Monat: Oktober 2014

Ständchen statt Hymne

Heute wäre Geburtstag. Wäre. Geburtstag der DDR. Der Fünfundsechzigste. Wenn da nicht der Mauerfall gewesen wäre und seine Folgen. Vor fünfundzwanzig Jahren. Eine alte Freundin, eine aus Kindertagen, feiert diesen siebten Oktober immer noch. In Gera. Eher als den Dritten, den Einheitstag. Das Fremdeln ist noch nicht vorüber. Das Fremdeln mit dem jeweils anderen Teil Deutschlands. Von der DDR ist so gar nichts oder nur sehr wenig geblieben nach der Einheit. Dabei hätte es weiß Gott gute Gründe gegeben, beispielsweise die Kinderhymne von Bertold Brecht zur Nationalhymne zu machen, wie es viele gefordert haben in jenen Tagen vor der Vereinigung. Die Anspielungen auf das Deutschlandlied sind nicht zu übersehen. Vom Politikwissenschaftler Iring Fetscher stammt die schöne Wertung, daß es “wohl keine Hymne (gebe, W.H.), die die Liebe zum eigenen Land so schön, so rational, so kritisch begründet, und keine, die mit so versöhnlichen Zeilen endet.“ Ich hätte gerne eine so unpathetische Hymne für mein vereintes Vaterland. Nehmen wir die Kinderhymne also wenigstens als Geburtstagsständchen für die gewesene DDR.

Anmut sparet nicht noch Mühe
Leidenschaft nicht noch Verstand
Daß ein gutes Deutschland blühe
Wie ein andres gutes Land.

Daß die Völker nicht erbleichen
Wie vor einer Räuberin
Sondern ihre Hände reichen
Uns wie andern Völkern hin.

Und nicht über und nicht unter
Andern Völkern wolln wir sein
Von der See bis zu den Alpen
Von der Oder bis zum Rhein.

Und weil wir dies Land verbessern
Lieben und beschirmen wir’s
Und am Liebsten mag’s uns scheinen
So wie andern Völkern ihrs.

Die Einheit der Ewalde

Die Einheitstrunkenheit ist meine Sache irgendwie immer noch nicht. Jedenfalls nicht an diesem Tag. Für mich ist der dritte Oktober ein eher blasser Tag, verglichen beispielsweise mit dem neunten November. Der Tag des Beitritts der neuen Länder in die Bundesrepublik Deutschland. Auf daß nichts mehr bleibe von der untergegangenen DDR. Am neunten November, ich habe hier schon drüber geschrieben, hat Günter Schabowski die DDR versenkt, ist der Kölner Revolutionär Robert Blum erschossen worden, hat Philipp Scheidemann vom Reichstagsgebäude aus die Republik ausgerufen, es gab den Putschversuch von Hitler und Ludendorff vor der Münchener Feldherrenhalle und später die antijüdischen Progrome, kurzum: der neunte November ist der Tag der Deutschen. In Ost und West. Heute und in der Vergangenheit. Der dritte Oktober ist Rathausturm Koeln - Weisser Ewald - Kunibertbloß ein arbeitsfreier Tag. Und der Namens-Tag Ewalds. Die beiden heiligen Brüder Ewaldi waren, wie wir Wikipedia entnehmen dürfen, in England geborene Missionare in Westfalen. Nach der Haarfarbe spricht man vom Schwarzen und vom Weißen Ewald. Die Reliquien dieser beiden Ewalde wurden durch Pippin den Mittleren nach Köln überführt. Erzbischof Anno, der Zweite bunkerte die Knöchelchen Eintausendvierundsiebzig in der Kirche Sankt Kunibert. In den Bistümern Essen, Köln, Münster und Paderborn werden die heiligen Ewalde am 3. Oktober verehrt. Also heute. Am Einheitstag. (Auf dem Foto vom Rathausturm in Köln ist Ewald der Weiße links zu sehen, neben Kunibert von Köln. © Raimond Spekking / CC BY-SA 3.0 Wikimedia Commons)

Verantwortung

Die rot-grüne Landesregierung ist im Fall der gedemütigten und mißhandelten Flüchtlinge in nordrhein-westfälischen Flüchtlingsunterkünften ihrer grundgesetzlichen Verpflichtung nicht nachgekommen, die unantastbare Würde des Menschen zu schützen. Bedauern, Betroffenheit und Bestürzung ersetzen nicht die politische Verantwortung der Landesregierung oder des Innenministers. Und es sind in der Tat schon Innenminister zurückgetreten, anderswo, die  kritisierte Vorgänge nicht direkt zu verantworten gehabt hatten. Armin Laschet, dem Landesvorsitzenden der CDU, ist insoweit vollkommen zuzustimmen.

Zum Schutzengeltag

Schutzengeltag. Wirklich. Schutzengel. Das sind Engel, die die Menschen schützen. “Denn Gott hat seine Engel ausgesandt, damit sie dich schützen, wohin du auch gehst.” Psalm 91. Bertold Brecht hingegen hat den Menschen zum Schutz der Engel ermahnt. “Und seine Flügel, Mensch, zerdrück sie nicht.”

Über die Verführung von Engeln
Engel verführt man gar nicht oder schnell.
Verzieh ihn einfach in den Hauseingang
Steck ihm die Zunge in den Hals und lang

Ihm untern Rock, bis er sich nass macht, stell
Ihn, das Gesicht zur Wand, heb ihm den Rock
Und fick ihn.
Stöhnt er irgendwie beklommen
Dann halt ihn fest und lass ihn zweimal kommen
Sonst hat er dir am Ende einen Schock.

Ermahn ihn, dass er gut den Hintern schwenkt
Heiß ihn dir ruhig an die Hoden zu fassen
Sag ihm, er darf sich furchtlos fallen lassen
Dieweil er zwischen Erd und Himmel hängt –

Doch schau ihm nicht beim Ficken ins Gesicht
Und seine Flügel, Mensch, zerdrück sie nicht.

Bertolt Brecht, 1948

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Aufm Platz

“Entscheidend is aufm Platz.” Adi Preisler war es, der einst diese unumstößliche Wahrheit kund tat. “Grau ist alle Theorie – entscheidend is aufm Platz.” Adi Preisler, für die Jüngeren und jene, die sich nicht so gut auskennen in Fußball und Philosophie, Adi Preisler war Fußballer im Ruhrgebiet, in Duisburg und Dortmund, Nationalspieler und nach seiner Spielerkarriere Trainer.  Entscheidend is aufm Platz. Das ist es. Alle Sprüche, alle Versprechungen, alle Zusagen gelten am Ende nichts. Entscheidend is aufm Platz. Die einfache Wahrheit, beruhend auf Erfahrung, Lebens- und Spielerfahrung. Gestern war aufm Platz. Gestern nämlich tagte hier der Stadtrat. Und unter anderem ging es um einen Antrag der SPD-Fraktion, mit dem der  Bürgermeister aufgefordert werden sollte, bis zur außerordentlichen Sitzung des Rechnungsprüfungsausschusses im November eine schriftliche Stellungnahme zu dem Millionenschaden beim Innenstadtumbau vorzulegen. Vor dem Spiel hieß es beispielsweise bei der CDU, daß die Verbindung von Büfo, Grünen und CDUeine innovative, transparente und bürgernahe Kommunalpolitik betreiben” werde. Die AfD hat in ihr kommunales Wahlprogramm hineingeschrieben, daß es um “mehr Transparenz bei den Ratssitzungen” gehe. Mehr noch. Vollmundig heißt es bei den Alternativen: Stadtrats­ und Ausschusssitzungen, die brisante Themen, die bei den Bürgern auf hohe Aufmerksamkeit und Interesse stoßen, behandeln, sollten zukünftig per Video aufgezeichnet werden. Transparenz und Aufgeklärtheit bei wichtigen Angelegenheiten der Stadt sollten dem Bürger auf direktem Wege zur Verfügung gestellt werden.” Und die entsprechende Überschrift im Wahlprogramm der Linken  lautet: Transparente Politik und keine Hinterzimmerpolitik. Also Transparenz. Das bedeutet durchsichtig, für den Bürger erkennbar, anschaulich, durchschaubar, sichtbar. Aber, wie gesagt, das ist alles vor dem Spiel. Entscheidend is aufm Platz. Gestern war aufm Platz. Im Stadtrat. Und wie haben sie gespielt, die, die uns allen doch die Transparenz versprochen haben? Sie haben den Antrag abgelehnt. CDU, Bürgerforum, AfD und zwei Verordnete von der FDP haben, was kümmert uns unser Geschwätz von Transparenz, gegen den Antrag gestimmt. Und die Linke hat sich tapfer enthalten. Der Bürgermeister, also die Verwaltung, muß mithin nicht im November öffentlich erklären, wie es zum Millionenverlust zu Lasten der Bürger Wermelskirchens kommt. Transparenz in Wermelskirchen bedeutet, daß die Öffentlichkeit zunächst nicht erfahren wird, ob das Fehlverhalten in der Verwaltung Konsequenzen haben und ob jemand schadensersatzpflichtig ist und zur Rechenschaft gezogen wird. Dabei hat selbst das Rechnungsprüfungsamt die Verwaltung “mehrfach zur Abgabe einer schriftlichen Stellungnahme aufgefordert”. Tolle Transparenz in Wermelskirchen. Dagegen war Glasnost in Rußland ein Muster an Bürgerfreundlichkeit. Entscheidend is aufm Platz. Hier. Bei uns. In unserem Rathaus. Nicht in der Walachei.