Monat: September 2023

Offensichtlich Unernst

Sich für Dinge zu entschuldigen, die getan zu haben man abstreitet, umgedacht zu haben, ohne zu erinnern, was man davor gedacht hat, bereuen und von Anfang an recht gehabt haben wollen- das ist so offensichtlich unernst, das will durchschaut werden UND damit durchkommen #Aiwanger

Bernd Ulrich, stellvertretender Chefredakteur der Wochenzeitung Die Zeit, auf Twitter

“Hingerotzt“

Wenn Politiker stürzen, dann seltener wegen Fehlverhaltens, ganz gleich, ob es zwei Monate oder 35 Jahre zurückliegt. Was sie ihr Amt kostet, ist häufig der Umgang mit Fehlern: Erst bestreiten sie, dann eiern sie rum, dann geben sie zu, was nicht mehr zu bestreiten ist, und immer nehmen sie in Kauf, dass neue Details bisherige Erklärungen obsolet machen. So geraten sie immer weiter in die Ecke. Würde in fünf Wochen nicht gewählt, wäre Hubert Aiwanger von Markus Söder wohl entlassen worden. Viel zu heftig die Vorwürfe, viel zu desaströs das Krisenmanagement. Auch seine 25 Antworten auf die Fragen des Ministerpräsidenten sind im Grunde eine Unverschämtheit: kursorisch, hingerotzt, Erinnerungslücken behauptend, wo es auch nach aiwangerischem Ermessen keine Erinnerungslücken geben kann: “Der Vorfall war ein einschneidendes Erlebnis für mich”, schreibt er. Wenn der Vorfall sein Leben verändert hat, warum erinnert er sich dann nicht daran?

Detlef Esslingen, Aiwanger-Entscheidung. Im Namen des Bierzelts, in Süddeutsche Zeitung vom vierten September Zweitausenddreiundzwanzig

The Hu – Hellfest 2023 – ARTE Concert

Als wahre Klangkrieger haben es die Mitglieder von The Hu geschafft, Fans auf der ganzen Welt mit ihrem kraftvollen, einzigartigen Sound zu begeistern, der seine mongolischen Wurzeln stolz zur Schau trägt. Ihre Auftritte sind ein geradezu transzendentales Erlebnis – mit einer Musik, die traditionelle Instrumente wie die Morin khuur geschickt mit E-Gitarren-Riffs und einer Rhythmik verschmilzt, aus der die rohe, ungebändigte Energie der Band hervorbricht.

Was The Hu jedoch wirklich auszeichnet, ist der meisterhafte Einsatz des Khöömii, des traditionellen mongolischen Obertongesangs, der es dem Sänger ermöglicht, mehrere harmonische Töne gleichzeitig zu erzeugen. Seit der Veröffentlichung ihres Debütalbums „The Gereg“ 2019 haben The Hu Millionen von Fans auf der ganzen Welt erobert. Dafür wurden sie von den Kritikern ebenso gefeiert wie für ihre Originalität und ihre Fähigkeit, die Grenzen des Genres zu überschreiten – und nicht nur das.

Die Gruppe, die während der weltweiten Corona-Pandemie umfangreiche Spenden sammelte, wurde von der mongolischen Nationalbank 2021 auf einer Münze verewigt und 2022 sogar zu „UNESCO-Künstlern für den Frieden“ ernannt. Ein weiterer Grund, die Ausnahmeband in Clisson gebührend zu feiern. Aufzeichnung vom 17. Juni 2023 beim Hellfest Open Air Festival, Clisson

https://youtu.be/TlfzQaNlSxo?si=o4yfr6r33IX9NCoA

Ängste

Über die Zeilen gestolpert: Jage die Ängste fort und die Angst vor den Ängsten. Und dann gesucht. Und gefunden. Mascha Kaléko. Jage die Ängste fort und die Angst vor den Ängsten rahmt das Gedicht Rezept ein. Die ersten beiden Zeilen und die beiden letzten: Jage die Ängste fort und die Angst vor den Ängsten.

Rezept

Jage die Ängste fort
Und die Angst vor den Ängsten.
Für die paar Jahre
Wird wohl alles noch reichen.
Das Brot im Kasten
Und der Anzug im Schrank.

Sage nicht mein.
Es ist dir alles geliehen.
Lebe auf Zeit und sieh,
Wie wenig du brauchst.
Richte dich ein.
Und halte den Koffer bereit.

Es ist wahr, was sie sagen:
Was kommen muß, kommt.
Geh dem Leid nicht entgegen.
Und ist es da,
Sieh ihm still ins Gesicht.
Es ist vergänglich wie Glück.

Erwarte nichts.
Und hüte besorgt dein Geheimnis.
Auch der Bruder verrät,
Geht es um dich oder ihn.
Den eignen Schatten nimm
Zum Weggefährten.

Feg deine Stube wohl.
Und tausche den Gruß mit dem Nachbarn.
Flicke heiter den Zaun
Und auch die Glocke am Tor.
Die Wunde in dir halte wach
Unter dem Dach im Einstweilen.

Zerreiß deine Pläne. Sei klug
Und halte dich an Wunder.
Sie sind lang schon verzeichnet
Im grossen Plan.
Jage die Ängste fort
Und die Angst vor den Ängsten.

Mascha Kaléko

Kindeswohlgefährdung

Unter dem Titel Das Letzte bezeichnet Heribert Prantl in der Süddeutschen Zeitung die „mickrigen Beträge für Kindergrundsicherung“ als Schande.

Verglichen mit dem Elend in Burundi, in Malawi oder in Sierra Leone seien die deutschen Armen komfortabel ausgestattet, woraus sich auch das „besonders Bittere für die Bedürftigen“ in Deutschland ergebe, daß sie nämlich die Anerkennung ihrer Bedürftigkeit verloren hätten.

Der Betrag der Ampelkoalition für Kindergrundsicherung verhöhne den Namen „Grundsicherung“, denn es werde gesichert, dass alles bleibt, wie es ist und arme Kinder den Rand der Gesellschaft bilden.

Jedes vierte bis fünfte Kind in Deutschland lebe in Armut, ausgeschlossen aus einer Welt, die sich nur den einigermaßen Situierten entfalte. Die Geldbeträge für die Kindergrundsicherung reichten nicht für gesunde Ernährung, nicht für Bildung, nicht für schulische Bildung, nicht für kulturelle Bildung, nicht für politische Bildung. „Sie reichen nicht dafür, soziale Ungleichheiten auch nur ansatzweise auszugleichen.“

Die FDP propagiere gar, eine weitere „Umverteilung“ dürfe es nicht geben, die Kindergrundsicherung sei die letzte sozialpolitische Reform für die nächsten Jahre. „Das ist das Letzte. Es ist nicht nur falsch, sondern auch gefährlich“, so Heribert Prantl. Verachtung des Sozialstaats führe zu Demokratieverachtung. „Wer die Sozialpolitik einfriert, der friert die Demokratie ein. Solchen Frost kann sich Deutschland nicht leisten. Mindestens ebenso nötig wie Wirtschaftswachstum ist Demokratiewachstum. Sozialpolitik ist die Basispolitik der Demokratie. Eine moderne Sozialpolitik sorgt dafür, dass der Mensch Bürger sein kann.“

Der moderne Sozialstaat investiert nach Prantl in Sozialpolitik: „Er investiert in die Bildung der Kinder neuer Unterschichten; er verwandelt die Schwächen der Generation Migration in Stärken; er fördert die sprachlichen Kompetenzen und den interkulturellen Reichtum dieser Generation. Solche Sozialpolitik wächst über ihre industriegesellschaftliche Herkunft hinaus. Sie sorgt für annähernd vergleichbare Lebenschancen.“

Dagegen triumphiere FDP-Finanzminister Christian Lindner, weil er mit seinem „Wachstumschancengesetz“ Steuererleichterungen für die Wirtschaft durchgesetzt und dafür die Kindergrundsicherung gestutzt habe. Er verkenne, dass die Kindergrundsicherung zu den Wirtschaftswachstumschancen gehört. Ein gutes Kindergrundsicherungsgesetz sei zugleich Wachstumschancengesetz und Demokratiestärkungsgesetz und müsse ein „Schicksalskorrekturgesetz“ sein, da es nichts Ungerechteres als das Schicksal gäbe.

Erst wenn die Gesellschaft diese Aufgabe ernst nimmt, werde sie, so Prantl, wirklich zur Gesellschaft. Es gebe ein Recht auf Hilfe, dem Schicksal der Armut, der Gewalt und der Diskriminierung zu entkommen. „Das ist Menschenrecht.“ Es müsse endlich im Grundgesetz festgeschrieben werden, das Kindeswohl bei allen staatlichen Maßnahmen vorrangig zu beachten, und dass Kinder das Recht auf Entwicklung und Förderung haben. „Dann könnte mit der Kindergrundsicherung nicht so gedankenlos umgegangen werden wie soeben. Kinder sind wichtiger als die schwarze Null.“ Danke Heribert Prantl.

Niedertracht

Max Steinbeis, Aiwanger und wir, in: Verfassungsblog