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Zur Demokratie-Debatte

Dieses (unser demokratisches Gemeinwesen, W.H.) leidet seit Längerem an sehr unterschiedlichen Entwicklungen, die sich negativ auf seinen Zusammenhalt auswirken. Die Wahlbeteiligung auf allen staatlichen Ebenen sinkt, die Mitgliederzahlen insbesondere der Volksparteien nehmen ab und das Vertrauen in die politischen Entscheidungsträger des Landes schwindet spürbar. (…) Zudem sind es vor allem bildungsferne und einkommensschwache Gruppen in der Bevölkerung, die sich von der Politik abwenden und unser Gemeinwesen auf den Weg in die „Zwei-Drittel-Demokratie“ schicken. Ohne den Begriff der Krise überstrapazieren zu wollen, kann man an unserem politischen Gemeinwesen Tendenzen konstatieren, die Partizipation, Repräsentation und Inklusion als Kernfunktionen der Demokratie angreifen. Dies darf jedoch nicht als pauschaler Rückzug ins Private missverstanden werden, denn Umfragen und praktische Erfahrung belegen, dass sich die Mehrheit der Bevölkerung ein höheres Maß an politischer Beteiligungs- und Mitsprachemöglichkeit gerade auch außerhalb von Wahlen wünscht. Hierbei geht es um eine breit verstandene bürgerschaftliche Teilhabe, die sich in zahlreichen, höchst unterschiedlichen Partizipationsformen niederschlägt. Trotz Ausweitung der bürgerschaftlichen Einflussmöglichkeiten lässt sich insgesamt ein Vertrauensverlust der Menschen in unser politisches System, den demokratischen Entscheidungsprozess und dessen Allgemeinwohlorientierung attestieren. (…) Das in der Vergangenheit immer wieder geäußerte Postulat, bestimmte Politiken seien „alternativlos“, hat dieses Gefühl mangelnder Einflussmöglichkeiten noch verstärkt. (…) Zur Frage, wie man das Zusammenwirken von Politik, Wirtschaft, Verwaltung und Zivilgesellschaft in der Formulierung und Umsetzung politischer Entscheidungen in transparentere Strukturen als bislang einbetten kann, existieren ganz unterschiedliche Ideen, die einer intensiveren Betrachtung wert wären, darunter etwa verpflichtende Offenlegungspflichten in Verbindung mit anreizgestützten und sanktionierbaren Verhaltensrichtlinien. Gleiches gilt für Maßnahmen zur Stärkung der Wahlbeteiligung sowie zur Frage, wie Volksparteien auf ihre zurückgehende Bindekraft reagieren sollen. Insbesondere diese suchen mittlerweile wieder verstärkt den direkten Dialog mit den Menschen vor Ort in ihrer Nachbarschaft. Dort laden sie zum Mitmachen ein, bieten vermehrt Hilfe zur Selbsthilfe anstatt standardisierter Problemlösungen an und reagieren damit unmittelbar auf die geänderten Erwartungen der Bürgerinnen und Bürger an demokratische Mitbestimmung und die Aufgabenwahrnehmung von Parteien. (…) Vertrauen, Teilhabe und Transparenz sind die Schlüsselwörter einer Debatte um die Weiterentwicklung und Stärkung unseres demokratischen Gemeinwesens, die zu einer besseren Legitimation von Politik beiträgt. (…) Deutschland braucht in seinem Parlament endlich eine breite Debatte über die Ursachen für die abnehmende Partizipation, die sinkende Repräsentation und die steigende Exklusion unserer Institutionen. Ziel muss es sein, im breiten parlamentarischen Konsens Vorschläge für die Weiterentwicklung unseres demokratischen Systems zu entwickeln.

Auszüge aus einem Beitrag von Hans-Jörg Schmedes und Fedor Ruhose unter dem Titel: Mehr Demokratie-Debatte ins Parlament, in: Carta vom siebenundzwanzigsten März Zweitausendundfünfzehn