Schlagwort: Robert Misik

Extrem bunt, vielstimmig, heterogen

Vielleicht sollte ich daher einmal klären, was ich meine, wenn ich von »den Linken im weitesten Sinne« spreche: Leute, die aus einer gewissen Grundüberzeugung heraus linke Parteien wählen, seien das Sozialdemokraten, Grüne, andere »linkere« Linksparteien; Leute, die sich für eine solidarische Gesellschaft einsetzen, seien das Elterninitiativen, die etwas für gleichberechtigte Bildung tun, oder auch christliche Caritas-Funktionäre, die Flüchtlingen helfen; Antifa-Demonstranten genauso wie viele Gewerkschaftsvertrauensleute im Betrieb; Leute, die alle paar Jahre an einer Demonstration teilnehmen genauso wie Leute, die das jede Woche tun; Leute, die für die Freiheit der Kunst sind und gegen einen Konformitätszwang, die glauben, dass Aufklärung etwas bewirken kann, die Internationalität jedenfalls anziehender finden als Nationalismus und Rassismus, und die im Allgemeinen finden, dass Geld und Karriere nicht das Wichtigste im Leben sind und dass in einer guten Gesellschaft jeder und jede das Recht und die Chance haben sollte, seine Talente zu entwickeln; Leute, die sich über einen Wahlsieg eines schwarzen Demokraten bei den US-Präsidentschaftswahlen mehr freuen als über den Wahlsieg eines rassistischen Republikaners und Leute, die Sexismus für ein tatsächliches Problem halten und nicht nur für eine Erfindung von Emanzen im »Genderwahn«, wie das die Nichtlinken nennen würden. Kurzum: Dazu gehören für mich »linkere« und politisch entschiedene Linke genauso wie Normalos aus der Mitte, die etwas links »ticken«. Diese Linke ist natürlich extrem bunt und heterogen und man wird zu jeder Frage genügend Leute finden, die in wichtigen Details unterschiedlicher Meinung sind –aber es gibt auch genügend Überzeugungen, die von einer überwältigenden Mehrheit dieser vielstimmigen Linken geteilt werden; ehrlich gesagt denke ich, dass die überwiegende Mehrheit bei sehr vielen Themen verblüffend ähnliche Meinungen äußern würde, wenn wir sie dazu brächten, einmal gemeinsam darüber zu reden.

Robert Misik, Was Linke denken

Mit Fragen leben

“Ihr habt mit Gewissheiten gelebt«, wann immer sie diesen Satz höre, denke sie, »was für ein Unsinn«, schreibt die legendäre italienische Kommunistin Rossana Rossanda in ihren Lebenserinnerungen. Das Gegenteil sei wahr gewesen: »Wir haben mit Fragen gelebt.« Soll heißen: Die Welt änderte sich ständig und stets war unklar, ob bisherige Analysen nicht über den Haufen geworfen werden mussten. Linkes Denken war niemals fix, sondern stets auf schwankendem Boden.

Robert Misik, Was Linke denken, Kindle Edition

Tal der Ahnungslosen

Aus dem Tal der Ahnungslosen berichtet Robert Musik in seinem Blog. Darüber, wie hierzulande, im Tal der Ahnungslosen nämlich, über die neue griechische Regierung berichtet wird: mit Desinformation. Einige Auszüge aus dem lesenswerten Beitrag:

Sagen wir es offen und schonungslos: Womöglich ist ja die Eigenart und das Problem der zeitgenössischen Linken, dass sie die Mentalität von Besiegten hat. Mentalität von Besiegten, das heißt, dass man sich nichts zutraut, dass man allenfalls auf kleine Terraingewinne in einem Kampf um die Hegemonie hofft, dass man automatisch davon ausgeht, in einem an sich widrigen Umfeld höchstens das Schlimmste verhindern zu können oder allenfalls ganz kleine Reformschrauben drehen zu können. (…) Lustig finde ich ja, dass Tsipras mit dem Label “linkspopulistisch” belegt wird, weil er nicht den Habitus fader technokratischer Vernunft ausstrahlt, der in den kontinentalen linksliberalen Regierungsmilieus vorherrschend geworden ist. Als wäre das ein Defizit! Wer so schreibt und redet, ist ganz offenkundig unfähig, zu sehen, dass gerade dieses blutleere und schwunglose Technokratentum das Defizit ist, das immer mehr Leuten das Gefühl vermittelt, keine Repräsentanten zu haben. Der grassierende Zorn der einfachen Leute bleibt unrepräsentiert, die AfD darf sich genauso bedienen wie die Islamisten. Was heute schon mit dem Label “linkspopulistisch” diskreditiert wird! Heute gilt man bereits als linkspopulistisch, wenn man nackte Statistiken über die Vermögensverteilung zitiert und offen sagt, welchen Anteil die obersten ein Prozent davon besitzen. Die blanken Statistiken des IWF zu referieren ist heute schon linkspopulistisch. (…) Die Nachwehen des griechischen Wahlganges zeigten, dass Deutschland drauf und dran ist zum Problem in Europa zu werden. Der gesamte deutsche Diskurs von politischer Klasse und medialem Establishment ist hier mittlerweile völlig jenseits der europäischen Normalität. Während alle großen europäischen Medien mit distanzierter, aber gleichzeitig auch interessierter Anteilnahme über die griechische Wende schrieben, dominierte hierzulande der geifernde Hetz-Stil, und zwar nicht nur bei “Bild”, sondern von “Spiegel-Online” über FAZ bis zur SZ. Während hier selbst in linksliberalen Medien ein Zerrbild vom “radikalen Finanzminister” Yanis Varoufakis gezeichnet wurde und ihm uralte und auch noch verfälschte Zitate in den Mund gelegt wurden, musste man schon die New York Times, den Guardian oder auch den erzkonservativen Telegraph lesen, um die Wahrheit zu erfahren: Globaler Ökonomie-Superstar, ein Postkeynsianer, kein Linksradikaler, wird Finanzminister Griechenlands! Der Popstar unter den Ökonomen hängt seine cosy texanische Professur an den Nagel um den härtesten Job der Welt zu übernehmen! Wie spannend! Wie bewundernswert! Aber hierzulande: Ein völlig anderer Spin.