Tag: 1. Oktober 2009

SPD als Partei des moralisch sensiblen Bürgertums

Heinz Bude, 55, Professor für Soziologie an der Universität Kassel, äußert sich heute in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung über die Zukunft der SPD.

Die SPD habe einen Verhinderungswahlkampf betrieben und dafür geworben, zu etwas “nein” zu sagen, wobei unklar blieb, zu was sie eigentlich “ja” sagt. Gerhard Schröder sei 1998 mit der Formel angetreten: Wir brauchen soziale Gerechtigkeit plus gesellschaftliche Innovation. Das war, so Bude, deshalb für die SPD eine sehr gute Formel, weil sie die soziale Gerechtigkeit immer an einem Gegenbegriff messen konnte. Problematisch werde es nun, wenn diese Gegenbegrifflichkeit auseinanderfalle. Die soziale Gerechtigkeit bleibe übrig, nur fehle der Kontrollbegriff, von dem aus man fragen könne: Ist das wichtig für das gesellschaftliche Ganze, müssen wir nicht auch andere Dinge berücksichtigen? Das sei für die SPD vor allem deshalb problematisch, weil ein Überbietungswettbewerb mit der Linken ins Haus stehe. Mit Gerhard Schröder habe die SPD immerhin elf Prozentpunkte mehr als jetzt erhalten. Jetzt müsse die SPD den Begriff der sozialen Gerechtigkeit neu und richtig besetzen. Die Stärkung sozialer Teilhabe heiße mehr als weg mit Hartz IV. Natürlich müsse die SPD klarstellen, wer die Zeche der Krise zu zahlen hat. Was sie aber nicht darf: Eine ihrer Erfolgsgeschichten dementieren.

Die Sozialdemokratie müsse sich auf bestimmte Zielgruppen orientieren, die Milieus der moralischen und sozialen Integrität unserer Gesellschaft, die höhergebildeten und erfolgreichen Frauen, aber natürlich auch die Facharbeiterschaft in der exportorientierten Produktivitätsökonomie und die Leute, die im erweiterten Bereich des öffentlichen Dienstes bemerken, dass es mittlerweile auch ein Feld gesellschaftlicher Prekariarisierung geworden ist. “Die SPD ist im Grunde die Partei des moralisch sensiblen Bürgertums”, so Bude wörtlich.

Die SPD müsse die Partei der Moral und des Realismus sein. In der Gesellschaft gebe es ohnehin eine eher positive Stimmung zu Hartz IV, zumindest was seine Grundidee betrifft – aber auch zu Recht Kritik, wenn es um Kontrolle, Gängelung und Härtefälle geht. Man müsse an Details wie dem Schonvermögen etwas ändern.

Die SPD müsse ihr linkes Profil stärken, ohne die Mitte aufzugeben. Die Definition dessen, was “links” ist, dürfe sie nicht der Linkspartei überlassen. Souverän und glaubhaft solle sie festlegen: Wo wir sind, ist links.

Von Piraten lernen, heißt siegen lernen….

Piraten, das sind Seeräuber. Menschen, die fremdes Eigentum stehlen, auch geistiges Eigentum. In allen Wortzusammenhängen bedeutet Piraterie nichts Gutes, nichts Legales – Produktpiraterie, Luftpiraten, Piratennest, Piratensender ….

Ole von Beust, Hamburger Bürgermeister, macht die “Piraten” nun zum Vorbild für eine ganze Partei. Von der Piratenpartei nämlich müsse die CDU lernen, wie man über das Internet Wähler gewinnt. “Wir müssen in der Kommunikation vor allem über die digitalen Kanäle noch besser werden”, sagte das CDU-Präsidiumsmitglied Ole von Beust der “Welt”. Deshalb solle Generalsekretär Ronald Pofalla ein entsprechendes Konzept erarbeiten. Die CDU könne “von den Piraten durchaus etwas lernen”.

Schöne Vorstellung, wie demnächst Schmitz und Bosbach mit wildem Bart und Augenklappe und hinter ihnen mit Gebrüll die lokale CDU das Internet entern, Wähler kapern und nur gegen eine Prise wieder freigeben.

“Orts-SPD begrüßt Linksruck”

So meldet es heute die Bergische Morgenpost. Rainer Bleek, Chef der hiesigen Sozialdemokraten, hält eine personelle und programmatische Erneuerung “auf Bundesebene für wichtig”. “Wir müssen wieder stärker Profil zeigen. Die sozialpolitische Kernkompetenz ist in der großen Koalition verloren gegangen. Daher ist der jetzige Linksruck ein Schritt, der völlig nachvollziehbar und richtig ist.”

Interessant. Auf Bundesebene.

Zwar räumt Rainer Bleek im Interview mit der Morgenpost ein, daß es auch auf lokaler Ebene nicht so richtig laufe, aber da die Personaldecke nicht ausreichend sei, könne hier eine personelle Erneuerung nicht stattfinden. “Wir haben eine vernünftige Sachpolitik in der jetzt zu Ende gegangenen Wahlperiode gemacht.” Die sei dann “in der Wermelskirchener Konstellation von SPD und CDU nicht rübergekommen”.

Also hat die SPD in Wermelskirchen eher ein Kommunikationsproblem. Und dennoch solle eine Strategiedebatte innerhalb der Partei stattfinden. Im künftigen Rat verstehe sich die SPD als Oppositionspartei, wenngleich es für seine Partei kein “Blockdenken” (mehr?) gebe. Das Profil der SPD müsse mit Blick auf die Landtagswahlen im Mai in Richtung Soziales und Bildung geschärft werden.

Das verstehe nun, wer will. Ich halte es für fraglich, ob in einem Stadtrat überhaupt nach dem Muster von Regierung und Opposition agiert werden kann. Und Blockdenken, das ist es doch, was zur desaströsen Niederlage bei der Kommunalwahl wesentlich beigetragen hat. Der gemeinsame Block mit der abgewirtschafteten CDU war für die Sozialdemokraten das Verhängnis. Wenn man sich nun vorschnell die Oppositionsrolle schnappt, dann kann von einer Auflösung des Blockdenkens wahrlich keine Rede sein. Denn die andere Partei des Blocks, die CDU, die sitzt doch wohl auch auf den harten Bänken der Opposition.

Nein. Ich finde, die SPD hat allen Grund, selbstkritisch die gewählte Strategie der letzten Jahre zu analysieren. Es geht eben nicht nur um eine Strategie bis zu den nächsten  Landtagswahlen. Um die geht’s auch. Aber wichtiger noch scheint mir zu sein, eine eigenständige Vision von Kommunalpolitik, ein neues Profil zu entwickeln, neue Menschen zu gewinnen, sich neu einzubringen, nachdem man öffentlich Fehler als Fehler eingestanden hat  und dann um neues Vertrauen bei den Bürgern werben kann.

Das ist auf lokaler Ebene keine Opposition.

Fraternisierungsverbot aufgehoben

Am Montag, dem 1. Oktober 1945, heute vor 64 Jahren, wurde das “Fraternisierungsverbot” aufgehoben. Seit dem Herbst 1944 galt in Deutschland ein Erlaß der alliierten Heeresführung, der das Fraternisierungsverbot regelte, das Gebot der Nichtverbrüderung: “Nichtverbrüderung ist die Vermeidung des Zusammentreffens mit Deutschen auf der Grundlage von Freundlichkeit, Vertrautheit oder Intimität – ob individuell oder in Gruppen, im offiziellen oder inoffiziellen Umgang.” Konkret bedeutete dies, daß alliierte Soldaten Deutschen nicht die Hände schütteln, keinen Sport gemeinsam mit Deutschen betreiben, nicht mit ihnen tanzen, natürlich Deutsche nicht heiraten durften; der Besuch deutscher Gaststätten oder Hotels, generell von Häusern von Deutschen war verboten, die Soldaten durften keine Geschenke annehmen oder austeilen, kurzum: alle freundlichen oder gar freundschaftlichen Kontakte waren untersagt.

Der Grund für diesen Erlaß: Man befürchtete deutsche Sabotageakte, womöglich sogar das Entstehen einer deutschen Untergrundbewegung, und die soziale Ächtung sollte den Deutschen klar machen, daß sie mitverantwortlich waren für Krieg und Kriegsverbrechen. Soldaten, die dennoch mit Deutschen fraternisierten, konnten mit Geld- oder Arreststrafen belegt werden. Gleichwohl: Das Fraternisierungsverbot funktionierte niemals wirklich umfassend und als die Verstöße immer zahlreicher wurden, so zahlreich, daß sie weder kontrolliert, noch sanktioniert werden konnten, lockerte die Armeeführung das Verbot und hob es am 1. Oktober 1945 vollends auf.