Monat: Oktober 2015

Emojis

Emojis (…) sind die Barbies des Schriftverkehrs: zu grell, zu aufgesetzt, zu Plastik. Hat man die 30 überschritten, gilt es, Emojis sparsam oder nur im Notfall zu verwenden. Notfall, das heißt: Wenn man zu betrunken zum Tippen ist, seine Kontaktlinsen verloren hat oder durch einen absurden Zufall an die Handynummer von Justin Bieber gekommen ist. Wer durchs Netz smiled, setzt sich schnell dem Verdacht aus, ein Sticker-Album zu besitzen oder die Haarspange farblich auf die Ballerinas abzustimmen. Zugegeben: Es ist nicht leicht, die Fratzen der Emotion nicht zu verwenden – auf neuen Smartphones frohlocken neben der üblichen Palette der übersteigerten Stimmung auch animierte Requisiten eines potenziell weltumspannenden Theaterstücks: Wassermelonen, Stöckelschuhe, Commedia dell’arte-Masken, Pillen, Geodreiecke.

Friederike Zoe Grasshoff, Wann Über-30-Jährige noch Emojis benutzen dürfen, in der Süddeutschen Zeitung vom fünfundzwanzigsten Oktober Zweitausendfünfzehn

Kultur des Miteinanders

Wenn wir die Mitte der Gesellschaft stabilisieren wollen für eine Kultur des Miteinanders, werden wir das Sprechen wieder üben müssen. Langsam und behutsam. Das Sprechen miteinander, das einen Sinn ergibt, das mit Gründen und nicht bloßen Gefühlen unterlegt ist, und das den Plural, in dem wir existieren, nicht leugnet, sondern anerkennt. Es kommt nicht darauf an, was “man wohl noch mal sagen darf”, sondern was im Sprechen einen Sinn ergibt. Nicht nur für einen selbst, sondern auch für die anderen.

Carolin Emcke, Schäbige Gefühle, in: Süddeutsche Zeitung vom vierundzwanzigsten Oktober Zweitausendundfünfzehn

Danke

Der letzte Tag. Heute. Für Eric Weik auf dem Bürgermeistersessel. Wenn man denn den eher schlichten Bürostuhl im Wermelskirchener Rathaus so bezeichnen möchte. Nach elf Jahren. Ab morgen ist Eric Weik frei, von Wermelskirchen jedenfalls, von der Amtskette. Amtskette. Wieviel Wahrheit ein solches Kompositum doch enthalten kann. Eine Amtskette gibt es wirklich. Ein eher schlichtes bis häßliches Utensil. In Zeiten von Bürgermeistern, die sich mit Hermelinpelzen bedeckten, vielleicht tragbar. In Anzugzeiten kein angemessenes Kleidungsstück mehr. Aus der Zeit gefallen. Anders als Eric Weik. Elf Jahre ist er nun, war er Bürgermeister in Wermelskirchen. Der erste Schwabe als erster Bürger der Stadt. Fast eine eigene Ära. Nur Heinz Voetmann hat in Wermelskirchen länger “regiert” als Eric Weik. Fünfundzwanzig Jahre nämlich. Dafür aber mit einer stabilen konservativen Mehrheit. Die, eine stabile Mehrheit, hatte Eric Weik nicht. Er hat mal mit, mal gegen Mehrheiten im Stadtrat amtieren müssen. Die Bürger der Stadt haben Eric Weik die elf Jahre beschert, nicht die Parteien. Zweimal haben sie ihn gewählt. Mit überzeugenden Mehrheiten. Bürger sind, als Wähler, nicht selten klüger als die Stadtverordneten. Gut, Tempi passati. Keine Bilanz, kein Aufrechnen, keine Erbsenzählerei. Ganz gewiß hat Eric Weik nicht weniger Fehler in seinem Amt gemacht, als sie einem konservativen oder einem sozialdemokratischen Bürgermeister ebenfalls unterlaufen wären. Und ob er in jedem Einzelfall in der Verwaltung glücklich operiert hat, sei dahingestellt. Ich kann das nicht beurteilen. Die Kommunikation mit dem Bürger indes, das Auftreten Weiks in der Öffentlichkeit, seine rhetorischen Qualitäten, seine Unterhaltungsfähigkeit, die Menschen einzunehmen, zu überzeugen, zu gewinnen, auf diesen Feldern hat er sehr große Spuren hinterlassen. Zum letzten Mal vor wenigen Tagen, als er einer sehr gut besuchten Bürgerversammlung aus dem Stand und ohne Manuskript druckreif und überzeugend die Notwendigkeit erklärte, aus Gründen des menschlichen Anstands heraus Flüchtlinge als geschundene und gequälte Menschen zu begreifen, sie anzunehmen, ihnen zu helfen und beizustehen in ihrer Not. Ich danke Eric Weik für seine Tätigkeit in Wermelskirchen. Ganz persönlich. Ich habe bedauert, daß er nicht ein weiteres Mal antritt. Sei’s drum. Ich kann heute gut verstehen, daß er eine neue Herausforderung gesucht und gefunden hat. Ein letztes noch. Circa eintausendsechshundert Beiträge aller Art, kurze, längere, Bilder, Videohinweise, Texte und Miniaturen hat es in den letzten sechs Jahren an dieser Stelle hier zu lesen und anzuschauen gegeben. Daran trägt Eric Weik eine Teil-Schuld. Weil CDU und SPD einen gemeinsamen Kandidaten gegen Eric Weik aufgestellt hatten, habe ich mich zum erstmal öffentlich zu Wort gemeldet. Mir reicht’s, habe ich damals, am zwölften August Zweitausendneun, geschrieben. Und seither eben immer mal wieder was. Auch dafür: Danke, Eric Weik.

Kommunikationsgestörte Demokratie

Was sich (…) bisher abspielt, ist nach dem Beklagen von Ohnmacht („Aufs Volk hört keiner!“) Ausdruck einer kommunikationsgestörten Demokratie. Die Straße übt sich in einer Art Akklamationsdemokratie, die keine geläufigen demokratischen Regeln hat und findet, sich aber umso lauter Gehör verschaffen will. Demokratie ist und bleibt jedoch der mühselige, aber unumgängliche Versuch, Mehrheiten für seine Überzeugungen und Interesse in freier, geheimer und gleicher Auswahl zu finden, Kompromisse zu schließen, aus denen inhaltlich abgestimmte Koalitionen erwachsen. Eine Akklamationsdemokratie, von unten und ungeregelt, führt letztlich ins Autoritäre oder gar Diktatorische, bis hin zum Führerprinzip, wo Menschen en masse leicht hysterisiert werden können, sowie rhetorisch geschickt Ressentiments – gleich welcher Couleur – geschürt werden.

Friedrich Schorlemmer, Ihr seid nicht das Volk, in: Der Freitag, vom neunundzwanzigsten Januar Zweitausendundfünfzehn

Kraftfeld

Natürlich hat niemand dem Attentäter von Frau Reker die Waffe geführt. Es war und bleibt die Tat eines einzelnen Menschen, womöglich gar eines verwirrten Einzelnen. Wer aber eine gemeinsame Bürgermeisterkandidatin von CDU, FDP und Grünen attackiert, sie umbringen will und schwer verletzt, und sich dabei auf die aktuelle Flüchtlingspolitik bezieht, wie verwirrt auch immer, der befindet sich, darin sind sich gottlob die Kommentatoren einig, die Mehrzahl der Anständigen, die Mehrheit auch von verantwortlichen Menschen, in einem besonderen Kraftfeld. Ein Umfeld, eine Umgebung, in dem hemmungslos gehetzt wird gegen Fremde, gegen Menschen, die aus ihrer Heimat fliehen, gegen Nachbarn, die der Hilfe bedürfen, ein Umfeld, in dem es zum guten Ton gehört, die Regierenden und in Sonderheit die Kanzlerin zu schmähen und zu beleidigen wegen ihrer Haltung in der Flüchtlingsfrage, ein Klima, in dem Gewalt gegen Schwache nach und nach und immer mehr zur traurigen Realität wird, in allen Teilen Deutschlands, nicht nur im Osten. Das alles, dieses Kraftfeld, hat die Tat, hat diesen Mordversuch erst möglich gemacht und ihr eine Kennung gegeben. Ein Kraftfeld, das mit wenigen Stich-Worten, wie treffend, präzise umrissen ist. Pegida. Hooligans gegen Salafisten. NPD. Rechtspopulisten. AfD. Krawallbeiträge in Blogs und den sozialen Medien. Niemand hat mitgestochen. Natürlich. „Das Messer mögen andere führen“, schrieb Sebastian Christ in Huffington Post. Das Kraftfeld für Gewalttäter und Verrückte ist die rechte politische Radikalisierung. Rechts ist dabei ein im Wortsinn weites Feld. Es handelt sich um den unappetitlichen rechtsradikalen Rand der Gesellschaft, die Neonazis und ihre Organisationen, um krawallige Rechtspopulisten, die Pegidabewegung und ihre Nachahmer, sowie um die in der Regel gut gekleideten Stimmungsmacher, wie sie sich in wohlorganisierten Parteien finden, der AfD zumal. Die politische Radikalisierung “war für jeden offensichtlich, der sich seit Anfang September ab und zu durch die Kommentarspalten der größten Online-Medien gelesen hat” bemerkt dazu Sebastian Christ und fährt fort: “Die Debatte um Flüchtlinge und Zuwanderung wird noch aggressiver geführt, als dies im Sommer bereits der Fall war. Es geht nicht mehr nur um Ehrpusseligkeiten. Sondern darum, dass sich ein Teil der Bevölkerung unter den Hurra-Rufen von rechtspopulistischen Politikern und anderen geistigen Brandstiftern aus dem demokratischen Diskurs der Bundesrepublik verabschiedet hat.” Niemand natürlich auch aus dem Wermelskirchener Politik-Umfeld hat mitgestochen. Aber in einer Wermelskirchener Facebookgruppe war beispielsweise das hier vor kurzem zu lesen:

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Der Autor dieser Zeilen ist nicht irgendein irregeleiteter Heiopei, der sich mal eben sein Mütchen kühlen will. Der Verfasser sitzt seit Jahren im Stadtrat von Wermelskirchen und ist einer der Lautsprecher in der konservativen Parteienlandschaft. Henning Rehse. “Auch wenn es keine direkte Kausalität zu tatsächlich ausgeübter Gewalt gibt – solche Beiträge erzeugen ein Klima, in dem die Gewaltschwelle sinkt. Sie dürfen deshalb nicht ohne Widerspruch bleiben.“ So der ehemalige CDU-Außenpolitiker Ruprecht Polenz. Ein weiteres Kostpröbchen.

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“Bis aufs Messer!!!” O-Ton Henning Rehse. Wer so schreibt, vergiftet das politische Klima. Noch einmal Sebastian Christ: “Das Messer mögen andere führen. Doch die Anfeuerungsrufe für die Täter kommen von jenen, die aus Lust an der Zerstörung gegen dieses System Stimmung machen. AfD und Pegida sind längst zu Cheerleadern der neuen rechten Gewalt geworden.” AfD und Pegida. Und leider auch einer der bekanntesten Kommunalpolitiker Wermelskirchens. Henning Rehse hat keinen tauglichen Kompaß mehr für die politische Auseinandersetzung. “Hass ist gesellschaftsfähig geworden”. Das formulierte in dieser Woche der Soziologe Heinz Bude im Deutschlandfunk. Hier bei uns ist das tagtäglich zu studieren. Auch hier bei uns, im friedlichen Wermelskirchen.

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Ich höre immer Flüchtlingskrise. Die wirkliche Krise in unserem Land ist doch wohl eher die Nazikrise”, schrieb die SPD-Bundestagsabgeordnete Kerstin Tack nun bei Twitter, offenbar als Reaktion auf den Reker-Angriff. Nein. Nicht ganz und nicht wirklich. Wir haben eher keine Nazikrise. Die, die Nazis, die Glatzen, die ganz Tumben vom rechten Rand nutzen lediglich, was Rechtspopulisten, die besser gekleideten Parteivertreter, die vermeintlich besorgten Bürger auch aus der Mitte der Gesellschaft bereitet haben.

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Das Messer geführt haben auch jene ‘besorgten Bürger’, die Menschen, die aus größter Not und Elend nach Europa fliehen, als ‘Invasoren’, ‘illegale Siedler’ und ‘Asylbetrüger’ beschimpfen. Das Messer geführt haben jene, die die Aufnahme von Geflüchteten als ‘Asylwahnsinn’ diffamieren. Das Messer geführt haben jene, die lautstark über eine angebliche ‘Überfremdung’, ‘Umvolkung’ oder ‘Islamisierung des Abendlands’ klagen. Das Messer geführt haben jene, die Menschen, die sich für eine Willkommenskultur einsetzen, als ‘Multikultiideologen’ und ‘Deutschlandabschaffer’ verhöhnen.” Das formulierte Pascal Beucker in seinem Kommentar: “Einer hat zugestochen” in der Tageszeitung. Weiter heißt es dort: “Die Brandstifter lassen sich benennen. Mitverantwortung für die Kölner Tat tragen Politiker wie der Thüringer AfD-Fraktionsvorsitzende Björn Höcke, die mit ihren Hetzreden systematisch das Klima in diesem Land vergiften. Mitverantwortung tragen Publizisten wie Thilo Sarrazin, Udo Ulfkotte oder Jürgen Elsässer, die mit ihren Schriften und öffentlichen Auftritten den geistigen Nährboden bereitet haben. Mitverantwortung tragen Blogs wie ‘Politically Incorrect’, die ihren Rassismus immer aggressiver propagieren. Mitverantwortung tragen schließlich jene fremdenfeindlichen ‘Patrioten’, die zu Tausenden allwöchentlich in Dresden und anderswo in Ostdeutschland aufmarschieren.” Ich mag das Bild nicht, daß die, die das Klima bereiten, das Kraftfeld darstellen, auch das Messer geführt haben. Sei’s drum. Der Mordversuch an Henriette Reker muß ein Zeichen sein. Für alle anständigen Menschen. Ein Zeichen, jetzt mit Energie, mit aller Kraft, mit Mut und Entschlossenheit jenen entgegenzutreten, die sich als Feinde des friedlichen Zusammenlebens betätigen.