Tag: 13. Juli 2010

Genosse – oder so …

Genosse, das leitet sich vom althochdeutschen “ginoz” ab und das ist jemand, der mit einem anderen etwas genießt. Noch zu finden im deutschen Wort “Bettgenosse”. Heute aber bezeichnet das Wort eher einen Gefährten, jemanden, mit dem man eine gemeinsame Erfahrung in einem bestimmten Bereich teilt, der dieselben Ziele hat und auf den man sich aus diesem Grund verlassen kann. Gemeint ist meist die Politik, Politik linker Parteien, Sozialdemokraten, Sozialisten oder Kommunisten.  Nun wird es zusehends schwieriger, Politik und Genuß unter einen Hut zu bekommen. Früher, als Parteien, linke zumal, auch Familienersatz waren, Heimat, soziale Umgebung, Umfeld, da hatte das Wörtchen Genosse seinen besonderen Sinn. Man arbeitete zusammen, kämpfte gemeinsam für die gleichen Interessen, lebte gemeinsam, im Viertel, Stadtteil, in sozialen Verbänden, Gewerkschaften, Genossenschaften. Und die, denen man zugetan war, von denen man lernte, die man beschützte, das waren die Genossen. Heute ist eher so etwas wie intellektuelle Übereinstimmung in politischen Fragen zu finden, nicht mehr aber gemeinsames Leben, Arbeiten und Kämpfen. Genosse ist man im Kopf. Mehr als mit dem Leib. Ich bin auch ein Genosse. Ein Gast-Genosse, um es genau zu sagen. Gast und Genosse der Wermelskirchener SPD. Für ein Jahr. Und heute Abend habe ich wieder einen tiefen Blick in das Innenleben der Sozialdemokratischen Partei werfen dürfen. Mitgliederversammlung. Thema: Koalitionsvertrag. Gut vorbereitet, eine stringente Diskussion, die vor allem die Frage behandelte, welche Auswirkungen die Absichtserklärungen auf Landesebene für die praktische kommunalpolitische Arbeit haben dürften. Dabei standen zwei Themenbereiche im Vordergrund: Bildung und Schule sowie die Kommunalpolitik, kommunale Finanzen, Änderungen der Gemeindeverfassung, Schulden. Das Dilemma: Die Partei ist die Fraktion und das Denken der Fraktion beherrscht das Denken der Partei. Vermutlich ist das bei den anderen Parteien hier im Ort nicht grundlegend anders. Was wichtig ist für den Rat und die Ausschüsse, das ist Thema der Partei. Kommunalpolitik wird verengt auf Rat und Verwaltung. Und dann fehlt am Ende die Kraft, sich auch den ganz anderen Themen zuzuwenden, die mit dieser eng verstandenen Kommunalpolitik nicht zu treffen sind. Was denken die Bürger? Welche Debatten gibt es in der Stadt? Können wir gegen den Wegzug des Kinderarztes etwas ausrichten? Wenn nein, befassen wir uns nicht sehr gründlich damit. Weil wir keinen Einfluß haben und keinen Zugriff. Haben wir Möglichkeiten, kommunale wohlverstanden, gegen die Verlagerung der Polizeistation etwas zu unternehmen? Nein, Landessache. Also mischen wir uns nicht ein. Auf diese Weise wird politische Kultur verengt. Auf Machbarkeit. Einmischen? Natürlich! Aber dort, wo wir  Handlungsmöglichkeiten haben. Alles andere will gut bedacht sein. Auf diese Weise wird öffentliche Kommunikation drittrangig. Nicht nur in der SPD. In allen anderen Parteien auch. Von Ausnahmen abgesehen, etwa den Leserbriefen von Henning Rehse. Und mit diesen Briefen will Henning Rehse punkten, für die WNK.  Das ist vollkommen legitim. Aber kein Beitrag zu einer öffentlichen Kommunikationskultur der Parteien. Zudem schreibt die Leserbriefe immer wieder nur Henning Rehse, nicht auch andere WNK-Leute. Grüne, Linke, Büfo, CDU, immer mal wieder ist etwas zu lesen, nicht wirklich viel, aber zu Themen aus Rat und Verwaltung. Kinderarzt oder Polizeistation sind nur zwei willkürlich gegriffene, aber gute Beispiele. Warum gibt es keine parteiübergreifende Initiative, solche Dinge breit und öffentlich zu behandeln? Nur, weil wir, die Parteien, vordergründig nichts ändern können? “Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit.” So heißt es im Artikel 21 (1) unseres Grundgesetzes. Wirken mit. Tun sie aber oft genug nicht. Der Bürger macht sich so seine Gedanken, meist an den Parteien vorbei. Sammelt mitunter sogar tausende von Unterschriften, so ganz ohne die Parteien. Weil die Parteien oft dort nicht sind, wo Bürger Sorgen haben, debattieren, wo öffentlicher Meinungsaustausch ist. Politische Willensbildung geht weit über das hinaus, was im kommunalen Rahmen in Rat oder Verwaltung eine große Rolle spielt. Zur politischen Willensbildung gehören auch die  zentralen Begriffe und Werte, die unsere Demokratie auszeichnen, etwa Gemeinwesen, Gemeinwohl. Was ist das? Geht Politik immer noch vom Gedanken des Gemeinwohls aus? Welche Werte bestimmen und beherrschen unsere Gesellschaft? Wie verhält es sich mit der Gerechtigkeit in unserer Gesellschaft? Geht es gerecht zu in unserem Land, in unserer Stadt? Lassen wir, lassen sich die Parteien immer von diesem Grundgedanken sozialer Gerechtigkeit leiten, wenn sie ihre Politik entwickeln? Wie bestimmen wir das Verhältnis von politischer Konkurrenz, von der Vertretung von Interessen und dem Gemeinwohl? Sitzen in solchen Fragen die Parteien nicht eigentlich im selben Boot? Offenbar nicht. Denn Debatten über politische Kultur – und darum geht es – stehen zurück hinter Ratsproblemen und Verwaltungsfragen. Kein Wunder, finde ich, daß Politik nicht mehr sexy ist, daß die Parteien einen Bedeutungsverlust erleiden, auch auf kommunaler Ebene. Wer das Gespräch der Bürger nicht fördert, wird von den Bürgern auch nicht mehr gefragt, nicht mehr gefordert, nicht mehr wahrgenommen, nicht mehr als nützlich empfunden. All das ist kein spezifisch sozialdemokratisches Problem. Es trifft Christ- oder Freidemokraten gleichermaßen, Grüne oder Linke, Büfo oder WNK. Wie soll sich Meinungsfreude entwickeln, Debattierlust, Mitwirkung, wenn Parteien nicht über ihren Tellerrand kommunalpolitischer Mühsal schauen können? Wie soll eigentlich Zivilcourage entstehen, gestärkt, vorgelebt werden im Gemeinwesen, wenn sich in Parteien immer wieder die Bekehrung der Bekehrten vollzieht? Ab morgen werden wir in Nordrhein-Westfalen mit einem für unser Land vollkommen neuen Politikmodell zu tun haben, einer Minderheitsregierung. Einer Regierung, die sich von Fall zu Fall ihre Mehrheiten neu suchen muß. Die alten Antworten werden nichts mehr wert sein. Fundamentalopposition, wie von der CDU angekündigt, ist der falsche Weg. Wer garantiert der CDU eigentlich, daß ihr Einfluß durch eine solche Politik größer wird? Politik muß, dafür sorgen die Wähler nunmehr fast bei jeder Wahl, neue Antworten finden, auf neue und alte Fragen. Politik muß kommunikationsfähiger, kommunikationsfähig werden, nach innen und in Richtung der Bürger. Und ob man sich nun Genosse nennt oder Parteifreund, Bruder oder Kamerad, das spielt in Wahrheit keine große Rolle. Merkwürdig, welche Gedanken einen ereilen, nur weil man einen warmen Abend lang ohne auch nur eine Zigarette auf eigentlich doch erfreuliche Weise politische Fragen diskutiert und es genossen hat. Mit den Genossen. Mal wieder.

Lucien Laurent

Lucien Laurent hieß der Mann, der Geschichte geschrieben hat, Fußballgeschichte. Heute genau vor achtzig Jahren. Der gelernte Automechaniker verwandelte in Montevideo nach 19. Spielminuten die Vorlage seines Mannschaftskameraden Marcel Langiller zum 1:0 für Frankreich im Eröffnungsspiel der ersten Fußballweltmeisterschaft in Uruguay gegen das Team von Mexiko. 4:1 gewannen die Franzosen das Spiel. Erster Weltmeister aber wurden die Urus. Die Franzosen sollten noch achtundsechzig Jahre warten müssen auf den Titel.

Nochmal Fußball

Als Kinder haben wir ständig Fußball gespielt – und überall, auf dem Garagenvorplatz, auf einem Bolzplätzchen, der Liegewiese im Schwimmbad, auf der Straße, einfach überall. Außer einem Ball haben wir nichts gebraucht. Kleiderbündel, Schulranzen, Holzstücke oder Steine, was immer gerade zur Hand war, ersetzten uns die Torstangen, die Begrenzungslinien wurden nur ungefähr festgelegt. Immer, natürlich, spielten wir ohne Schiedsrichter. Und – es hat geklappt. Auch die kniffligsten Situationen, Handspiel, Fouls, irregulär erzielte Tore, wurden gelöst, teils nach hitzigen und längeren Debatten, teils erst nach Androhung von Handgreiflichkeiten oder nach angedeutetem Rückzug vom Spielfeld. Eine gute Schule. Fürs fußballerische Vermögen, für die Durchsetzungskraft, für die Kunst der Diplomatie, auch für die Schärfung des Gerechtigkeitssinnes. Die Schule des Straßenfußballs. Von der ist nichts mehr übrig geblieben, wenn man die Wirklichkeit der Fußballweltmeisterschaft zu Rate zieht. Schiedsrichter übersehen selbst die übelsten Fouls, im Endspiel etwa den Karatetritt des Holländers de Jong mit den Stollen gegen die Brust eines Spaniers oder das Foul von Iniesta abseits des Spielzugs. Beides eindeutig Rot. Dazu van Bommels Tritte oder die anderer Kicker. Falsche Abseits- oder Torentscheidungen zu Hauf. Eindeutige Tore werden nicht anerkannt. Eindeutige Nicht-Tore als Tore gegeben. Die Abseitsregel wird zum Roulette. Alle Welt darf im Fernsehen miterleben, daß Schiedsrichterentscheidungen eindeutig falsch sind. Nur die Schiedsrichter dürfen den Monitor im Stadion nicht sehen, sagt die FIFA. Ob das Spiel mit Schiedsrichtern wirklich besser ist als unser Gekicke seinerzeit ohne (schlechte) Richter? Jedenfalls waren die Schiedsrichter ein größeres Ärgernis als die meist mangelnde Qualität der Spiele, zumal der Vorrunde. Und ein noch größeres Ärgernis war die Fußballbegleitung im deutschen Fernsehen. Gleich, ob Bela Rethy, Tom Bartels oder Steffen Simon. Sie alle haben andere Spiele gesehen als viele meiner Freunde oder ich. Sie alle quasseln zuviel. Sie alle sind nicht wirklich objektiv. Selbst gute Spiele wurden sprachlich zugemüllt. Über Katrin Müller-Hohenstein will ich hier gar kein Wort mehr verlieren. Professionalität, großes Geschäft, Fußball als Kultur? Ach iwo. Fußball ist ein einfaches Spiel. Daraus bezieht er seine Faszinosität. FIFA und die Medien, des Fernsehen zuvörderst, sind die Sargnägel für den Kick.