Kategorie: Literatur

Wir müssen unseren Garten bestellen

Cela est bien dit mais il faut cultiver notre jardin. Gut gesagt, aber wir müssen unseren Garten bestellen. François-Marie Arouet verdanken wir diese wuchtige Weisheit. Einem der oder dem größten Denker unseres Nachbarlandes Frankreich, bekannt unter dem Namen Voltaire. Vorbereiter und Begleiter der französischen Revolution, Erzähler und Philosoph, Kirchenkritiker, auch Königlicher Kammerherr am Hof des Königs Friedrich des Zweiten von Preußen, KäIMG_1956mpfer für die Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz,  bekannt für Ironie und sarkastischen Witz befindet sich neuerdings wieder an der Spitze der französischen Literaturcharts, der Bestsellerliste, und zwar mit seiner Abhandlung über die Toleranz. Zweihundertsiebenunddreißig Jahre nach seinem Tod und zweihundertzweiundsechzig Jahre nach Erscheinen der Schrift. Die Attacke auf Charlie Hebdo macht es möglich. Das mache dem großen Philosophen mal jemand nach. In der Buchhandlung van Wahden am Markt hier in Wermelskirchen kommt man an Voltaire jedenfalls auch nicht vorbei. Gottlob.

 

In den guten alten Zeiten

Schon Neunzehnhundertsechsundsechzig hat Franz Josef Degenhardt die “guten, alten Zeiten” besungen. Degenhardt, der einst sagte, daß ihn “das Volk (…) immer, wenn ich ihm zu nahe komme, zum Frieren” bringe, Degenhardt hat seinen Blick nach vorne und zugleich zurück gewandt. “Ob die Hand ganz rot von Blut war und die Weste schwarz von Dreck,
das war gleich, wenn nur die Haut ganz weiß war, ohne jeden Fleck.” Aktuell irgendwie. Zum Frieren.

Dort im Südrandkrater, hinten an der Zwischenkieferwand,
wo im letzten Jahre noch das Pärchen Brennesseln stand,
wo es immer, wenn der Mond sich überschlägt, so gellend lacht,
drüben haust in einem Panzer aus der allerletzten Schlacht
jener Kerl mit lauter Haaren auf dem Kopf und im Gesicht,
zu dem, wenn es Neumond ist, unser ganzer Stamm hinkriecht.
Jener schlägt ein Instrument aus hohlem Holz und Stacheldraht
und erzählt dazu, was früher sich hier zugetragen hat
in den guten alten Zeiten.

Damals konnte, wer da wollte, auf den Hinterkrallen stehn.
Doch man fand das Kriechen viel bequemer als das Aufrechtgehn.
Der Behaarte sagt, sie seien sogar geflogen, und zwar gut.
Aber keiner fand je abgebrochene Flügel unterm Schutt.
Über Tage und in Herden lebten sie zur Sonnenzeit,
doch zum Paaren schlichen sie in Höhlen, immer nur zu zweit.
Ihre Männchen hatten Hoden und ein bißchen mehr Gewicht,
doch ansonsten unterschieden sie sich von den Weibchen nicht
in den guten alten Zeiten.

Damals wuchsen fette Pflanzen überall am Wegesrand,
doch sie abzufressen galt als äußerst unfein in dem Land.
Man verzehrte Artgenossen, selbst das liebenswerte Schwein,
doch die aufrecht gehen konnten, fraß man nicht, man grub sie ein.
Manchmal durfte man nicht töten, manchmal wieder mußte man.
Ganz Genaues weiß man nicht mehr, aber irgendwas ist dran.
Denn wer Tausende verbrannte, der bekam den Ehrensold,
doch erschlug man einen einzelnen, hat der Henker ihn geholt
in den guten alten Zeiten.

Wenn ein Kind ganz nackt und lachend unter einer Dusche stand,
dann bekam es zur Bestrafung alle Haaren abgebrannt.
Doch war’s artig, hat’s zum Beispiel einen Panzer gut gelenkt,
dann bekam es zur Belohnung um den Hals ein Kreuz gehängt.
Man zerschlug ein Kind, wenn es die Füße vom Klaver zerbiß,
doch man lachte, wenn’s dem Nachbarkind ein Ohr vom Kopfe riß.
Blut’ge Löcher in den Köpfen zeigte man den Knaben gern,
doch von jenem Loch der Löcher hielt man sie mit Hieben fern
in den guten alten Zeiten.

Alle glaubten an den unsichtbaren gleichen Manitu,
doch der Streit darüber, wie er aussah, ließ sie nicht in Ruh.
Jene malten ihn ganz weiß und andre schwarz oder gar rot,
und von Zeit zu Zeit, da schlugen sie sich deshalb einfach tot.
Ob die Hand ganz rot von Blut war und die Weste schwarz von Dreck,
das war gleich, wenn nur die Haut ganz weiß war, ohne jeden Fleck.
Und den Mischer zweier Farben federte und teerte man
oder drohte ihm für nach dem Tode Feuerqualen an
in den guten alten Zeiten.

Und wer alt war, galt als weise, und wer dick war, galt als stark.
Und den fetten Greisen glaubte man aufs Wort und ohne Arg.
Und wenn Wolken sich am Abend färbten, freute man sich noch,
und man fraß ganz ruhig weiter, wenn die Erde brandig roch.
Denn vom Himmel fiel noch Wasser, und die Sonne war noch weit,
und der große Bär, der schlief noch, in der guten alten Zeit.
Und die Erde drehte sich nicht plötzlich rückwärts und im Kreis.
Doch man schaffte rüstig, bis es dann gelang, wie jeder weiß.
Und da war Schluß mit jenen Zeiten,
mit den guten alten Zeiten.

Und so hocken wir bei Neumond an der Zwischenkieferwand,
wo im letzten Jahre noch das Pärchen Brennesseln stand.
Und wir lauschen dem Behaarten, der sein Instrument laut schlägt.
Und wir lauschen, lauschen, lauschen nächtelang und unbewegt.
Und wir träumen von den guten alten Zeiten und dem Land,
wo man überall und jederzeit genug zu fressen fand.
Unsre Stammesmutter streichelt unser Jüngstes mit den Zehn,
manchmal seufzt sie: O ihr Brutgenossen, war das früher schön
in den guten alten Zeiten?

Putze

Kinders, wie die Zeit vergeht. Kaum habe ich einen Beitrag zum Weltputzfrauentag geschrieben, sind schon wieder fünf Jahre vergangen. Und: Der Gedenktag feiert heute seinen zehnten Geburtstag. Schaut doch mal rein in die Seite, auf der es um Karo Rutkowsky geht und ihren Geburtstag. Gesine Schulz ist an allem Schuld.

Ständchen statt Hymne

Heute wäre Geburtstag. Wäre. Geburtstag der DDR. Der Fünfundsechzigste. Wenn da nicht der Mauerfall gewesen wäre und seine Folgen. Vor fünfundzwanzig Jahren. Eine alte Freundin, eine aus Kindertagen, feiert diesen siebten Oktober immer noch. In Gera. Eher als den Dritten, den Einheitstag. Das Fremdeln ist noch nicht vorüber. Das Fremdeln mit dem jeweils anderen Teil Deutschlands. Von der DDR ist so gar nichts oder nur sehr wenig geblieben nach der Einheit. Dabei hätte es weiß Gott gute Gründe gegeben, beispielsweise die Kinderhymne von Bertold Brecht zur Nationalhymne zu machen, wie es viele gefordert haben in jenen Tagen vor der Vereinigung. Die Anspielungen auf das Deutschlandlied sind nicht zu übersehen. Vom Politikwissenschaftler Iring Fetscher stammt die schöne Wertung, daß es “wohl keine Hymne (gebe, W.H.), die die Liebe zum eigenen Land so schön, so rational, so kritisch begründet, und keine, die mit so versöhnlichen Zeilen endet.“ Ich hätte gerne eine so unpathetische Hymne für mein vereintes Vaterland. Nehmen wir die Kinderhymne also wenigstens als Geburtstagsständchen für die gewesene DDR.

Anmut sparet nicht noch Mühe
Leidenschaft nicht noch Verstand
Daß ein gutes Deutschland blühe
Wie ein andres gutes Land.

Daß die Völker nicht erbleichen
Wie vor einer Räuberin
Sondern ihre Hände reichen
Uns wie andern Völkern hin.

Und nicht über und nicht unter
Andern Völkern wolln wir sein
Von der See bis zu den Alpen
Von der Oder bis zum Rhein.

Und weil wir dies Land verbessern
Lieben und beschirmen wir’s
Und am Liebsten mag’s uns scheinen
So wie andern Völkern ihrs.

Zum Schutzengeltag

Schutzengeltag. Wirklich. Schutzengel. Das sind Engel, die die Menschen schützen. “Denn Gott hat seine Engel ausgesandt, damit sie dich schützen, wohin du auch gehst.” Psalm 91. Bertold Brecht hingegen hat den Menschen zum Schutz der Engel ermahnt. “Und seine Flügel, Mensch, zerdrück sie nicht.”

Über die Verführung von Engeln
Engel verführt man gar nicht oder schnell.
Verzieh ihn einfach in den Hauseingang
Steck ihm die Zunge in den Hals und lang

Ihm untern Rock, bis er sich nass macht, stell
Ihn, das Gesicht zur Wand, heb ihm den Rock
Und fick ihn.
Stöhnt er irgendwie beklommen
Dann halt ihn fest und lass ihn zweimal kommen
Sonst hat er dir am Ende einen Schock.

Ermahn ihn, dass er gut den Hintern schwenkt
Heiß ihn dir ruhig an die Hoden zu fassen
Sag ihm, er darf sich furchtlos fallen lassen
Dieweil er zwischen Erd und Himmel hängt –

Doch schau ihm nicht beim Ficken ins Gesicht
Und seine Flügel, Mensch, zerdrück sie nicht.

Bertolt Brecht, 1948

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Weintrinker

Neunzehnhundertdreiundsechzig schon hat der Jurist und Sänger und Oppositionelle und zeitlebens Unangepaßte, der Doktor der Rechte, Franz Josef Degenhardt, Sozialdemokrat zunächst, Kommunist hernach, Cousin von Johannes Joachim Kardinal Degenhardt, dem Erzbischof von Paderborn, bekannt, daß er Weintrinker sein möchte und die Idylle seines Lebens beschrieben

Ich möchte Weintrinker sein,
mit Kumpanen abends vor der Sonne sitzen
und von Dingen reden, die wir gleich verstehn,
harmlos und ganz einfach meinen Tag ausschwitzen
und nach Mädchen gucken, die vorübergehn.
Ich möchte Weintrinker sein.

Ich möchte Weintrinker sein,
und nicht immer diese hellen Schnäpse saufen,
nicht von Dingen reden, die nur mich angehn,
mir nicht für zwei Gläser Bier Verständnis kaufen,
nicht mit jenen streite, die am Tresen stehn.

Ich möchte Weintrinker sein,
bei’nem herben Roten oder leichten Weißen
um’ne Runde spielen, nach der keiner fragt,
ein paar Witze über den Verlierer reißen,
der ganz einfach nur darüber lacht.

Ich möchte Weintrinker sein,
nicht beim Schnaps um Zehntel Skat mit Hirschbock spielen,
wo man gierig Geld in seine Tasche wischt,
nicht dem Nachbarn heimlich in die Karten schielen,
ihn nicht schlagen, wenn er sich zwei Asse mischt.

Ich möchte Weintrinker sein,
mit Kumpanen lachend ein paar Lieder singen,
die sich um Trinken, Mädchen und um Liebe drehn,
nebenbei ein bisschen reden von den Dingen,
die am tag in einer kleinen Stadt geschehn.

Ich möchte Weintrinker sein,
nicht ab Mitternacht “Frau-Wirtin-Verse” grölen,
kein Soldatenlied und nicht den “Tag des Herrn”,
und nicht vom “Mittelabschnitt” irgendwas erzählen
und nichts von Hungerpest in Hongkong hör’n.

Ich möchte Weintrinker sein,
auf dem Nachhauseweg wie Kinder darauf achten,
dass man beim Bürgersteig nicht auf die Ritzen tritt,
und im Bett dran denken, wie die Mädchen lachten,
und im Schlaf noch lachen über meinen Schritt.
Ich möchte Weintrinker sein.