Tag: 12. November 2014

Sinn-Los

In einem Leserbrief an die Süddeutsche Zeitung schreibt heute Dr. Joseph Kuhn aus Dachau unter anderem:

In seiner Welt (der Welt des Hans-Werner Sinn, W.H.) gibt es nur eine Ökonomie, die Neoklassik, und die vertritt er mit dem Gestus eines vatikanischen Glaubenswächters. Die Effizienz der Märkte ist ihm oberstes Prinzip, selbst die aktuelle politische Debatte um die Rechte der Spartengewerkschaften ist für ihn eine Effizienzfrage. Im Leben geht es aber nicht nur um Effizienz, und zu Recht betrachtet unser Grundgesetz nicht die Markteffizienz, sondern die Menschenwürde als unantastbar. Erst danach kommt die Ökonomie.

Das goldene Kalb

Unter dieser Überschrift hat Heribert Prantl in der Süddeutschen Zeitung von heute seine Meinung zum neusten Vorschlag der CDU im Umgang mit Freihandelsabkommensverhandlungen kundgetan:

Der Geschäftsführer der Unions-Fraktion im Bundestag hat die SPD allen Ernstes aufgefordert, ihre ohnehin nur sehr verhaltene Kritik an den geplanten Abkommen zwischen der EU und den USA (genannt TTIP) und der EU und Kanada (genannt Ceta) aufzugeben. Die Abkommen sollen, so stellt es sich die Union vor, kritikfrei gestellt werden. Massive Eingriffe in die Rechtsstaatlichkeit durch private Schiedsgerichte sollen, so wünscht sich das die Union, dankbar und mit “Euphorie” begrüßt werden. (…) Man kann nicht erst, wie geschehen, geheim verhandeln und die Öffentlichkeit damit vertrösten, dass man später noch über alles reden könne – und dann später sagen, dass jetzt alles wunderbar geregelt und Kritik nun wirklich nicht mehr am Platze, ja massiv schädlich sei. So kann man mit dem Souverän, dem Volk, und so kann man mit den Parlamenten nicht umgehen. Freihandelsabkommen dürfen nicht zu Entdemokratisierungs-Abkommen und nicht zu Entrechtstaatlichungs-Abkommen werden. Der Tanz ums goldene Kalb gehört ins Alte Testament, nicht in eine demokratische Gesellschaft.

Für Kenner

Es ist wahrlich begeisternd, wenn eine musikalische Aufführung, ein Konzert einen Journalisten begeistert. Und wenn der sich müht, seine Leser die Begeisterung spüren zu lassen, sie in den Taumel hineinzuziehen. Aber was mache ich mit dem Satz, der Dirigent nehme das Opus sachlich und nicht romantisch in den Griff? Und was mit der Formulierung, ein Lied stehe beispielhaft für großangelegte De- und Crescendi? Und wie decodiere ich den Satz, daß die Sängerin immer absolut kultiviert der kirchenmusikalischen Stimme Vorrang vor jeder Opernattitüde gebe, wenn ich kein ausgewiesener Musikwissenschaftler, wenn ich kein intimer Kenner und gebildeter Liebhaber ernster Musik bin? Was hat der Leiter der Aufführung getan, wenn der Kritiker schreibt, er habe ein Lied im freudigen Portato gestaltet? Und was hat es mit dem warmen flexiblen Ton des Solisten auf sich, der insbesondere im Diskant glänze? Fragen über Fragen. Fragen, die mich als Laien erweisen, als Unkundigen, als Ungebildeten, als vielleicht interessierten, aber keinesfalls ausreichend qualifizierten Lokalzeitungsleser. Der Qualitätsjournalismus schart die Mehrheit um sich, die Connaisseurs. Und ich scheine, mal wieder, einer winzigen Minderheit anzugehören, der Minderheit der musikwissenschaftlich und requiemtheoretisch schlecht gebildeten wermelskirchener Zeitungsleser, der Banausen. Denn die Lokalzeitung schreibt ja für die Mehrheit der Bürger, für den Mainstream, wie man heutzutage sagt, für die vielen Kenner, nicht die wenigen Ahnungslosen.