Schlagwort: Karl Carstens

Der Applaus der Selbstgerechten

Helmut Stauss in Berlin ist Schauspieler, Regisseur, freier Autor und Karikaturist. Und als junger Mann hat er getrommelt. Was das Zeug hielt. In diversen Bands. Dort, wo ich gewohnt habe als Teenager, in Porz, heute Stadtteil von Köln. Im Fernsehen in Derrick, im Tatort oder in Der Alte zu sehen, im Film als Roland Freister, auf der Bühne der Freien Volksbühne in Berlin, des Hebbel-Theaters, sonstwo. Uns eint, neben der wilden Zeit der wilden Musik, daß wir beide jeweils Enkel eines “Volksfeindes” sind. Und Helmut Staus hat auf seiner Facebookseite den heutigen Tag zum Tag der Selbstgerechten erklärt. Mit seiner freundlichen Genehmigung hier sein Text, seine Philippika:

Zum Tag der deutschen Selbstgerechten.
Habe eben dem sprachgewaltigen Wolf Biermann gelauscht. Drachenbrut, elender Rest und Reaktionäre nannte er die Abgeordneten der Fraktion der Linken und sang dann das Lied mit dem poetischen Text „ Du sollst Dich nicht verhärten…“ Beides tat er im Deutschen Bundestag und auf Einladung des Bundespräsidenten. Ja, stimmt, da er hat recht: „Du sollst Dich nicht verhärten!“ Nun bin ich gebürtiger Kölner, also Westdeutscher und in einer von den Westmächten gefördert und sattgefütterten pluralistischer Demokratie aufgewachsen. Aber, ich bin auch Enkel eines „Volksfeindes“ und ich erinnere der Empörung die mein Großvater empfand, als am 17. August 1956 das KPD- Verbot erlassen wurde und deren Mitglieder in tausenden Gerichtsverhandlungen abgeurteilt wurden. Empört war er nicht weniger, viele alte Nazi-Kader in der bundesrepublikanischen Administration in höchsten Positionen wiederzufinden. Ich selbst hatte ja, noch in den 80iger Jahren das zweifelhafte Vergnügen, auf Einladung in seinen Dienstsitz im Berliner Reichstag, einem Bundespräsidenten mit Nazivergangenheit die Hand schütteln zu dürfen! Carl Carstens war seit 1934 Mitglied im Sturm 5/75 der SA. Von 1940 bis 1945, Mitglied der NSDAP. Hätte ich Beate Klarsfeld folgen sollen, oder ihn, mit viel mehr Recht, als Drachenbrut und elender Rest beschimpfen sollen? Hätte ich, wie Biermann heute, den Applaus der Selbstgerechten erwarten dürfen? Ich fürchte ich wäre, als Volksfeind, in Haft genommen worden und die Geheimdienste hätten einen “Vorgang” angelegt!.

Der Demokratielehrer

Ein “Demokratielehrer” soll er sein, so Frank-Walter Steinmeier und Angela Merkel unisono über Joachim Gauck, den werdenden Bundespräsidenten. Nun, das werden wir erst noch sehen. Und ob die zehn Jahre in seiner Berliner Behörde eine Lehrzeit waren in Sachen Demokratie, bleibt fraglich. Jedenfalls hat die “Behörde” nicht unbedingt zum inneren Frieden des Landes beigetragen. Auffällig jedenfalls finde ich, daß die Medien, Zeitungen und Zeitschriften des Landes, anders, als etwa in Blogs oder anderen Veröffentlichungen zu lesen ist, unglaublich handzahm mit Gauck umgehen, milde, gütig, sanft, nachdem der gewesene Präsident ja regelrecht zerfleddert worden ist, mit Häme übergossen, verstoßen, von den gleichen Medien. Als lägen Welten zwischen zwei Präsidenten mit ähnlich konservativen Grundpositionen. Wer Lübke ausgehalten hat oder Carstens, wird auch Gauck ertragen können. Also wählt ihn. Aber macht Schluß mit dem Hype, mit der Gauckmania. Auch Gauck hat eine kritische Begleitung verdient.