Tag: 13. Juli 2022

Der Erfinder des “Literarischen Quartetts” ist tot

Die aktuelle Übung (…), potenzielle Leserinnen und Leser wie arme Herumirrende durch alle Arten von Niveau-Limbo ‘abzuholen‘, (…) kam nicht in Frage.”

Im Alter von 74 Jahren ist in München der Kulturjournalist und Historiker Johannes Willms gestorben, der beim ZDF unter anderem von 1988 bis 1992 die “aspekte”-Redaktion und später, von 1993 bis 2000, das Feuilleton der “Süddeutschen Zeitung” leitete (und danach als deren Frankreich-Korrespondent wirkte). Der Nachruf von Alexander Gorkow und Nils Minkmar in eben dieser Zeitung ist auch ein Rückblick auf einen Kulturjournalismus, den es im Fernsehen kaum noch gibt: “Der 1948 in Würzburg geborene Sohn eines Richters begriff den Kulturjournalismus im Fernsehen und in der Zeitung als einen Dienst an der Öffentlichkeit – und nicht als Gelegenheit zum Ausweis elitärer Kompetenzen oder Rechthabereien. Dabei setzte Johannes Willms schlicht voraus, dass sich kluge Menschen nun mal für Geschichte und Literatur interessieren, ja begeistern – einfach weil sie Bürgerinnen und Bürger in Karl Poppers offener Gesellschaft sind, der Republik (…) Die aktuelle Übung (…), potenzielle Leserinnen und Leser wie arme Herumirrende durch alle Arten von Niveau-Limbo ‘abzuholen‘, (…) kam nicht in Frage.” Ähnlich der Tenor in Claudius Seidls Text für die FAZ: “Wie optimistisch Willms (…) sowohl sein Medium wie auch die Kultur betrachtete, bewies er in den späten Achtzigern. Es war Willms, der sich das ‘Literarische Quartett‘ ausdachte. Es war er, der Marcel Reich-Ranicki überredete, dessen Leitung zu übernehmen. Und als Reich-Ranicki die Bedingung stellte, dass nichts, keine Einspielfilmchen, kein Bühnenschnickschnack, von den Worten ablenken dürfe, war es Willms, der ganz auf Reich-Ranickis Qualitäten als Performer vertraute.” Ungewöhnlich, zumindest aus heutiger Sicht, war Willms beruflicher Weg ja insofern, als er vom ZDF zur “Süddeutschen Zeitung” wechselte – in Zeiten, als es Zeitungen viel besser ging als heute. Inzwischen ist es ja eher so, dass Leute, die bei den Öffentlich-Rechtlichen in leitenden Positionen sitzen, so stark vom Apparat geformt oder verformt sind, dass sie nur noch selten für journalistische Arbeit außerhalb dieses Systems in Frage kommen.

René Martens, Die Charlie-Brown-Rolle der Medien, in: Altpapier

Ach, wie blöd

Seit zweiundzwanzig Jahren herrscht Putin über Rußland. Achtzehn Jahre davon als „Präsident“, vier als Ministerpräsident. Die Bezeichnung Präsident alleine kennzeichnet ein politisches System noch keineswegs als Demokratie. Der autoritäre Herrscher Putin soll nunmehr aber, wenn man der nationalistisch-populistischen Liberaldemokratischen Partei (LDPR) Rußlands glauben kann, mit der Bezeichnung „Herrscher“ ausgestattet werden. Das berichtet der Merkur. Der Begriff „Präsident“ in Russland sei noch nicht „vollständig verwurzelt“, schreibt die staatliche Nachrichtenagentur Ria Novosti. In den Augen der LDPR grenze man sich mit der russischen Bezeichnung „Pravitel“ (Herrscher) auf diesem Wege auch von den USA ab, die ihr Staatsoberhaupt seit jeher Präsident nennen. In der Begründung heißt es weiter, man wolle von einer aus einer Fremdsprache stammenden Berufsbezeichnung wegkommen – in diesem Fall Französisch beziehungsweise Latein. Vor zwei Jahren noch wurde dieser obskure Vorschlag in der Duma, dem Parlaments-Substitut in Moskau, abgelehnt. Mit der politischen Bildung der Bevölkerung kann es nach mehr als dreißig Jahren autoritärer Herrschaft von Jelzin und Putin, nach mehr als neunzig Jahren Diktatur der Bolschewisten, nach jahrhundertelanger Herrschaft von Klerus und Zaren nicht sehr weit her sein. Daß aber die Eliten des Landes zu einem derartigen Vorschlag samt kruder Begründung greifen, läßt mich dennoch schaudern.