Monat: April 2016

Von Ziegenfickern, Gummigeschossen und Tränengas

Geschmack und Satire sind zwei getrennte Bereiche. Über Geschmacksfragen lässt sich nicht streiten. Über Satire schon. Da sind die Grenzen in Gesetzen festgelegt. Satire ist kein Freibrief für Beleidigungen aller Art. So strotzt das Netz nur so von bösartigen Beleidigungen. (…) Nicht jeder Tabubruch ist gleich Satire. Maßstäbe muss man sich bewahren. So möchte ich auch nicht in einer tabulosen Gesellschaft leben. (…) Die Grenzen sind die bestehenden Gesetze. An oberster Stelle steht die Verteidigung der Menschenwürde. Es gibt für mich keine Satire ohne Verantwortung. Satire ist die Verteidigung der unverschuldet Schwachen gegen den Übermut der Starken. Wer sind in diesem Fall die Schwachen? Bei der extra 3-Satire war das anders, die hat von den Menschenrechtsverletzungen und der Verletzung der Pressefreiheit gesprochen. Für mich muss Satire immer einen Erkenntniswert haben. Etwas offenlegen, etwas deutlich machen. (…) Ich verstehe nicht, was Erdoğan mit seinem Handeln bezwecken will. Ebenso wenig verstehe ich das Handeln der Kanzlerin. Sie kann sagen: Wir mischen uns da nicht ein und fertig. Da legt die Satire tatsächlich etwas offen. Dass wir uns im vorauseilenden Gehorsam für alles gleich entschuldigen. (…) Der Fall ist so kompliziert, weil es in Paragraf 103 StGB ein Sonderschutzrecht für ausländische Staatsoberhäupter gibt. Ich hoffe, dass es nicht zu einer Anklage kommt. Dass die, die sich beleidigt fühlen, davon Abstand nehmen. Ich würde Frau Merkel dringend raten, Erdoğans Antrag abzulehnen und keine Ermächtigung zu erteilen, damit es gar nicht zu einem Verfahren kommt. Bloß keine juristischen Fakten schaffen. Das wünsche ich auch Jan Böhmermann. Erdoğan, der in der Türkei die Meinungsfreiheit mit Füßen tritt, hat schon gar kein Recht, sich in unser freiheitliches Rechtssystem einzuklagen. (…)Ich bin ein alter Protestant, mir ist das alles einen Hauch zu kasperig. Aber wir leben nun einmal in einer freien Medienrepublik, in der sich die Erregungsspirale immer weiter dreht. Und offenbar gedreht werden muss, wenn man wahrgenommen werden will. (…) So funktioniert unser Mediensystem. Aber ich halte nichts von Attacken unter der Gürtellinie. Das ist der Fall, wenn von “Ziegenfickern” die Rede ist. (…) Ja, die Grenzen verschieben sich. Da hilft es auch nicht, ständig unseren Freund Tucholsky zu zitieren: “Satire darf alles.” Ich wehre mich dagegen, dass der Begriff Satire inflationär gebraucht wird. Müssen wir über Begriffe wie “Ziegenficker” reden, um über Meinungsfreiheit zu sprechen? Da stimmt doch etwas nicht. Wir ereifern uns über ein Gedicht und gleichzeitig passieren ungeheuerliche Dinge in Europa. In Idomeni werden gerade Flüchtlinge mit Gummigeschossen und Tränengas zurückgetrieben. Das ist doch verrückt.

Klaus Staeck, Alles einen Hauch zu kasperig, in: Interview mit Carolin Ströbele, Zeit Online vom zwölften April Zweitausendsechzehn

Was darf Satire?

Was Satire darf, entscheiden in einem freien Land im Zweifel die Gerichte, niemals die Politik. In diesen Tagen wird mit Unterstützung der deutschen Politik ausgetestet, wie schnell und wie weit sich Medien und Kunstschaffende einschüchtern lassen. Als die Titanic den Papst mit einer bepinkelten Soutane zeigte, waren Bischöfe und Vatikan auf den Rechtsweg angewiesen. Die (aussichtsreiche) Klage wurde von der Kirche zurückgezogen, weil der öffentliche Schaden zu überwiegen drohte. Bei Böhmermann dagegen sprang die Kanzlerin für den angegriffenen Staatschef in die Bresche. Sie hat damit den Bogen überspannt, mit unabsehbaren Folgen.

Georg AltroggeSolidarität mit Jan Böhmermann: Warum Mathias Döpfner unseren Respekt verdient, in: Meedia

Vorsichtshalber

P.S. Ich möchte mich, Herr Böhmermann, vorsichtshalber allen Ihren Formulierungen und Schmähungen inhaltlich voll und ganz anschließen und sie mir in jeder juristischen Form zu eigen machen. Vielleicht lernen wir uns auf diese Weise vor Gericht kennen. Mit Präsident Erdogan als Fachgutachter für die Grenzen satirischer Geschmacklosigkeit.

Mathias Döpfner, Vorstandsvorsitzender der Axel Springer SE, in einem offenen Brief an Jan Böhmermann in der Welt

Bonusgier

Da ist der Vorstand verantwortlich für die größte Absatz- und Imagekrise eines Unternehmens. Es ist noch nicht ausgemacht, ob nicht ein Schaden in Milliardenhöhe für den Konzern entstehen wird. Und was machen die Vorstände? Sie bestehen auf Bonuszahlungen. Ein Bonus ist die Zulage zu einem Gehalt und gilt als mögliche Beteiligung am wirtschaftlichen Erfolg des zahlenden Unternehmens. Boni sind mithin Bestandteil einer leistungsorientierten Vergütung. Sozusagen eine Gutschrift. Für gute Leistung. Theoretisch. In Wahrheit sind sie dies aber schon lange nicht mehr. Spätestens seit der Bankenkrise. Sie sind bestenfalls Ausweis unappetitlicher Gier. Bonusgier.

Ausgebremst

Ausgebremst. Und wie. Der stellvertretende Vorsitzende der SPD, Ralf Stegner, nahm die gestern veröffentlichten Panama-Papiere flugs zum Anlaß für eine flotte populistische Wortmeldung: „Wenn eine Bank solche Geschäfte duldet oder gar fördert, muss ihr die Lizenz entzogen werden können.“ So hatte sich Stegner dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ gegenüber eingelassen. Der Staat müsse sich um den Finanzsektor, „der in Teilen mafiöse Strukturen hat“, intensiver kümmern, wobei das Bankgeheimnis im Zweifel “zweitrangig“ sei. Stegner forderte ein generelles Verbot von Briefkastenfirmen. „Für dubiose Heimlichkeiten gibt es keinerlei Rechtfertigung, völlig schnurz, ob jemand Geld vor der Ehefrau versteckt, Waffendeals finanziert oder Steuern hinterzieht.“ Wolfgang Kubicki, FDP-Vize im Bund und Liberalen-Chef in Schleswig-Holstein, konterte trocken auf Facebook: “Wenn Herr Dr. Stegner nun fordert, dass denjenigen Banken, die an Briefkastenfirmen und Offshore-Geschäften beteiligt sind, die Lizenz entzogen werden müsse, ist das gleichzeitig eine Rücktrittsankündigung. Denn unter seiner Verantwortung als Finanzminister des Landes Schleswig-Holstein und Aufsichtsratsmitglied der HSH Nordbank hat die HSH Nordbank tausende solcher Geschäfte getätigt. Gleichzeitig müsste der Finanzministerin des Landes Schleswig-Holstein Monika Heinold die Lizenz entzogen werden, weiterhin auf Kosten der Steuerzahler die nach Meinung des Kollegen Stegner unseriösen Geschäftspraktiken zu unterstützen.” Si tacuisses …