„Den demokratischen Raum geschrumpft“

Dieter Schnaas, Textchef der WirtschaftsWoche, hat sich unter dem Titel: Die CDU – eine Partei ohne Leitkultur seine Gedanken über die Regierungsfähigkeit der Union gemacht. Die Union wolle wieder regieren, sei aber noch nicht regierungsbereit. Der Redakteur der WiWo, einer seit 1926 erscheinenden deutschen Wirtschaftszeitschrift mit wirtschaftsliberaler Ausrichtung, die für freie Marktwirtschaft, einen geringen Staatseinfluss und eine offene Gesellschaft eintritt, wendet sich zunächst einmal Markus Söder zu: „Halten wir uns nur kurz mit Markus Söder auf. Der bayerische Ministerpräsident hat am politischen Aschermittwoch mal wieder sein formidables Gespür für Geschmacklosigkeiten bewiesen“, als er die Umweltministerin und ehemalige DDR-Bürgerrechtlerin Steffi Lemke als „grüne Margot Honecker“ denunzierte.

Womöglich sei Söder nach sechs Jahren als Regierungschef und zwei Jahrzehnten als Spitzenfunktionär der CSU „einfach nur noch gelangweilt von seinem Job, angeödet von sich selbst und seinen Bierzelt-Tiraden, von seinem gespielten Ingrimm und seinen breitbeinigen Stammtisch-Auftritten, ermüdet von seiner Opportunismuskunst und seiner volkstribunalen Virtuosität, von der permanenten Behauptung postpubertärer Männlichkeit und seiner Lieblingsrolle als politischer Schwellenwart vom Dienst: immer unterwegs auf der Grenze zwischen Provokation und Populismus, Deftigkeit und Demagogie, Vereinfachung und Verhöhnung – zwischen Rechtsbürgerlich und Rechtsaußen“.

Und so mancher schlechte Witz zahle schon mal auf das Konto der AfD ein. „Jo mei. Überdies ist bekannt, dass sein öffentlicher Humor gern dumpf, deutsch und doof ist, will sagen: Markus Söder ist aschermittwochs ganz bei sich, voll in der Spur – rein Markus Söder.“

Der Textchef eines der führenden Wirtschaftszeitschriften in Deutschland läßt sich wirklich nicht lumpen.

Die CDU habe den Aufstieg der AfD lange Zeit indirekt „durch Ignoranz und vergleichende Verharmlosung begünstigt, einmal sogar direkt durch den Versuch ihrer Machtbeteiligung in Thüringen“. Die „Diabolisierung der Grünen“ habe ihr Übriges getan: „Mobs, die meinen, Wirtschaftsminister Robert Habeck oder Landwirtschaftsminister Cem Özdemir an den Kragen gehen zu dürfen, sind eben nicht nur ein Resultat schlechter Regierungspolitik, sondern auch das Ergebnis rhetorischer Eskalationen (vormals) konservativer, „bürgerlicher Kräfte“, die sich von der AfD vor den Karren eines Kulturkampfs haben ziehen lassen.“

Dieser Kulturkampf habe, begünstigt von der Prämierung des Hasses und der Hetze, des Schimpfes und der Schande in den (a)sozialen Medien, den demokratischen Raum geschrumpft – auf Kosten eines liberalen Konservatismus. „Die Demonstrationen für die Demokratie sind in ihrer Breite (und nur in ihrer Breite) die Chance und das Versprechen, den ‚inneren Kulturkampf‘ in unseren Demokratien zu beenden – um gemeinsam denen die Stirn zu bieten, die der Demokratie selbst feind sind.“

Hätten Union und Söder dies verstanden, könnte dies der erste Schritt zurück zur Macht im Bund sein. Noch aber sei es nicht soweit. Die Union wolle wieder regieren, aber sei noch nicht regierungsbereit. Sie fordere „Aufbruch, Erneuerung, Modernität“ – und bietet den Deutschen ein Remake der „großen Koalition“ an. „Sie ist vereint im Dagegen – und uneins im Wofür. Sie lehnt die Ampel ab – vermag aber noch kein kohärentes Deutschlandbild zu zeichnen.“

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