegen Mehrheit. Alles ist relativ.