“Was fehlt, sind Fachwissen, Souveränität, handwerkliche Fähigkeiten im Interview”

Die Talkshow-Kultur bei ARD und ZDF, über die ja nun auch alles gesagt ist, hat die anderen journalistischen Formen ohnehin komplett an den Rand gedrückt. Und dass diese Talkshow-Struktur den Aufstieg der AfD in der Bundesrepublik mit begünstigt hat, steht für mich als Medienforscher außer Frage. Natürlich gibt es kardinale Ereignisse wie die „Wiedervereinigung“ oder die Wahl Berlins zur Hauptstadt, die hier für politische Entwicklungen ursächlicher waren; aber man muss ja mit den Rundfunkbeiträgen der Bürger nicht noch als Verstärker wirken. Es bringt aber auch nichts, wenn ein paar „linke“ ARD-Journalisten dagegen erregt antwittern. Da hätten sie sich schon mal früher in ihren Anstalten bemerkbar machen müssen. 

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Ohne da einen direkten Vergleich ziehen zu wollen – bei der Berichterstattung über die AfD spürt man bei einigen Journalisten durchaus die Befürchtung: Wenn die noch stärker werden und was zu sagen haben, was wird dann aus mir? Das haben sich damals auch viele gefragt von den sogenannten bürgerlichen Journalisten. Es ist ja nicht so, dass zum Beispiel im öffentlich-rechtlichen Fernsehen harte rechtskonservative Parteigänger ungewöhnlich waren: Willibald Hilf, Intendant des früheren Südwestfunks, Wolf Feller, Fernsehdirektor beim Bayerischen Rundfunk und ein beinharter CSU-Mann, Deutschlandfunk-Intendant Edmund Gruber, natürlich Gerhard Löwenthal beim ZDF – sie alle standen in den 1970er und 1980er Jahren für solche Positionen. Das hat natürlich die Fronten verhärtet, aber das konnte man gut aushalten. Doch das war sehr viel kenntlicher, man wusste, dass die so waren. Bei den TV-Journalisten, bei denen man das heute vermuten kann, ist das alles hinter einer Fassade der Pseudo-Harmlosigkeit oder Unbedarftheit verborgen.

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Was fehlt, sind Fachwissen, Souveränität, handwerkliche Fähigkeiten im Interview – wobei die Schwächen bei der ARD noch etwas stärker ausgeprägt sind als beim ZDF. Man würde sich da lieber irgendwelche Live-Kanäle ohne Kommentar anschauen, wo die Politiker direkt etwas in die Kamera sagen, als diesen Statisten, die Pseudo-Fragen stellen, noch irgendwelche Aufmerksamkeit zu schenken. Man hat das Gefühl, die Berichterstattung besteht zum einen aus Zahlensalat und zum anderen aus hilflosen Interviewern. An solchen Wahlabenden wird deutlich: Dem öffentlich-rechtlichen Politikjournalismus würde nur ein härtestes Weiterbildungsprogramm weiterhelfen. Doch ich fürchte, im real existierenden System ist es dafür wohl zu spät.

Lutz Hachmeister, „Dieser Diskurs hat keinen Anspruch auf mich“. Ein Gespräch mit dem Medienforscher und Filmemacher Lutz Hachmeister, in: Medienkorrespondenz. Von René Martens, Erster Dezember Zweitausendundneunzehn

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