“Peinlich gibt’s nicht mehr”

Und noch ein Fundstück: Spiegel-Online vom 4. November. “Das Grundrecht auf Schmach” – so ist der Artikel von Frank Patalong überschrieben, in dem es um zwei amerikanische Schülerinnen geht, die von ihrer Schule abgemahnt wurden, weil sie anstößige Fotos von sich ins Internet gestellt hatten. Ein schönes Stück Medienkritik, neue und online-Medien inclusive:

Im Fernsehen balzen gehemmte Bauernsöhne öffentlich um Publicitysüchtige oder einsame Unverheiratete. Im Schimmel lebende Vertreter des Prekariats lassen sich als Gegenleistung für ihre öffentliche Blamierung kostenfrei die Wohnungen und Häuser sanieren. Beziehungsgestörte lassen vor laufender Kamera ihre verhaltensauffälligen Blagen therapieren. Fortpflanzungswillige Möchtegern-Väter mit verminderter Spermienzahl onanieren unter öffentlicher Anteilnahme, um ihrem Bemühen um neues Leben Ausdruck zu verleihen. Welche intimen Dinge, fragen sich da ältere Semester, haben sich junge Leute überhaupt noch mitzuteilen, wenn sie wirklich intim werden? Ist dann nicht alles, was früher wertvolles, geheimes Wissen war, profan? “Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Massenmedien”, schrieb einst Niklas Luhmann. Das stimmt vielleicht nicht ganz, aber richtig ist, dass die Welt ein subjektives Konstrukt ist: “Richtig” ist sie so, wie wir sie vor dem Hintergrund unserer Erfahrungen, unseres gelernten Wissens, unseres inneren Bewertungskompasses wahrnehmen. Richtig ist aber auch das Prinzip Pippi Langstrumpf: Wir machen uns die Welt, wie sie uns gefällt. Soll heißen: Wir sind da nicht ohne Einfluss. Wenn man von MySpace, Reizwäsche und Penis-Lutschern hört, fragt man sich mitunter, ob das in der atemlosen, über-kommunikativen Twitter-Social-Network-Welt nicht zu oft vergessen wird. Manchmal kann man die Welt schon verbessern, wenn man manche Dinge nicht twittert, manches Foto nicht zeigt.

Kommentar verfassen

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.