Schlagwort: Joseph Vogl

Ein Umverteilungsprogramm

Die neue griechische Regierung hat drei Dinge bewirkt. Sie hat erstens festgestellt, dass fünf Jahre Austeritätspolitik gescheitert sind: Einbruch der Wirtschaftsleistung, Vervielfachung von Arbeitslosigkeit, weitere Explosion der Staatsschulden. Zweitens konnte die Regierung plausibel nachweisen, dass sie mit dem Klientelwesen und der absurden Steuerpolitik im Land nichts zu tun hatte. Sie war die Garantie für einen Neuanfang. Und drittens hat diese Regierung auf die Realität eines sehr schmerzhaften politischen Konfliktes aufmerksam gemacht, nämlich: Wie verhält man sich in einer Situation, in der auf der einen Seite Kapitalflucht aufgrund der Gläubigerinteressen droht und es auf der anderen Seite einen klaren Wählerauftrag gibt, die Politik der Kürzungen nicht noch weiter zu treiben? Wie also verhält man sich angesichts der kontroversen Interessen von Finanzpublikum und Wahlpublikum? (…) Die Geldgeber haben schon seit fünf Jahren Reformen gefordert und mit den meisten Forderungen keinen Erfolg gehabt. Das private Lohnniveau ist gesunken, Mindestlöhne wurden abgesenkt, Renten mehrmals gekürzt, Staatsvermögen verscherbelt. Als dann die linke Regierung nach dem Sinn dieser Maßnahmen fragte und Alternativen anbot – vom Schuldenschnitt über eine europäische Schuldenkonferenz bis zu Investitions- und Wachstumsprogrammen -, platzte den Eurodogmatikern insbesondere in Deutschland der Kragen. (…) In Griechenland herrschen 25 bis 28 Prozent Arbeitslosigkeit – Werte, die in Deutschland einst zum Ende der Weimarer Republik führten. Was man jetzt in Griechenland verordnete, ist gemanagter Niedergang, “managed decline”. Der Begriff stammt aus der Zeit, als die Liberalisierung der Finanzmärkte eingeleitet wurde. Berater Margaret Thatchers haben ihn geprägt, um zu beschreiben, wie man ganze Industrieregionen samt der Bevölkerung zugrunde gehen lassen kann, ohne dass es den Rest des Landes ernsthaft tangiert. Ein Umverteilungsprogramm.

Der Kulturwissenschaftler Joseph Vogl in einem Interview der Süddeutschen Zeitung vom zweiten Juli Zweitausendundfünfzehn