Schlagwort: Andreas Kreimeyer

Innovationskultur à la BASF

“Raus aus den alten Denkschablonen” hat Michael Schöfer seinen gestrigen Blogeintrag überschrieben, in dem er sich mit der BASF, ihrem Vorstandsmitglied Andreas Kreimeyer und dessen hehrer Forderung nach einer “Innovationskultur” auseinandersetzt:

“Auch wenn Deutschland sparen müsse, bei Investitionen für die Zukunft dürfe man keine Abstriche machen, mahnt Kreimeyer. ‘Denn erstklassige Forschung führt zu mehr Wirtschaftsleistung und damit auch zu mehr Einnahmen für den Staat. Deutschland braucht außerdem eine zeitgemäße Innovationskultur.’ (…) Entscheidend sei, dass die Gesellschaft neuen Technologien offen und neugierig gegenüber stehe. Politik und Gesellschaft müssten erkennen, dass Forschung für den Industriestandort Deutschland lebensnotwendig sei. ‘Hier muss dringend ein Umdenken einsetzen.’ (…) Umso wichtiger sei es, Kinder und Jugendliche frühzeitig für Technik und Naturwissenschaften zu begeistern.” [Quelle: VCI, Presseinformation vom 26. August 2010, (…)] So weit, so gut. Es ist wohl unstreitig, dass Deutschland, ein Staat ohne nennenswerte eigene Rohstoffbasis, vor allem von den Ideen in den Köpfen seiner Bürger lebt. Das hat uns in der Weltwirtschaft eine Spitzenstellung eingebracht. Und genauso unstreitig ist die Erkenntnis, dass wir uns ein Nachlassen im Bereich Forschung und Entwicklung gar nicht leisten können, selbst wenn es hierzulande bei der Umsetzung der Ideen in reale Produkte zuweilen hakt. Doch auch das kann verbessert werden. (…) Was fordert Andreas Kreimeyer? Sie werden es kaum glauben: Steuererleichterungen! Ich bin maßlos enttäuscht. Die BASF ist ein traditionell exportorientiertes Unternehmen und wurde von der Wirtschaftskrise schwer getroffen. Gleichwohl hat der Ludwigshafener Chemiegigant 2009 ein Ergebnis vor Steuern in Höhe von 3,079 Mrd. Euro erwirtschaftet. Nach Abzug von Steuern auf Einkommen und Ertrag blieb immerhin ein Jahresüberschuss von 1,655 Mrd. hängen. Der Jahresüberschuss der letzten zehn Jahre betrug satte 27,7 Mrd. Euro. [Quelle: BASF, Zehnjahresübersicht] Braucht die BASF, deren Ergebnis vor Steuern im ersten Halbjahr 2010 auf 3,746 Mrd. Euro wuchs (ein Plus von 160,3 Prozent) und damit in den ersten beiden Quartalen des laufenden Geschäftsjahres schon mehr erwirtschaftete als im gesamten Jahr zuvor, wirklich Steuererleichterungen? [Quelle: BASF, Gewinn- und Verlustrechnung, Zwischenbericht 1. Halbjahr 2010]

BASF Konzernzahlen (in Mrd. Euro)
Jahr Ergebnis vor Ertragsteuern Jahresüberschuss
2000 2,827 1,282
2001 6,730 5,826
2002 2,641 1,599
2003 2,168 0,976
2004 4,347 2,133
2005 5,926 3,168
2006 6,527 3,466
2007 6,935 4,325
2008 5,976 3,305
2009 3,079 1,655
Summe 2000-2009 47,156 27,735

Gewiss, Steuererleichterungen sind für jeden schön, nicht bloß für Unternehmen. Aber ist es nicht ein Widerspruch in sich, einerseits mehr gesellschaftliche Investitionen in Bildung zu fordern, andererseits jedoch im gleichen Atemzug Steuererleichterungen für gut verdienende Unternehmen einzufordern? Wie will man denn Kinder und Jugendliche frühzeitig für Technik und Naturwissenschaften begeistern? Mit maroden Schulen, die der Staat angesichts leerer Haushaltskassen verkommen lassen muss, gelingt das kaum. Eine “zeitgemäße Innovationskultur” beschränkt sich doch nicht nur auf die Unternehmen selbst, sie ist vielmehr eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung. Bei Investitionen für die Zukunft dürfe man keine Abstriche machen, sagt Kreimeyer. Dennoch führen die von ihm geforderten Steuererleichterungen zwangsläufig genau dazu – zu Abstrichen bei der Ausbildung in Schulen und Universitäten. Und woher will Kreimeyer dann hochqualifizierte Mitarbeiter nehmen?
Andreas Kreimeyer verlangt ein Umdenken. Ich fürchte allerdings, er selbst bleibt alten Denkschablonen verhaftet, denn die Eindimensionalität von Steuererleichterungen à la FDP müsste eigentlich inzwischen von jedem erkannt werden. (…) Freilich ist das Problem mit weniger Geld für Bildungseinrichtungen und zwangsläufig mehr Kinderarmut (der Staat spart bekanntlich stets bei den Schwächsten) kaum zu lösen. Doch das ist die unausweichliche Folge von Kreimeyers Forderung. Weniger Steuerbelastung für Unternehmen bedeutet automatisch weniger Geld für die Staatskasse. Vernetztes Denken scheint in den Vorstandsetagen nach wie vor Mangelware zu sein. Eine allein auf das Unternehmenswohl fokussierte Diskussion greift daher viel zu kurz. Raus aus den alten Denkschablonen bedeutet, sich auch über Chancengleichheit Gedanken zu machen. Allem anderweitigen Gerede zum Trotz, ist “Deutschland eine geschlossene Gesellschaft. Beruflicher Erfolg wird über Generationen vererbt. Gerade auf den Chefetagen gilt das U-Bahn-Prinzip: Wer drin ist, hält die Tür zu”, schrieb der Spiegel schon vor Jahren. “Die Gesellschaft selektiert gnadenlos, und das beginnt schon in der Grundschule. ‘Selbst bei guten Noten gehen nur 38 Prozent der Unterschichtkinder auf ein Gymnasium’, sagt der Sozialwissenschaftler Rainer Geißler. (…) Die Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks von 2004 vergleicht, was aus hundert Kindern weniger gebildeter Eltern wird: 64 gehen gar nicht erst auf weiterführende Schulen und fallen damit für eine Karriere in Berufen mit hohem Einkommen und Sozialprestige weitgehend aus. Von den verbleibenden 36 machen 25 trotz Abi einen Bogen um die Unis – da waren’s nur noch elf. (…) Der Soziologe Michael Hartmann von der Universität Darmstadt hat die Karrieren von 6500 potenziellen Aufsteigern mit Doktortitel ausgewertet. Die soziale Herkunft entscheidet, ‘zum Manager wird man geboren’, weiß der Wissenschaftler: Kandidaten mit großbürgerlichem Hintergrund haben fünfmal bessere Aussichten auf eine Eliteposition in der Wirtschaft – Tendenz steigend.” [Quelle: SpOn vom 30.06.2004] Daran hat sich seitdem nicht viel geändert, noch immer entscheidet weniger die Begabung, sondern hauptsächlich die soziale Herkunft über den gesellschaftlichen Aufstieg. Wenn Kreimeyer gesagt hätte, die BASF sei bereit, mehr Steuern zu zahlen, erwarte dafür jedoch vom Staat zielgerichtete Investitionen in Bildung (insbesondere für sozial benachteiligte, aber trotzdem nicht weniger begabte Schichten), wäre das endlich mal etwas Neues gewesen. Doch so radikal umdenken wollte Kreimeyer offenbar nicht. (…) Es bleibt der Eindruck zurück, dass die plakativ vorgetragene Forderung nach einer “zeitgemäßen Innovationskultur” lediglich als Mittel dient, um die Unternehmensgewinne abermals zu steigern.