“Wonneort aller Jugend” – Schule in der Pandemie

In den Schulen sind zwar immer noch nicht flächendeckend Luftfilter eingebaut worden – die S3-Leitlinie ( “Maßnahmen zur Prävention und Kontrolle der SARS-CoV-2-Übertragung in Schulen” ), die eigentlich für Infektionsschutz in den Schulen ausgearbeitet wurde, wird auch kaum umgesetzt. Aber der Präsenzunterricht wird als so wichtig eingestuft, teilweise völlig abstrus zum Wonneort aller Jugend verklärt, dass jeder Mangel an Sicherheit oder Unterrichtsqualität mit Hinweis auf die Vorteile der Präsenz wegargumentiert wird. Das Problem an der Sache? Da, wo nur Präsenzunterricht verlangt wird, da ist die Not auch nicht mehr groß, digitale Formate für den Unterricht weiter voranzubringen. Da ist digital unterstützter (Distanz)unterricht schlicht nicht mehr notwendig. (…) Blickt man zu den Schulen, dann haben sich tatsächlich mehr digitale Tools für die Schulorganisation etabliert. Die Kommunikation zwischen Elternhaus und Sekretariat verlagert sich nun eher mehr auf Mails als Papierhandreichungen. Die Lernplattformen werden regelmäßiger genutzt, um zumindest kurzzeitig erkrankten Kindern Aufgaben zukommen zu lassen. Schön. (…) Aber der Einsatz von Technik im Unterricht, die Einbeziehung digitaler Mittel in den Unterricht ist – wie vor der Pandemie – wieder nur dort zu finden, wo Lehrkräfte ohnehin eine Affinität zu digitalen Lösungen zeigten. Und alles, was für den digitalen Distanzunterricht auch von einer breiteren Kollegenschaft erlernt werden musste, liegt jetzt wieder größtenteils brach. Was nicht geübt wird, das kann auch nicht gelernt werden, heißt es häufig genug im Schulunterricht. Deshalb lautet meine These: Was von Kultusminister:innen nur als Werkzeug für den absoluten Katastrophenfall eingestuft wird, wird auch erst dann aus dem Schrank geholt, wenn nichts anderes mehr geht. Nun mag man einwenden, dass der digital unterstützte Distanzunterricht aus den ersten Corona-Monaten für den Schulalltag ohne Pandemie ja generell nicht erstrebenswert sei, weil er kaum ausgereift war; eben aus der Not geboren. Aber das ist ein sehr dünnes Argument, da man ausklammert, welche Fähigkeiten und Erfahrungen auch in der Not erworben werden und wie diese weiterentwickelt werden können. Schule wurde im ersten Corona-Lockdown zum Versuchslabor, es lief nicht immer alles gut oder glatt, aber Schule entwickelte sich weiter. Aber so, wie Kultusminister:innen in den vergangenen Monaten für den Präsenzunterricht und eine Rückkehr zur Vor-Corona-Normalität argumentiert haben, ist der Druck zum Weiterentwickeln aus dem System entwichen. Man setzt das Zeichen: Alles ist gut, denn alles klappt wieder wie vorher. Wir haben definiert, was das Beste ist, und das ist: Präsenzunterricht, wie (stets) gehabt. Das impliziert keinen Druck zur Veränderung. Da ist keine Not mehr zur Veränderung spürbar. Und wenn es nun weitergeht mit der Digitalisierung der Schulen, dann läuft das wohl auch eher “wie gehabt” und nicht wie eigentlich gewünscht. Es entsteht der Eindruck: Wir machen das jetzt wieder mit deutscher Wohlfühlgeschwindigkeit. (…) Die Digitalisierung der Schulen ist kein “Nice to have” oder ein grobes Werkzeug für den Notfall, sondern ein “Must have” – damit Schüler und Schülerinnen Kompetenzen erlangen, die sie für ihr Leben in einer digitalisierten Welt benötigen und auch Teilhabe für die Menschen möglich ist, für die Präsenzunterricht eine zu große Hürde oder gesundheitliche Gefahr darstellt.

Kristina Beer, Kommentar: Digitalisierung der Schulen – war da was?, in: Heise

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