Schlagwort: Wikileaks

Von Kragen und Kondomen

Herr, nennen wir ihn A., Herr A. also, unverheiratet und Tourist, hat einvernehmlichen Sex mit Frau W. Und: Herr A. hat zudem Sex, ebenfalls einvernehmlich, mit Frau A. Frau W. und Herr A. verbringen am Tage nach dem Geschlechtsverkehr einen “romantischen” Vormittag. Frau A. organisiert nach ihrem Erlebnis mit Herrn A. sogar eine Party für ihren neuen Bekannten und bittet per Message ihre Freunde, ihr beim Organisieren zu helfen. All das ist durch SMS, Twittermeldungen und Mails der beiden Damen belegt. Beiden war es wichtig, ihren Freunden – auch in den Tagen nach dem Sex – mitzuteilen, dass sie mit dem prominenten Herrn A. in engem und gutem Kontakt stehen. Nun lernen sich später Frau W. und Frau A. kennen und erfahren voneinander, wie neue Freundinnen eben so miteinander sprechen, daß in beiden Fällen das Kondom des Herrn A. beim Geschlechtsverkehr geplatzt sei. Und jetzt ist es ein Fall für den Staatsanwalt, weil Herr A. offenbar seine Kondome systematisch einritzt. Blödsinn? Nein. So erzählt heute der Tagesspiegel die Geschichte. Bei Herrn A. handelt es sich um Julien Assange, den Chef von Wikileaks. Die beiden Damen konnten mit Ihrer Geschichte bei der Staatsanwaltschaft in Schweden zunächst nicht landen. Die Staatsanwältin Marianne Ny aber nahm sich der Sache erneut an – mit dem Ergebnis, daß Assange in England in Untersuchungshaft sitzt. Der staatsanwaltliche Vorwurf: “minderschwere Vergewaltigung”. Diese beiden Wörtchen muß man sich erst einmal auf der Zunge zergehen lassen. Dann platzt einem, nein, nicht das Kondom, sondern der Kragen. Minderschwere Vergewaltigung bei einvernehmlichem Sex? Wegen zweier geplatzter Kondome? Nach Party und romantischem Vormittag? Da brat mir einer einen Elch. Julien Assange ritzt sich seine Kondome vor Gebrauch? Immer? Frau W. und Frau A. dürften ganz andere Probleme haben, als mit einem solchen Vorwurf an die Staatsanwaltschaft heranzutreten, wenn die Geschichte des Tagesspiegel halbwegs triftig sein sollte.

“Schräge Wahl”

Aufregung im Netz, Aufregung im Fernsehen, Aufregung in der Presse: Wikileaks hat zweihunderteinundfünfzigtausend Dokumente des amerikanischen Außenmisteriums veröffentlicht. Eintausendsiebenhundertneunzehn dieser Dokumente enthalten, wie Spiegel Online berichtet, Einschätzungen amerikanischer Mitarbeiter und Informanten über deutsche Politiker. Eine “schräge Wahl” sei die Ernennung von Dirk Niebel zum Entwicklungsminister gewesen. Ja und? War sie das nicht auch? Eine “schräge Wahl”? Der ehemalige FDP-General wird Chef einer Behörde, die die FDP noch vor der Wahl abschaffen wollte. Wenn das keine “schräge Wahl” ist, gibt es keine. In diesen Berichten wird Außenminister Guido Westerwelle als “aggressiv, inkompetent und eitel” bezeichnet. Ja und? Ist er das etwa nicht, unser Außenminister und FDP-Chef? Man wird ja noch an die Exzesse der spätrömischen Dekadenz erinnern dürfen, an die Freiheitsstatue, die der FDP-Lautsprecher eigenen Worten zufolge ist, an das Motto: Mehr Brutto vom Netto, mit dem er die Wählerstimmen geködert hatte, an das eitle Versprochen- Gehalten-Gerede nach Unterzeichnung des Koalitionsvertrages. Geheimdokumente? Das hat man alles seit langem in bundesdeutschen Zeitungen, im Internet, sonstwo schon lesen dürfen, mitunter sogar erheblich weniger freundlich formuliert. Geheim ist an solchen Bewertungen gar nichts. Neu ist bestenfalls, daß die amerikanische Regierung mit diesen Einschätzungen ebenfalls arbeitet. Gottlob mag man da nur sagen.