Monat: September 2014

FDP?

Es gibt in Deutschland eine Sehnsucht nach liberalen Positionen in der Politik, wohl auch nach einer wirklich liberalen Partei; aber es gibt keine Partei mehr, die diese Sehnsucht befriedigt. (…) Wenn Datensammelwahnsinn grassiert, wenn also das Abhören von Handys, das Anzapfen von Computern, das Horten und Verwerten von privatesten Daten durch Geheimdienste und Internetkonzerne zum Alltag wird; wenn die Grundrechte auf dem Weg der Gesellschaft in die Internetwelt nur noch bettelnd am Wegesrand stehen; wenn vom Stolz auf die Bürgerrechte im politischen Alltag nichts mehr zu spüren ist; wenn das Asylrecht, das einst ein Leuchtturm war, zum Teelicht verkümmert; wenn auf die zugewanderten Neubürger in Deutschland wieder mit dem Finger gezeigt wird und von ihnen als „den anderen“ geredet wird; und wenn das Wort „Verantwortung“ jetzt dazu dienen soll, deutsche Waffen und deutsche Soldaten am Grundgesetz vorbei in alle Welt zu schicken – dann, ja dann wünscht man sich die Renaissance einer liberal-rechtsstaatlichen Politik. (Heribert Prantl, Der Romulus der FDP. Süddeutsche Zeitung von heute)

Scripted Reality

Wie die Süddeutsche Zeitung heute berichtet, haben sich Landesmedienanstalten und private Fernsehsender auf eine Kennzeichnung für Scripted Reality geeinigt. Das sind Doku-Soaps, die mit Laiendarstellern erfundene Geschichten zeigen, aber vorgeben, Tatsachen zu berichten. Viele Zuschauer halten solche, wie soll man sagen, äh Sendungen? für authentische Dokumentationen. Nun soll ein Hinweis am Beginn des Abspanns aufklären. Besser indes wäre, der Dreck würde nicht mehr gesendet.

Ahoi

Wir lagen vor Madagaskar
Und hatten die Pest an Bord.
In den Kübeln da faulte das Wasser
Und täglich ging einer über Bord.

Tja, Neunzehnhundertvierunddreißig soll der Texter und Komponist Just Scheu dieses jedermann bekannte Lied komponiert haben. Seemannslied, Fahrtenlied, Soldatenlied, einerlei. Aktuell ist es ein Piratenlied, ein Lied auf deren Abgesang.

Simplifikation

Populismus ist die Antwort auf eine Überforderung der eigenen Identität. In Wahrheit sind die Populisten Vereinfachungsparteien. Sie reduzieren die komplizierte Welt und reden sich Mut zu mit markigen Sprüchen. Sie tun dies als Grillini in Italien oder als rechtsextreme Frondeure in Frankreich.” (Stefan Kornelius unter dem Titel “Heimat überall” in der
Süddeutschen Zeitung vom zwanzigsten September) Und als ein Teil der AfD, mag man hinzufügen wollen.

Fortschritt

Auf Zweitausenddreihundertfünfundzwanzig ist nunmehr die Anzahl der Milliardäre gestiegen, wie ich heute Morgen bei ntv erfahren habe. Weltweit. Ein Fortschritt, oder? In Deutschland leben immerhin einhundertdreiundzwanzig von ihnen. Nur zur Erinnerung für jene, die nicht täglich mit derartigen Zahlen umgehen, wenn es ums Geld geht: eine Milliarde sind eintausend Millionen.

Cohen

“Es gibt viele junge Menschen, die Cohen mögen. Auf die Älteren übt er allerdings eine besondere Faszination aus, was auch damit zusammen hängt, dass Rockmusik im allerweitesten Sinne für eineinhalb Generationen, nämlich die 68er und jene, die gleich danach kamen, viel mehr war als nur Party, Beschallung oder Betäubung. Musik, fast egal ob von Songwritern, Psychedelischen, Hardrockern oder Folkies, gehörte entscheidend zur Identitätsverteidigung gegen die Kriegsgenerationen, die wirklich Verknöcherten, die Verbissenen. Wer in den Sechzigern oder Siebzigern aufwuchs, der weiß, dass all die heutigen Luckes, Bsirskes, Kauders, Fahimis und von der Leyens Ausbünde an Toleranz, Unverkniffenheit und menschlicher Wärme sind, vergleicht man sie mit den EK-I-Trägern, den Straußens und Dreggers, den Kommunistenjägern und Springerknechten, die damals die Gesellschaft prägten und die Szenerie bestimmten.” (Kurt Kister in der Süddeutschen Zeitung von heute)

Scotland The Brave

Das schottische Votum hat gewaltige Lehren für uns parat. Die Diskussion über ein “ja oder nein” zur schottischen Unabhängigkeit hat deutlich gemacht, wie sehr in Schottland eine Diskussion geführt worden ist, die eigentlich von uns allen bestritten werden müsste. In welchem Maße beugen wir uns dem Modell eines halb-feudalen Regierungssystems, wie es für das politische System in London mit seinen Steuerungselementen aus der Finanzzentrale “City of London” bestimmend ist – oder sind wir weiter der parlamentarischen Demokratie verpflichtet, für die Menschen in Schottland gekämpft haben?” (Willy Wimmer, Scotland The Brave, in: Telepolis 19.9.14)

Männerchor. Komm, sing mit …

Männergesangverein. Das scheint nach Nachwuchsmangel zu riechen, nach schlohweißen Haaren, nach einigen zehntausend Lebensjahren Mitgliedschaft, nach vorvorgestern, nach Liedgut der Romantik, nach Kulturkonservativismus. Nach allem, was heute nicht angesagt, modern, zeitgIMG_0069eistig ist. Männerchor. Von Achtzehnhundertvierundvierzig. Ja, doch, hier in Wermelskirchen. Nein Gründungsmitglieder sind nicht mehr zugegen. Aber alt sind die Sänger schon und die Jungen fehlen. Und dennoch: So geile Werbung habe ich schon lange auch von jüngeren Vereinen nicIMG_0068ht mehr gesehen. Den Mut muß ein solcher Laden erstmal haben, heutzutage, in Zeiten der Scharia-Polizei, in arabischen Schriftzeichen zum Mitsingen aufzurufen. Oder in kyrillisch. In Zeiten des Rußland-Ukraine-Konflikts. Pfiffig, die Herren vom Männerchor.  Man mag diesen ausgebufften singenden Werbespezialisten nur wünschen, daß die Aktion auch Früchte trägt und junge, mittelalte Männer, die mitsingen wollen und können, den Männerchor in Scharen in der “Centrale” heimsuchen. Es muß nicht immer das Smartphone sein, die geile App, etwas pfiffig-digitales. Altmodisch-analoge Medien können ebenso witzig-intelligent genutzt werden. Man muß nur wissen, wie.

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