Anstrengungslose Dekadenz und spätrömischer Wohlstand

Da haben wir sie, die geistig-politische Wende à la Guido: “Wer dem Volk anstrengungslosen Wohlstand verspricht, lädt zu spätrömischer Dekadenz ein.” Nein, nein, unser Außenminister und größter Historiker aller Zeiten meint natürlich nicht den anstrengungslosen Wohlstand durch Steuerhinterziehung und Schwarzgeld-Konten in Bern oder Vaduz. Das wäre womöglich die passende Analogie. Denn neben dem Druck anderer Völker war es vor allem die Dekadenz der römischen Elite, ihre Verfaultheit und Korruptheit, ihre Prunksucht und maßlose Gier, die dem römischen Reich den Garaus machte. Aber Wendeexperte Guido meint eben nicht Bänker und Finanzjongleure, Steuerhinterzieher oder leistungslose Prasser samt ihrer neoliberalen Apologeten, sondern jene, die jetzt höhere Hartz-IV-Sätze fordern. Ein schamloses Argument und ein schamloser Mann. Spiegel-Online: “Eine historisch unhaltbare, perfide, aus rein politischem Kalkül betriebene Beleidigung des schwächsten Teils der deutschen Bevölkerung. (…) Guido der Seher hätte also von materieller Dekadenz in Deutschland sprechen können, über die Banker zum Beispiel, die nach einer Krise, an deren Folgen die ganze Welt leidet und die sie maßgeblich verantwortet haben, nun fette Boni einstreichen. Und er könnte – ohne dem Stammtisch das Wort zu reden – auch vom lebensfernen Dasein der Berliner Classe Politique berichten, von fahrbereitschaftlich zur Verfügung gestellten Luxuskarossen, von Empfängen und Anlässen, bei denen Büffets aufgetürmt sind, so reichlich bestückt, das noch jedem Hartz-IV-Empfänger der Magen übergehen würde. Aber Westerwelle ist Chef einer Partei der Besserverdienenden, einer Elitenpartei. Und einer FDP, die – und hierin steckt womöglich der größte Affront – derzeit zumindest nach außen hin als intellektuell verkommen erscheint. Sie betet den Liberalismus als Glaubensbekenntnis herunter, nur um gleichzeitig ihrer Klientel großzügige Staatsgeschenke zu überreichen, die jeder liberalen Marktlogik widersprechen.” Die einst große FDP, die eine Idee vom bürgerlichen Zusammenhalt hatte unter Walter Scheel und Karl-Hermann Flach, unter  Gerhard Baum oder Wolfgang Mischnik, unter Irmgard Schwaetzer oder Günter Verheugen, diese FDP ist heute verkommen, wenn Guido Westerwelle Maßstab für die ganze Partei ist. Kein Begriff vom Gemeinwesen, keine Idee vom Gemeinwohl. Partikularinteressen, Klientelpolitik, die ganze Breite des politischen Spektrums zusammengeschrumpft auf das Mantra der Steuersenkung. “Wir wollen daran festhalten, dass wir zur Gemeinschaft geboren sind. Unsere Gesellschaft gleicht weitgehend einem Steingewölbe, das zusammenbrechen würde, wenn die Steine sich nicht gegenseitig tragen, und das auf diese Weise zusammengehalten wird.”  Das lehrt uns Seneca, wenn uns Guido Westerwelle gedanklich schon einmal nach Rom gebracht hat. “Statt sich um das Gemeinwohl zu sorgen,” so der Spiegel weiter in seinem Beitrag, “schaufelten sich die Machthaber im alten Rom mit Luxus zu und garnierten diese Selbstversorgung auf Kosten der Allgemeinheit mit wohlfeilen Worten. Der Verfall des Staates ging einher mit einem Verfall der Sitten und dem Verrat an einem Mindestmaß an intellektueller Redlichkeit – so nahm das Ende des Imperiums seinen Anfang.” Guido Westerwelle hätte im Geschichtsunterricht wohl besser aufpassen sollen, statt sich damals schon in der Pose des Staatsmannes zu üben. Und seinen Seneca lesen sollen: “Es kann niemand ethisch verantwortungsvoll leben, der nur an sich denkt und alles seinem persönlichen Vorteil unterstellt. Du musst für den anderen leben, wenn du für dich selbst leben willst.”  Treffend kennzeichnet der römische Weise die perfide Großmäuligkeit des bundesdeutschen Oberliberalen samt seiner Prätorianergarde, wie sich die Nachwuchsliberalen um Christian Lindner, Johannes Vogel, Philip Rösler und so weiter selbst bezeichnen. “Unzählige Menschen haben Völker und Städte beherrscht, aber ganz wenige nur sich selbst.” Man sollte meinen, er habe den bundesdeutschen Außenminister vor Augen gehabt, als er schrieb: “Du bist, der du bist! Was hilft es, über das Meer zu setzen und den Wohnort zu wechseln? Wenn du dem, was dich drückt, entgehen willst, so musst du nicht an einem anderen Ort sein, sondern selbst ein anderer sein. Deine Reisen werden dir keine Erleichterung schaffen; denn du reisest mit deinen Leidenschaften, und deine Übel folgen dir nach.”  Welch ein Mann darf unser Volk im Ausland präsentieren. Da bleibt nur die völlige Fassungslosigkeit. “Ein Zwerg wird nicht größer, auch wenn er sich auf einen Berg stellt.” Seneca, natürlich.

Nein, von diesem moralischen Zwerg möchte ich nichts mehr hören von einer geistig-politischen Wende. Wenn sich jemand zu wenden hat, dann ist es Guido Westerwelle und seine FDP. Zuwenden müssen sie sich. Der Realität, politischem Sachverstand, der Moral, der Bevölkerung. Ansonsten kommt die politische Wende.

7 Kommentare

  1. Tja, der gute alte Seneca, der Jüngere….
    Ich bin mir nicht so sicher, daß mein Vergnügen an Seneca-Zitaten auf ungeteilte Zustimmung trifft. Wie war das noch mit dem Danaer-Geschenk?

  2. Petra Weber

    Danke für die Seneca-Zitate! Die sind ja erstaunlich zeitgemäß, zeitlos. Da werde ich mir wohl doch noch das eine oder andere Buch kaufen müssen, obwohl ich schon eins habe…

  3. Ralf Weber

    Spitze! Ich lach mich weg!
    In diesem Sinne: Nun muß getrunken werden!

  4. Na, da wäre ich mir so sicher nicht…
    Schöner allerdings finde ich den nachfolgenden Text aus Spiegel Online. Das hat er jetzt davon, der Guido, daß er seine nur spärlichen Geschichtskenntnisse aller Welt offenbart hat: (http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/0,1518,677512,00.html)

    Westerwelle hat recht: Inmitten des deutschen Sozialstaats hat sich ein dekadentes Milieu gebildet! SPIEGEL ONLINE berichtet exklusiv aus dem Leben einer Hartz-IV-Gesellschaft, deren Genuss- und Vergnügungssucht nur eines genannt werden kann: spätrömisch!

    Neulich, in Berlin-Neuköllnium. Domizil einer vierköpfigen Familie (62 qm), Mehrparteien-Villa. Anwesende:

    Kevinius, 36, (S-Bahn-Fahrer, freigestellt anno 2006)
    Mandylia, 34, seine Frau
    Ronnymus, 9, der Sohn, lyceeum rütliorum
    Chantalia, 18, die Tochter

    Kevinius: Reich sie mir die Fernbedienung. Und die Flips, wenn sie schon dabei ist.

    Mandylia: O, Kevinius, schlemmen tust du wie ein Patrizier. Bangen muss ich ob deiner Plautzierung. Schon seh ich dich beim Medicus!

    Kevinius: Sorge dich nicht, Mandylia, Füllige, Kinderreiche. Begrenzen werd ich mich nach diesem Erdnussröllchen für lang. Es ist das letzte.

    Chantalia: Was scheut ihr denn den Medicus? Erst gestern war ich dort, zum Zeitvertreib und Illustriertenstudium. Zudem bringt der Senat doch die Pekunia auf!

    Kevinius: Ja, Tochter, du hast recht. Und wer hätte sich Zerstreuung deutlicher verdient als du, Frühgebärende, Haargesträhnte? Ganze eineinhalb Jahre standest du vollzeitbeschäftigt in Diensten, serviertest Speisen, Demeter des Frittierten!

    Chantalia: Und ward gekündigt ob einer Bulette! Und hatt ich nicht Tribut gezollt dem Staat und überhaupt? Ach, tief geht meine Erschöpfung. Recreation, das ist, was ich brauch!

    Ronnymus: Komm, Schwester, ergötz dich mit mir an Brot und Videospielen.

    Mandylia: Brot gibt es keins, aber nimm Chips, die Tütenraschelnden, und lass zerschmelzen sie im Mund, gefüllt mit süßer Brause.

    Ronnymus: Ja, lasst uns Freude haben am Salzgebäck und wilden Spiel der Kreaturen. Den Bullterrier wolln wir reizen, auf dass er sich mit andern rauft.

    Chantalia: Den Nachbarfilius, gut, den soll er greifen. Der Schlingel, der sich mein Nintendo lieh und dreizehn Unzen noch dazu, vom roten Libanesen.

    Kevinius: Ja, keck sind sie, die Fremdlinge, mit ihrem Ostgebet und Teegetrinke. Sie schmähen unsern Gerstensaft und kennen unsre Riten kaum. Nie sah ich sie samstags bei der Television, auch bei den Ämtern traf ich sie eher selten.

    Chantalia: Bizarr sind sie, mit verbundnem Kopf. Da lob ich mir die Toga, dreigestreift an Ärmel und Bein, in flauschgem Stoff umspielt sie mir Brust und Beine.

    Kevinius: Ja, Tochter, sanft bleiben so die Übergänge zwischen Bett und Garderobe.

    Mandylia: Es klingelt. Ist’s schon der Bote mit leckrer Sendung? Den duftenden Kartons, dazu die Musik der Erfrischung, wenn die Koffeinkaraffen aneinander schlagen!

    Kevinius: Wie gut ist uns Fortuna! Der Orator, wie hieß er gleich, der Hautgenarbte? Er wusste es: Gesegnet sind wir mit Kultur und Kulinarik.

    Alle im Chor: Nunc est bibendum! Prosit, Guido Westerwelle!

  5. Ralf Weber

    Eben in SPON: “Merkel distanziert sich von Westerwelle”.
    Wenn die so weitermachen, brauchen wir bis zur nächsten Bundestagswahl doch nicht so lange warten.

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