Schlagwort: politische Sprache

Endlich abgeknallt

Da will man doch seinen Ohren nicht trauen. “Ich freue mich darüber, daß es gelungen ist, Bin Laden zu töten.” Diesen Satz  formulierte gestern nicht ein beliebiger Terrorismusexperte oder Journalist, ein Irgendjemand bei einer Straßenbefragung, ein Niemand ohne jede politische Bedeutung. Nein, diesen Satz sprach die Bundeskanzlerin in die Mikrophone der deutschen und der Weltpresse, also ein Verfassungsorgan.  “Heute ist ein guter Tag.” Mit dieser Formulierung assistierte ihr Guido Westerwelle, der Bundesaußenminister, gleichfalls nicht nur Privatperson oder Parteipolitiker, sondern Träger eines in der Verfassung verankerten Amtes. Haben die führenden Politiker wirklich so gar kein Gespür mehr für politische Semantik? Ich freue mich darüber, daß der Terrorist Bin Laden endlich abgeknallt worden ist und deshalb ist heute ein schöner Tag.  Niemand wachen Sinnes, niemand mit intakter politischer Moral wird Sympathien für Bin Laden hegen, hegen können. Das aber gestattet noch keineswegs diese unerhörte Verschluderung der politischen Sprache. Kirchenvertreter haben darauf hingewiesen, daß es kein schöner Tag ist, wenn ein Mensch stirbt.  Man kann und darf und muß womöglich der Hoffnung Ausdruck geben, daß der Terrorismus geschwächt worden ist durch den Tod von Osama Bin Laden. Aber Freude über die Tötung ist etwas anderes. “Die unmittelbare Wirklichkeit des Gedankens ist die Sprache” schrieben einst, 1845, Karl Marx und Friedrich Engels. Jedenfalls Frau Merkel sollte davon schon einmal gehört haben. Wem Marx oder Engels nicht gefallen sollten, dem sei Samuel Johnson empfohlen, englischer Gelehrter, Dichter und Kritiker und nach William Shakespeare der meistzitierte englische Autor: “Die Sprache ist die Kleidung der Gedanken.” Jene, die derart unbedacht formulieren, nehmen zugleich immer die christlich-jüdisch-abendländische Kultur und Geschichte für sich in Anspruch. Das kann aber in diesem Fall kaum mehr sein als das alttestamentarische “Auge um Auge und Zahn um Zahn”. Geistig-politische Wende. Wie armselig.