Das Finanzgenie und der Qualitätsjournalismus

In meiner Zeitung – Wermelskirchener General-Anzeiger, so heißt die lokale Ausgabe der Westdeutschen Zeitung – lese ich gerade auf der zweiten Seite das “Portrait des Tages: Der Gewinner”. Portraitiert wird der zweiundfünfzigjährige John Paulson, der als Hedgefondsmanager im vergangenen Jahr einen “persönlichen Profit” von fünf Milliarden Dollar gemacht habe. Im Jahr 2007, so schreibt die Redaktion weiter, habe das “Hedgefondsgenie” Paulson bereits 3, 7 Milliarden eingestrichen, als er mit Finanzwetten gegen den US-Hypothekenmarkt angetreten sei, “während andere ins Verderben gerissen wurden”. “Trotzdem scheint es dem (im Original, W.H.) Börsenguru auch zu berühren, dass er Profit aus dem Elend anderer macht. Er spendete 15 Millionen Dollar für die Gründung einer gemeinnützigen Einrichtung. Sie soll Familien helfen, die ruiniert sind.” Nichts sonst von der Redaktion. Keine Wertung, kein Kommentar, keine Einordnung. Stattdessen die Qualifizierung als “Genie”, als “Guru”. Das nenne ich Qualitätsjournalismus. Da erzockt ein Börsenprofi in kaum drei Jahren 8,7 Milliarden Dollar. Nach dem Umrechnungskurs von heute sind das 6.395.370.000 Euro. Umgerechnet aufs Jahr sind das 2.130 Millionen Euro, wobei wir jetzt das Kleingeld der ersten sechs  Stellen links vom Komma, also die Hunderttausender, mal völlig außer acht lassen. Sie brauchen, sollten Sie etwa einhunderttausend Euro im Jahr verdienen, mehr als zwanzigtausend Jahre, um das Jahreseinkommen dieses “Börsengurus” zu erzielen. Allein diese Relation hätte die Redaktion zu einem Kommentar nötigen müssen. Die Millionenspende an eine gemeinnützige Einrichtung, von der Redaktion versöhnlich ans Ende des Portraits gesetzt, ist mithin kaum mehr als ein billiges, ein unanständiges, ein unmoralisches Trostpflästerchen, armseligste Kosmetik. Der billigste Taschenrechner, zur Not eine Überschlagsrechnung im Kopf, hätte die Redaktion zu einem ähnlichen Ergebnis führen müssen. John Paulson mag erfolgreich sein, ein Genie ist er nicht, auch nicht jemand, der positiv in einem Portrait gewürdigt werden sollte. Er steht bestenfalls für die üblen Verwerfungen, die den gemeinen Kapitalismus derzeit kennzeichnen. John Paulson ist ein Gewinner, wir alle, das Gemeinwesen sind die Verlierer.

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