Was weiß man eigentlich schon vom „Wähler“? Selbst in Zeiten hochausgeklügelter demoskopischer Verfahren bleibt „der Wähler” ein eher unbekanntes Wesen, ausgestattet vielleicht mit einer gewissen Portion List oder Tücke, womöglich sogar Häme. Vielleicht weiß man von seinem Gegenstück, dem “Nicht-Wähler“, doch mehr. Der Nicht-Wähler verweigert sich einfach, ignoriert den politischen Betrieb, verweigert sich Gesellschaft, Krise oder Gemeinwohl, entledigt sich gesellschaftlicher Verantwortung, indigniert bis angeekelt. Der Wähler hingegen gibt Rätsel auf. Den Politikern, den Parteien, den Medien, auch den Bürgern, dem Gemeinwesen. Innerhalb der letzten beiden Jahrzehnte hat er, der “Wähler”, in der Bundesrepublik und den Bundesländern ein Fünf-Parteien-System etabliert. Und damit dem Politikbetrieb eine komplizierte Aufgabe vorgelegt. Rot-Grün, Schwarz-Gelb, Schwarz-Rot, die ehedem so einfachen Antworten auf ein Votum des Wählers, funktionieren heutzutage nicht mehr. Das politische System in der Bundesrepublik muß sich auf kompliziertere politische Mehrheitsfindungsmechanismen einlassen, auf risikoreichere Konstellationen, auf bislang Undenkbares und Ungedachtes. Die simplen Antworten sind von gestern. Rote-Socken-Kampagnen oder der Verweis auf die extremistische Natur der Linken sogar von vorgestern. Nach der NRW-Wahl von gestern ist eine linke Partei jenseits der SPD heute und morgen Realität in den deutschen Parlamenten. Weil der Wähler das so will. Der Wähler ist der Souverän, der, der über allen steht, der Inhaber der Staatsgewalt. Koalitionen von drei Parteien werden zur Normalität werden (müssen), ob die Parteien das nun so haben wollten oder nicht. Rot-Rot-Grün wäre also eine mögliche Lösung der vom Wähler gestellten Aufgabe. Warum auch nicht? Die Linke ist nicht regierungsfähig. Na klar. Die Linke wird so lange nicht regierungsfähig sein und bleiben, so lange sie nicht in entsprechende vertragliche Vereinbarungen eingebunden werden wird. Koalition bedeutet doch, daß keine Partei ihre politischen Wünsche und Zielsetzungen ungekürzt in Regierungshandeln umsetzen kann. Das Wesen der Koalition ist Kompromiß und Absprache. Das aber setzt rationales politisches Handeln voraus. Was will ich, was willst du, was können wir gemeinsam bewerkstelligen? Aushandeln von Interessen. Was gebe ich auf keinen Fall preis, was ist für dich auf keinen Fall verhandelbar, worauf können wir uns einigen? Die Frage ist also: Gibt es zwischen SPD, Grünen und Linken einen gemeinsamen Kernbestand politischer Ziele in der Landespolitik? Könnte man sich für eine Legislaturperiode auf eine gemeinsame Bildungspolitik, eine gemeinsame Forschungs- und Hochschulpolitik, eine gemeinsame Industrie- und Arbeitsplatzpolitik, auf eine sinnvolle Finanzierung der Kommunen einigen, um nur einige Beispiele zu nennen? Ich frage mich, warum das bei Rot-Grün möglich sein sollte oder im Zweifel gar bei Rot-Schwarz, bei Rot-Rot-Grün indes auf keinen Fall. Die Zeiten, in denen Rot-Grün ein “Projekt” war, diese Zeiten sind erledigt. Überhöhungen jedweder Art haben sich überlebt. Rot-Grün ist so wenig ein Projekt, wie Rot-Rot-Grün je eines hätte sein können. Es geht um weniger und um mehr. Es geht um rationale Politik, um die Definition der eigenen Interessen, um den Abgleich mit den Interessen anderer, um die rationale Einschätzung dessen, was in einer mehrheitsfähigen Parteienkonstellation durchsetzbar ist und was nicht. Und es geht darum, das Votum des Wählers ernster zu nehmen, als dies bislang die Parteien vermochten. Rot-Gelb-Grün, die “Ampelkoalition”, ist eine andere denkbare Drei-Parteien-Konstellation. Ampel geht gar nicht, sagt die FDP. Warum sollte eine solche Koalition nicht zum Wohle des Landes arbeiten können? Ist ein gemeinsamer Zielkatalog in der Bildungspolitik, in der Hochschulpolitik, in anderen Politikfeldern zwischen Sozialdemokraten, Liberalen und Grünen wirklich undenkbar? In Rheinland-Pfalz koaliert die FDP mit der SPD. Im Saarland die Grünen mit FDP und CDU. Warum soll in Düsseldorf undenkbar sein, was in Mainz oder Saarbrücken funktioniert. Die Parteien müssen sich nur in Bewegung setzen. Die FDP muß sich bewegen. Der Wähler will das so. Er hat das Steuersenkungsmantra abgestraft. Er hat die babylonische Verkettung mit der CDU abgestraft. Eine moderne liberale Partei wird nach dieser Wahl neu zu überlegen haben, wie eng oder wie breit man liberale Politik anlegen muß, wie sehr man sich nur einem kleinen Klientel hingibt oder wie die sozialen Wurzeln des Liberalismus wieder belebt und in politisches Programm übersetzt werden können. Eine moderne liberale Partei wird auch daran gemessen werden, vom Wähler, daß sie nicht alles dem freien Spiel der Kräfte überlassen wird, dem Markt, daß sie die unkontrollierte Macht des Finanzkapitals zu bändigen bereit sein wird. Das Soziale, das Gemeinwohl wird eine größere Rolle im liberalen Gedankengut spielen müssen als in den vergangenen Jahren, die Einsicht, daß der Markt nicht alles zu regeln imstande ist, daß die Menschen ein starkes Gemeinwesen, einen handlungsfähigen Staat dringend benötigen. Der “Wähler” hat Antworten gegeben auf das Angebot der Parteien. Listig und irgendwie hintersinnig. Nun liegt der Ball im Spielfeld der Parteien.
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