Kategorie: Politik

Verdorbenheit

„Wir machen uns etwas vor, wenn wir annehmen, dass es irgendein Ausmaß an Verdorbenheit gibt, vor dem Trump zurückscheut, dass es irgendeine rote Linie gibt, die er nicht übertritt, wenn es um die Macht geht.“

Dave Eggers, US-amerikanischer Schriftsteller, zitiert nach: Boris Herrmann und Christian Zaschke, Herr der Lügen, in: Süddeutsche Zeitung vom zweiten November Zweitausendvierund zwanzig

Politik und ihr Tribut

Ein Pro und Contra ist in der Süddeutschen Zeitung von Samstag zu lesen. Ist der Job des Politikers überhaupt noch zu bewältigen? Anlass sind die Rücktritte von Kevin Kühnert vom Amt des SPD-Generalsekretärs und Ricarda Lang von dem der Sprecherin des Vorstandes von Bündnis 90/ Die Grünen. 

Vivienne Timmler übernimmt das Pro. Der Job der Politikers sei hart – und doch ein Privileg. In keinem anderen Beruf wäre es möglich, die Zukunft des Landes in diesem Maße mitzugestalten, sich für die eigenen Werte und Überzeugungen so effektiv einzusetzen. Das Parlament, und man mag hinzufügen, das Land und seine Bürgerinnen ebenfalls, brauchen Politiker, „die menschlich, nahbar und glaubwürdig sind, mehr denn je. Leute, die sich trauen, Fehler zu machen, Schwächen zuzugeben und nicht für alles sofort die beste Lösung parat zu haben. Es wäre die richtige Antwort auf den Vertrauensverlust in politische Institutionen und die Entfremdung, die zwischen der Politik und den Wählern stattgefunden hat. 

Was es dafür jedoch auch benötigt: Parteien, in denen die von der Mehrheit abweichende Meinung wieder als Gewinn gesehen wird. Politische Umfelder, die all jene, die im Feuer stehen, besser schützen, teils auch vor sich selbst. Demokratische Wettbewerber, die aufhören, Hass-Narrative noch zu befeuern. Und nicht zuletzt eine Gesellschaft, die es wieder lernt, den Menschen hinter dem Politiker zu sehen. Denn am Ende macht dieser Mensch den Job nicht für sich selbst. Sondern für das Volk.“

Constanze von Bullion bezeichnet in ihrem Contra-Kommentar die Politik als „Lebendfalle“. Natürlich seien Politiker privilegiert. Jede Spitzenposition fordere ihren Tribut, in der Politik wie in Wirtschaft oder Gesellschaft. „Die politische Bühne allerdings ist von besonderer Erbarmungslosigkeit.“

„Unzumutbar ist die Gehässigkeit, mit der in sozialen Medien jeder noch so kleine Versprecher, jeder Stolperer in einer Talkshow und jede spontane, unfrisierte Formulierung aufgespießt wird, bevor das digitale Anspucken folgt – bei Ricarda Lang reichte schon die nicht normgerechte Figur, um einer beispiellosen Hatz ausgesetzt zu sein, über Jahre.“

„Wer hat noch Lust auf solche Jobs? Wer steht sie durch? Und wer würde tauschen? So gut wie keiner dieser Schreihälse, die täglich Häme über Politiker ausschütten. (…) Der Hohn über den Elfenbeinturm, in dem die politische Kaste es sich gemütlich gemacht hat auf Steuerzahlers Kosten, bevor sie sich abends durch die Talkshows schwatzt, ist wohlfeil. Das Gegenteil ist der Fall. Politik ist ein so hartes Geschäft, dass Leute, die man dort besonders dringend bräuchte, es als Berufsfeld oft gar nicht erst in Betracht ziehen.

In Parlamenten fehlen Nicht-Studierte in großer Zahl, Frauen sowieso, aber auch Menschen, die etwas anderes beherrschen als Jura, also die Kunst rechtlicher Akkuratesse. Politik wirkt abschreckend auf Nachdenkliche und Kreative, die sich nicht ins Korsett normierten Sprechens und Denkens fügen. (…) Es ist also kein Zufall, dass sich mit Ricarda Lang und Kevin Kühnert ausgerechnet zwei der vielversprechenden, weil unkonventionellen Persönlichkeiten aus der ersten Reihe verabschieden. Sie kann zur persönlichen Hölle werden, gerade für Menschen, die zu eigenem Gedankengut neigen.”

Querulatorische Paranoia

Der Rechtsruck ist „kein Ruck mehr, sondern eine mittlerweile jahrzehntelange Verschiebung sämtlicher Grundprinzipien“, formulierte der Dramatiker Thomas Köck in seiner jüngst erschienenen „Chronik der laufenden Entgleisungen“. Es gibt keinen Rechtsruck, „es gibt einen Rechtserdrutsch, gesellschaftlich, der längst in vollem Gange ist“.

Dessen Boden wird genährt, lange schon, fürsorglich und hingebungsvoll. Durch jedes Wort der gezielten Bösartigkeit, was man salopp und leichtfertig die „rechten Provokationen“ nennt. Jede dieser Bösartigkeiten führte Tropfen für Tropfen mehr an Gefühlsrohheit hinzu. Man gewöhnte sich an sie. Noch die Empörung darüber besorgte ihr Geschäft, die Rohheit bleibt im Gespräch, kommt immer mehr ins Gespräch, die einen kritisierten sie, die anderen verteidigten sie, dann wirkt sie erst als eine mögliche Meinung, die man haben kann, dann nach und nach als eine unter den Gängigen. Empört man sich, spielt man ihnen schon in die Hände, und tut, was sie erhoffen, generiert Aufmerksamkeit. Bekämpft man sie „inhaltlich“, läuft man ihren „Inhalten“ hinterher. Was immer man tut, die Gefühlsrohheit leckt sich die Finger. Wenn sich alles um sie dreht, schraubt sie sich immer mehr in unsere Welt hinein.

(…) Die schlechten Manieren, die Gewaltsprache, die obszöne Redeweise, sie gelten als Ausweis der Unangepasstheit und der Aufrichtigkeit (Kickl sagt gern, man werde den Gegnern „einen Schlag aufs Hosentürl“ versetzen). Der Agitator muss sein Publikum im Bewusstsein stärken, hilfloses Objekt „einer permanenten Verschwörung“ zu sein.

(…) Tatsächlich hat sich eine Art „globaler Stil“ des Ethno-Nationalismus herausgebildet.

In jüngerer Zeit hat die französische Philosophin und Psychoanalytikern Cynthia Fleury von Milieus voller Bitterniss geschrieben. Sie spricht von einer „querulatorischen Paranoia“, einer „Vergiftung“, einer „Selbstvergiftung“ der Subjekte, die an realen, echten sozialen Problemen andockt, aber ins Maßlose eskaliert. Das „in das Ressentiment verliebte Subjekt“, erleidet einen „Verlust der Urteilsfähigkeit“. Fleury: „Eine Person, die diese Störung hat, gibt ihre Fehler nie zu, ist aggressiv und provoziert andere, hat unbeherrschte Wutausbrüche, ist pathologisch unaufrichtig, überempfindlich.“

(…) Der harte Kern dieser Wählerschaft wünscht sich genau das, was er bekommt.

Robert Misik, Aufbrausend, aggressiv, paranoid, in: Newsletter Vernunft und Extase

Politische Kultur

Zu lesen, daß die Entscheidung von Taylor Swift, sich für Kamala Harris auszusprechen, zum entscheidenden Moment im us-amerikanischen Wahlkampf werden könne, bleibt befremdlich, auch wenn es sich um den derzeitigen Weltstar des Pop handelt, und wirft ein Licht auf den Zustand der politischen Kultur dort. On verra.

Politik ist kein Zuschauersport

Aber es gibt noch eine andere wichtige Erkenntnis dieser Tage: Ein Mann allein, sei es Joe Biden oder Emmanuel Macron, vermag nicht mehr viel auszurichten. In der Familie, der Keimzelle des Staates, leben wir ja auch längst anders. Da gibt es keinen Pater familias und wenn ich zu Hause so anfangen würde, müssten alle lachen. Aus dem, was im privaten Leben wichtig ist – die Fairness, die Zuverlässigkeit, die Kommunikation, die Freiheit – kann man ableiten, wie Politik sein muss. Wenn man sich die Rangliste mit den glücklichsten Ländern anschaut – Finnland, Norwegen, Dänemark und die Schweiz sind da immer vorn – wird man Mühe haben, auch nur eine Politikerin, einen Politiker dieser Länder zu nennen. Glück braucht keine Helden. Und Politik ist kein Zuschauersport.

Nils Minkmar, Das Wunder von Paris, in: Newsletter, Der Siebte Tag

Zur Kenntlichkeit verändert

In den letzten Wochen hat sich Frankreich verändert. Man hat noch mal genauer hingesehen, wer sich unter dem Logo des Rassemblement National so versammelt: Da war ein Kandidat, dessen geistiger Zustand es nötig macht, ihn unter Vormundschaft zu stellen. Eine, die schon wegen Überfall und Geiselnahme verurteilt wurde. Eine weitere, die mit einer SS-Kappe posiert. Wieder eine, die lachend erklärt, sie könne gar nicht rechtsradikal sein, denn ihr Zahnarzt sei Jude. Und jene Kandidatin in einem Wahlkreis in den Vogesen, die dem drohenden Ärztemangel durch massenhafte medizinische Spontanbildung im Praxiseinsatz begegnen möchte. Lange Jahre lebten die RN–Protagonisten in gemütlichen Fernsehstudios und kamen sympathisch rüber. Nun sieht man, woraus diese Bewegung gemacht ist. 

Nils Minkmar, Das Wunder von Paris, in: Newsletter, Der Siebte Tag

Kopf an Kopf

Spannend. Die beiden Spitzenkandidaten der Rechtsextremen zur Europawahl liefern sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen im Wettbewerb, wer tiefer in den landesverräterischen Käuflichkeitsskandal verstrickt ist. Lange lag die Nummer Zwei auf der Wahlliste, Bystron, vorne, hatte doch noch vor wenigen Tagen der tschechische Geheimdienst neues belastendes Material für Kohle aus Rußland als Audiodatei vorgelegt. Und heute der grandiose Befreiungsschlag des Spitzenkandidaten Krah. Sein Mitarbeiter ist wegen des Verdachts der Spionage für China verhaftet worden. Was für ein Haufen. Armleuchter ficken Deutschland.

„Die FDP verschwindet im Faltenwurf des Freiheitsgedankens“

Der Artikel unter diesem wahrlich malerischen Bild der Überschrift im Blog der Republik muß doch einfach gelesen werden, oder? Hans-Christian Hoffmann hat sich an der aktuellen und der zeitgeschichtlichen FDP abgearbeitet und kommt zur Schlussfolgerung, für die FDP sei „kein Rettungsanker ist in Sicht“.

Die ganze Ampel, im internen Streit verhedeert, stehe nicht wirklich strahlend da. Mit Abstand am stärksten jedoch sei die FDP in der Gunst der Wählerinnen und Wähler in Ungnade gefallen. An der Politik allein könne dieser Absturz indes nicht liegen, da sich Erfolge und Fehlschläge der Regierungsarbeit ziemlich gleichmäßig auf alle drei Parteien verteilten. SPD und Grüne aber hätten ihre Kernkompetenzen bewahren können, die FDP hingegen habe nur das ordoliberale Gedankengut im Werkzeugkasten.

Der deutsche Liberalismus habe sich seit seiner parteipolitischen Manifestierung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts konsequent in zwei Strömungen bewegt, in einer linksliberalen und einer nationalliberalen (neoliberalen). Mit der Gründung der FDP 1948 sei es erstmals gelungen, beiden politischen Grundorientierungen ein gemeinsames Dach zu geben. Und doch habe es lediglich mit den Freiburger Thesen von Flach und Maihofer nur einmal ein stringentes gemeinsames Programm gegeben, „wenn auch nur für kurze Zeit“.

Genscher und Lambsdorff hätten das neu gewonnene Profil nach der Vollendung der Ostpolitik ab Mitte der siebziger Jahre zielgerichtet geschliffen. Nach dem Sturz der sozialliberalen Regierung 1982 habe die FDP ihren linksliberalen Flügel inhaltlich wie personell abgestoßen. Damitsei der Versuch gescheitert, den politischen Freiheitsgedanken auch inhaltlich in nur einer Partei auszuformen. „Linksliberale und neoliberale Ideenwelten sind ganz offenbar nicht miteinander vereinbar. Sichtbar geworden ist dies durch die permanenten Auseinandersetzungen und Animositäten zwischen FDP und Grünen, die den Linksliberalismus in ihr Programm integriert haben.“

Übrig geblieben sei eine Kleinpartei mit nur einem wirklichen Thema: Leistung muss sich wieder lohnen. An diesem Kernsatz orientierten sich die permanenten Forderungen nach Steuererleichterungen und Deregulierungen in der Wirtschaft zur Gewinnmaximierung. Und: In diesem engen Rahmen könne sich ein geschlossenes gesellschaftliches Konzept nicht entwickeln.

Vor allem die SPD habe dies vor der Koalitionsentscheidung nicht erkannt und sich an alten Vorstellungen aus der Frühzeit der sozialliberalen Koalition erwärmt. „Die liberale FDP ist im Faltenwurf des Freiheitsgedankens verschwunden. Ob sie als reine Funktionspartei für die Union überlebt, wird sich bald zeigen.“ Müssen.