Kategorie: Gesellschaft

Gegen Tabus: Kölnerin produziert Masturbationskissen für Frauen

Mit einem Sonderpreis beim Kölner Designpreis wurde kürzlich die Kölner Designerin Sanja Zündorf ausgezeichnet. Sie setze ein „starkes Zeichen gegen das Tabu der weiblichen Masturbation“, wie es in Zeitungen heißt. Sie habe, auf der Basis eigener Erfahrungen sowie einer Umfrage bei 500 Frauen, ein Masturbationskissen entworfen, im Rahmen ihrer Masterarbeit, nähe diese eigenhändig in verschiedenen Farben wie Grün, Orange oder Blau und vermarkte das Ganze auch in sozialen Medien wie Instagram unter dem Projektnamen „Entzück Dich selbst“.

Foto aus Instagram

Längere Zeit habe die 30-Jährige Gefühle wie Scham und Schuld bei der Masturbation verspürt. Im Rahmen ihres Design-Studiums habe sie sich vermehrt mit weiblicher Masturbation befasst und über ihre Umfrage erfahren, daß auffallend viele Frauen angaben, zur Masturbation auf Kissen zu reiten. Nach der ersten Vorstellung wurden ihre Kissen im Museum für Angewandte Kunst Köln (MAKK) ausgestellt. Nach dem praktischen Tauglichkeitsnachweis sozusagen die sofortige Adelung als Kunst- und Kulturobjekt. Derzeit führt sie Gespräche mit potenziellen Partner:innen für die Produktion ihrer Kissen, die sie bislang noch eigenhändig näht.

Ein Lehrstück, wie persönliche, intime Bedürfnisse und Vorlieben in ein Produkt gegossen, zum gesellschaftlich-kulturellen Tabubruch avancieren, im Kulturbetrieb geadelt werden und schließlich in ein Unternehmen fließen, das später womöglich Arbeitsplätze für Näherinnen, Buchhalter, Einkäufer, Lagerarbeiter, Werbefuzzies und Steuerberater schafft. Kölner Kapitalismus. Nett. Entzück dich selbst.


Beitragsfoto © IMAGO

Die Zivilgesellschaft in Europa – resilient, gebildet und engagiert

Es liegt im Interesse der Feinde der offenen Gesellschaft, ihr Ende vorherzusagen. Aber nicht in unserem. Warum auch? Das Regime von Putin, jenes in Beijing oder in Teheran – sie hätten bei fairen Wahlen keine Chance. Die Bürgerinnen und Bürger dort würden aufatmen, wenn sie anders regiert würden. Niemand flieht dort hin, viele aber von dort. Menschen riskieren Ihr Leben, um gegen diese Systeme zu protestieren. Ihr Mut beschämt uns, die wir doch so oft zaudern und zögern, die Freiheit zu verteidigen. Putin turnt noch auf der Weltbühne herum, aber die Sanktionen beginnen zu wirken und sein Spielraum wird enger. Das einzige Feld, auf dem seine Leute nahezu ungehindert herumfuchteln können, ist die digitale Propaganda. Und der größte Markt dafür ist die Europäische Union, hier verdienen die Plattformen ihr Geld. Zeit, das zu regulieren. Europa verzwergt sich selbst. Es gilt auch für die mediale Darstellung der politischen Lage. Die Parteien der extremen Rechten und andere Kremlfreunde erfreuen sich großen Zuspruchs – stimmt. Aber mindestens 75% der Menschen lehnen diesen Wahnsinn ab. Warum immer noch und ohne Not ganze Fernsehsendungen um die Protagonisten eines russlandfreundlichen Kurses konzipiert werden, gehört zu den großen Rätseln der Gegenwart. Wenn man sich besieht, was Europa alles zu bieten hat, wie resilient, gebildet und engagiert die Zivilgesellschaft, also schlicht die Leute sind, darf man Vertrauen schöpfen. Ich glaube nicht an eine düstere Zukunft für Europa. Es wird Veränderungen geben, mehr Kooperation, womöglich werden einige ärmer und die Steuern höher. Wir werden es überleben. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde bekanntlich ein Lastenausgleichsgesetz beschlossen, um den Wiederaufbau zu finanzieren und zugleich wurden zwölf Millionen Vertriebene aufgenommen. Diese Belastungen führten aber nicht zu einem neuen Krieg, sondern zu einer Ära internationaler Kooperation. Die multiplen Krisen werden neue Kräfte wecken, neue Personen auf den Plan rufen und heute noch unbekannte Entwicklungen fördern. Nur Nichtstun, das Verkriechen in der Illusion einer permanenten Gegenwart, ist gefährlich – die Passivität des Westens nach den Massakern des Regimes in Syrien am eigenen Volk haben die Gegner ermutigt und uns heute in diese brenzlige Lage manövriert.

Nils Minkmar, Newsletter Der Siebte Tag

“Man bekämpft eine Ideologie nicht, indem man ihr zustimmt”

In Meinungsumfragen, der französische Soziologe Pierre Bourdieu erinnerte gern daran, stellt man Menschen Fragen, die sie sich selbst nicht stellen. Etwa was man wählen würde, wenn am nächsten Sonntag Bundestagswahl wäre. Nun ist heute zwar der siebte Tag, aber keine Wahl. Darum kümmern sich Bürgerinnen und Bürger klugerweise um andere Dinge, die Wahlperiode dauert noch an. So ähnlich läuft das mit den “Problemen des Landes”. 

Man ist ja schon heilfroh, einigermaßen selbst klar zu kommen und versetzt sich nicht oft in die Lage der Bundesrepublik Deutschland oder eines anderen Staats, um auch noch dessen Probleme zu lösen. Wird man dennoch mal danach gefragt, dann sagt man eben spontan auf, was dazu so gesagt und geschrieben wird. Hätte man die Menschen im Paris des Jahres 1789 nach den größten Problemen gefragt, hätten die vielleicht von den Getreidespekulanten angefangen, die das Brot teurer machen und damit geheime Armeen bezahlen. Im Deutschen Reich des Jahres 1933 hätten viele gebildete und wohlhabende Menschen vor dem Einfluss der Juden gewarnt. Und im Großbritannien des Jahres 2015 führte die Panik vor Zuwanderung beispielsweise aus Polen zur Sieg des Brexit-Lagers – einem der größten Eigentore der modernen Geschichte. Keines der drei genannten Probleme war wirklich ernst oder bestand auch nur. 

Der Antisemitismus, Sartre hat es am besten beschrieben, erfindet Probleme oder zieht welche heran, um dem Hass auf Juden freien Lauf zu lassen. Es kam also durchaus vor in der Geschichte, dass Gesellschaften bei dem Versuch, Probleme zu lösen, die sie nicht hatten, untergingen.

Das denke ich auch zum Thema Migration – angeblich Problem Nummer Eins. Von Gérald Darmanin zu Friedrich Merz- im gesamten bürgerlichen Lager und darüber hinaus, leider auch in vielen Medien, wird das so benannt. Die Logik ist bekannt: Man möchte das Thema nicht der extremen Rechten überlassen, sondern die Sorgen der Menschen ernst nehmen. Das aber nutzt nur den rechten Parteien, die seit Jahrzehnten erzählen, dass Menschen, die nach Europa kommen, ein Problem seien. 

Im Hintergrund schwingt immer die Verschwörungstheorie vom großen Bevölkerungsaustausch mit, den alle anderen außer den Rechten planen. Und in dieser Optik ist jeder neu nach Europa gezogene Mensch eine Bedrohung. Je weniger, desto besser – und leider hat sich das als Ziel oder gute Idee weit über das rechtsradikale Lager hinaus verbreitet.

Man bekämpft eine Ideologie nicht, indem man ihr zustimmt. Die schlechte Behandlung von Migranten mit dem Ziel ihrer Abschreckung ist kein Weg aus der politischen Zwickmühle.

Aber zur Wahrheit gehört auch, dass niemand damit zufrieden sein kann, wie die Zuwanderung nach Europa derzeit geregelt ist. Europa verrät seine Werte, wenn die Seenotrettung erschwert wird oder die Menschen in die Illegalität gedrängt oder gar kriminalisiert werden. Gründe für Flucht sind vielfältig. Und ehrlich gesagt braucht es nur wenige ungünstige Weichenstellungen der Geschichte – Sieg eines Verrückten in den USA und Stabilisierung russischer Aggressionspotentiale – und wir sind auch auf der Flucht.

Die genaue Deutung und präzise Benennung des Problems ist nötig: Ich finde den jetzigen Zustand der Zuwanderungsorganisation nach Europa auch höchst problematisch. Chaotisch, zufällig und oft genug unmenschlich. Damit meine ich die mangende europäische Koordinierung und das Europa nicht als außenpolitisches Subjekt agiert. Und auch im inneren muss eine wertschätzende Aufnahme organisiert werden. Man möchte wissen, wer da kommt und was nötig ist, damit die Zukunft gelingt. Hier darf man nicht sparen.

So geht es vielleicht auch anderen, die sich in solchen Umfragen äussern. Man spürt an allen Ecken und Enden – bei der Klimakrise, den Bedrohungen der offenen Gesellschaft und den Transformationen der Weltwirtschaft – dass ein Nationalstaat allein nicht mehr viel bewegen kann. Die EU ist aber noch weit davon entfernt, eine tragende politische Rolle im Konzert der multipolaren Welkt zu spielen. Immer noch erscheinen zu großen Gipfeln die Chefs der europäischen Nationen wie die Fürsten des Heiligen Römischen Reichs deutscher Nation: Zahlreich, pompös und ohnmächtig.

Eine vernünftige politische Integration scheitert genau an den Kräften, die von dieser Schwäche der EU profitieren. Der Mittelweg – bisschen Migranten abschrecken, bisschen nationale Symbolpolitik – führt nirgends hin. Für die Rechten läuft es wie geschmiert: Ihre Themen werden 24/7 besprochen, auf der Linken gibt es keine Alternativen und markige nationalstaatliche Politiker scheitern seit Jahrzehnten an der Lösung von Problemen, die nicht einmal genau beschrieben sind. 

So rückt die EU immer weiter nach rechts. Ein Projekt wie der Euro, vorangetrieben von Theo Waigel, François Mitterrand und Helmut Kohl, hätte heute keine Chance mehr – das Klima ist viel zu vergiftet.

Merke: Jene, die das Problem Nummer Eins zu bekämpfen vorgeben, verschärfen es. Sie leben von Problemen,

Nils Minkmar, Das Problem mit Problemen, in: Newsletter Der siebte Tag

On and off

In der französischen Provinz kann man ein anderes Zeitgefühl studieren, da regiert schon der saisonale Eigensinn. Es gibt zwei Jahreszeiten:Mit Touristen und ohne – on and off. Jetzt, in der herbstlichen Nachsaison zeigt die französische Provinz ihr menschliches Antlitz: Nachsicht waltet, viele Läden sind geschlossen und die Wälder voller Pilzsammler auch an Wochentagen. Im Sommer wurde das Geld verdient, nun regiert wieder die süße Anarchie. Die Wildschweine plündern die Mülltonnen und rennen durch die Straßen, die Abfallsäcke im Maul wie Trophäen. Strom bleibt stundenlang weg, kein Mensch weiß, weshalb. In manchem Bistro muss man vermuten, dass der Koch das Weite gesucht hat, aber da ist es dann schon zu spät. 

Nils Minkmar, Der Siebte Tag. Eine Folge von Regentagen…

Kein linkes Thema

Ich frage mich immer, warum sich konservative Bewegungen nicht an die Spitze von Klima- und Umweltschutz stellen? Eigentlich ist es kein linkes Thema. Die Bewahrung der gewachsenen Natur passt viel besser in die politische Tradition von rechts. Aber heute ist daran nicht zu denken, besonders in den USA ist die Gegnerschaft zum Klimaschutz und zu erneuerbaren Energien ein irrationales politisches Glaubensbekenntnis, abseits von jeglicher Rationalität. Die Mehrheit der amerikanischen Bürgerinnen und Bürger stehen Maßnahmen des Umweltschutzes zwar positiv gegenüber, aber das politische Feld ist völlig verseucht. Warum kam das so? Schließlich war es Nixon, der mit Umweltschutz begann und selbst George W Bush nahm sich des Themas an. Diese Untersuchung der Historikerin Ella Müller geht dieses sehr aktuellen Frage nach. Ich bin erst am Anfang, aber es entwickelt sich zu einem echten Politthriller.

Nils. Minkmar, Utopie mit U-Bahnanschluss, in: Newsletter Der siebte Tag

“Die Feinde der offenen Gesellschaft eint ihr mörderischer Haß auf Juden, Frauen und Minderheiten”

Ich denke oft an ein Gespräch, das ich vor Jahren mit dem algerischen Schriftsteller und Journalisten Kamel Daoud hatte. Er warnte vor der Zange zwischen der extremen Rechten und den Islamisten, die sich um die offene Gesellschaft Europas schließen könnte wie um seine Heimat, Algerien: Islamisten und Marine Le Pen, AfD und Antisemiten, Putin und Hamas – sie sind laut, brauchen einander und treiben uns vor sich her. Für die offene Gesellschaft ergibt sich ein Konflikt an zwei Fronten. (…)

Die Feinde der offenen Gesellschaft, so unterschiedlich sie sich geben, haben eine Gemeinsamkeit: Ihr mörderischer Hass auf Juden, Frauen und Minderheiten bliebe mehr oder minder privat, wenn sie nicht über diese immensen finanziellen Mittel verfügten. Iran und Russland sitzen auf irrsinnigen Mengen von Geld wie mörderische Dagobert Ducks. Kaufen sich Medien, Hassprediger, Waffen und ehemalige Bundeskanzler. Geld aus dem Verkauf von fossilen Brennstoffen, die wir brauchen, um die Klimaanlagen zu betreiben, weil die Luft so warm ist, um im Parkplatzsuchverkehr unsere Runden zu drehen oder Waren aus Asien zu importieren, die früher problemlos hier hergestellt wurden. (…) Und immer klingelt die Kasse für Energie und Transport bei unseren Feinden.

Die Fatwa auf Salman Rushdie brachte kein Umdenken und der 11. September 2001 auch nicht. Die Ausbreitung der Hassprediger im Maghreb und in Europa nicht, ebenso wenig die Attentate in London und später in Frankreich. Auch der russische Überfall auf die Ukraine änderte wenig, wir wechselten bloß den Lieferanten. “Die Angst der Bundesregierung vor den deutschen Autofahrern”, schreibt Stephan Lamby in seinem Buch Ernstfall “ist größer als jene vor Putin.” Deutschland lebt sentimental in der Fernsehwerbung der SiebzigerJahre: Eigenheim, PKW und Frühstücksidylle.  

Der Einsatz von Militär und Polizei gegen Terroristen ist nötig, aber nicht nachhaltig. Erst wenn wir von Öl und Gas weg kommen, hellt sich der historische Horizont wieder auf. Der Verkauf von Rohstoffen begünstigt Korruption und die Herrschaft der Wenigen. Medien werden gekauft oder bedroht, Personenkult ersetzt das Gemeinwesen und Gewalt entscheidet alle Zweifelsfragen. Nicht in allen Ländern natürlich – Kanada und Norwegen sind löbliche Ausnahmen. Aber in unserer geografischen Nachbarschaft gibt es einfach zu viele dieser Könige, die sich alles nehmen wollen. Dabei halten sich ihre Gier und ihre Ideologie nicht immer gegenseitig in Schach. Auch in Israel und den USA nahm man an, dass der Wohlstand der Hamas-Führer und ihrer Unterstützer dazu führt, dass sie dem Krieg abschwören. Dass ihre Interessen ihren Hass, ihre Weltanschauung neutralisieren. Im ganzen Westen hatte sich solch ein Denken etabliert: Unsere Werte sind nur relativ, die Liebe zum Geld aber universell. Darum bemerkten Dienste in Israel und USA – so jedenfalls stand es zu lesen- verdächtige Vorbereitungen in Gaza und der Szene – aber auf der politischen Ebene nahm man es nicht ernst. Würden ja alles verlieren, warum sollten sie zuschlagen? Kein Grund zur Schadenfreude: Noch Ende 2021 machten Politiker und Experten genau denselben Fehler, als es darum ging, Putins Absichten zu erraten. Putin und seine Freunde waren unermesslich reich, genossen Respekt und die ganze Welt stand ihnen offen. Was sollten sie die Ukraine angreifen? 

Sich mit Geld Ruhe zu kaufen, geht eine Weile gut, aber eben nur eine Weile. 

Der Universalismus von Menschen- und Bürgerrechten muss auch der Leitfaden wirtschaftlichen Handelns sein. Und in diesem Sinne ist die Umrüstung auf erneuerbare Energien unsere beste Strategie und die einzige, die Freiheit und Sicherheit in Europa gewährleistet. Und mehr noch: Unsere Kultur und Zivilisation ist einem weiteren Anstieg der Temperaturen nicht gewachsen. Auch da rettet uns ein beschleunigter Umbau von Wirtschaft, Transport und privatem Konsum auf erneuerbare Energien. 

Nils Minkmar, Newsletter Der Siebte Tag: Ein Tag nach dem anderen

Welttag für menschenwürdige Arbeit

Der Welttag für menschenwürdige Arbeit, vom Internationalen Gewerkschaftsbund (IGB) bei dessen Neugründung im Jahr Zweitausendundsechs als internationaler Tag für Gute Arbeit ins Leben gerufen, findet jährlich am siebten Oktober statt. Nicht nur an diesem Tag treten Gewerkschaften für die Herstellung menschenwürdiger Arbeitsbedingungen ein. Aber an diesem Welttag erhält die menschenwürdige Arbeit eine besondere Bühne. Menschenwürdige Arbeit, das sind insbesondere ein Verbot der Kinderarbeit, Maßnahmen zur Aufhebung der Benachteiligung von Frauen am Arbeitsplatz (Gleichstellung), „qualitativ hochwertige öffentliche Dienste“, der Schutz der Umwelt, hinreichender Arbeitsschutz der Beschäftigten und eine angemessene soziale Sicherung. In Deutschland wird unter anderem auf die Ausweitung des Niedriglohnsektors hingewiesen

 Beitragsfoto © Ana Raquel S. Hernandes, Sao Paulo, Brazil – Berlin, CC BY-SA 2.0,