Kategorie: Literatur

Achtung

“Eine Kultur zeichnet sich nicht nur dadurch aus, was man in den Museen sieht und in den Opernhäusern hört; Kultur hat vielmehr damit zu tun, wie wir Menschen miteinander umgehen; wie setzen wir uns, wie hören wir einander zu, wie zeigen wir uns unsere Achtung.”

Stefan Kaluza, 30 Keller. Roman, Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 2014, Seite 51

Er ist’s

Frühling lässt sein blaues Band
Wieder flattern durch die Lüfte;
Süße, wohlbekannte Düfte
Streifen ahnungsvoll das Land.
Veilchen träumen schon,
Wollen balde kommen.
—  Horch, von fern ein leiser Harfenton!
Frühling, ja du bist’s!
Dich hab’ ich vernommen!

Irgendwie kennt man es oder hat es schon gelesen, das mit dem blauen Band. Eduard Mörike hat’s geschrieben, Achtzehnhundertachtundzwanzig, ein schwäbischer Pfarrer, Erzähler und Übersetzer. Und: der bedeutendste deutsche Lyriker nach Goethe, wie es heißt. Heute ist Frühlingsanfang, mit allem, mit dem blauen Band in den Lüften und den süßen Düften und den Veilchen.

Erich Kästner: Hymnus auf die Bankiers (1929)

Der kann sich freuen, der die nicht kennt!

Ihr fragt noch immer: Wen?
Sie borgen sich Geld für fünf Prozent
und leihen es weiter zu zehn.

Sie haben noch nie mit der Wimper gezuckt,
Ihr Herz stand noch niemals still.
Die Differenzen sind ihr Produkt.
(Das kann man verstehn, wie man will.)

Ihr Appetit ist bodenlos.
Sie fressen Gott und die Welt.
Sie säen nicht. Sie ernten bloß.
Und schwängern ihr eignes Geld.

Sie sind die Hexer in Person
und zaubern aus hohler Hand.
Sie machen Gold am Telefon
und Petroleum aus Sand.

Das Geld wird flüssig. Das Geld wird knapp.
Sie machen das ganz nach Bedarf.
Und schneiden den andern die Hälse ab.
Papier ist manchmal scharf.

Sie glauben den Regeln der Regeldetrie
und glauben nicht recht an Gott.
Sie haben nur eine Sympathie.
Sie lieben das Geld. Und das Geld liebt sie.
(Doch einmal macht jeder Bankrott!)

Ich will dich

Freiheit
ich will dich
aufrauhen mit Schmirgelpapier
du geleckte

(die ich meine
meine
unsere
Freiheit von und zu)
Modefratz

Du wirst geleckt
mit Zungenspitzen
bis du ganz rund bist
Kugel
auf allen Tüchern

Freiheit Wort
das ich aufrauen will
ich will dich mit Glassplittern spicken
daß man sich schwer auf die Zunge nimmt
und du niemandes Ball bist

Dich
und andere
Worte möchte ich mit Glassplittern spicken
wie es Konfuzius befiehlt
der alte Chinese

Die Eckenschale sagt er
muß
Ecken haben
sagt er
Oder der Staat geht zugrunde

Nichts weiter sagt er
ist vonnöten
Nennt
das Runde rund
und das Eckige eckig

 

Hilde Domin, ursprünglich Hilde Löwenstein und nach ihrer Heirat Hilde Palm. Geboren Neunzehnhundertneun in Köln in die Familie eines jüdischen Anwalts. Später studierte sie Jura, Philosophie und Politische Wissenschaften und promovierte in Florenz. Neunzehnhundertneununddreißig flüchtete sie über England in die Dominikanische Republik. Neunzehnhundertvierundfünzig kam sie zurück nach Deutschland. Aus Dankbarkeit für die vierzehn Jahre im Exil in der Dominikanischen Republik nannte sie sich Domin. Zweitausendsechs starb sie in Heidelberg. Ohne dieses Land, das Flüchtlinge aus Deutschland klaglos aufnahm, hätte es diese große Poesie nicht gegeben und unsere Kultur wäre ärmer und unser Land kälter.

Alles!

„Die Satire muß übertreiben und ist ihrem tiefsten Wesen nach ungerecht. Sie bläst die Wahrheit auf, damit sie deutlicher wird, und sie kann gar nicht anders arbeiten als nach dem Bibelwort: Es leiden die Gerechten mit den Ungerechten. […] Was darf die Satire? Alles.“

Kurt Tucholsky, in: “Was darf die Satire?”, Berliner Tageblatt, Nr. 36, 27. Januar 1919

All Is Pretty

Ich habe lange gebraucht zu verstehen, daß Literatur nicht Inhalte gibt, sondern ein Beispiel. Der Satz All Is Pretty meint nicht, daß alles hübsch sei – das wäre Schwachsinn -, er meint: Möglicherweise kann es in bestimmten historischen Momenten sinnvoll sein, die Bejahung, die jeder Mensch zum Leben braucht, auch aus Dingen zu holen, deren Bejahung nicht selbstverständlich ist, und aus dieser schwierigen Bejahung Kraft zu ziehen für eine Arbeit, die Bejahung weniger gebrochen ermöglicht.

Ronald M. Schernikau, WAS MACHT EIN REVOLUTIONÄRER KÜNSTLER OHNE REVOLUTION?, gefunden in: http://www.schernikau.net
Was ein Künstler ohne Revolution macht? Na Kunst.