Schlagwort: Klaus Bresser

Fragen stellen, Zweifel äußern, Widerspruch wagen

Klaus Bresser war zwischen1988 bis 2000 Chefredakteur des Zweiten Deutschen Fernsehens in Mainz. Im Tagesspiegel setzt sich der bald Fünfundsiebzigjährige mit der Glaubwürdigkeit von Politik und Medien auseinander, angestoßen durch den Medienskandal in Großbritannien um den Verleger Rupert Murdoch. Hier ein Ausschnitt.

Nach Umfragen glauben 80 Prozent der Deutschen der Bundesregierung nicht, dass sie die jetzt diskutierten Steuersenkungen auch durchsetzen wird. Als die schwarz-gelbe Koalition den Atomausstieg beschloss, saß das Misstrauen noch tiefer. Deutlich mehr als die Hälfte der Befragten führte den Kurswechsel nicht auf höhere Einsicht, sondern auf die Sorge vor weiteren Wahlniederlagen zurück. Wenn es sich ums Geld dreht, traut eine große Mehrheit den Regierungen in Europa nicht mehr zu, die Euro-Krise bewältigen zu können. Die Politik hat ein Glaubwürdigkeitsproblem wie kaum je zuvor. Die sinkende Wahlbeteiligung ist dafür das eindeutige Indiz. Eine zunehmende Anzahl von Bürgern vertraut den Parteien nicht mehr, will deshalb auch nichts mehr von ihnen wissen.

Welche Rolle spielen die Medien in einer solchen Situation? Können sie etwas tun gegen die wachsende Skepsis in der Bevölkerung? Wir brauchen gewiss keinen Journalismus, der den Politikern mit Zuspruch oder gar Propaganda zu Hilfe eilt. Das würde die eigene Glaubwürdigkeit zunichtemachen.

Wir brauchen ganz im Gegenteil einen Journalismus, der Abstand hält zu den Mächtigen, jene professionelle Distanz wahrt, die Kritik erst möglich macht. Auf kritischen Journalismus kommt es an, auf einen Journalismus, der Fragen stellt, Zweifel äußert und Widerspruch wagt. Damit sich nicht weiter ausbreitet, was die Folge von mangelnder Information und Diskussion, fehlender Kritik und Kontroverse ist: Desinteresse, Vertrauensverlust, Abkehr von der Politik.

Schafft der Journalismus das? Journalisten haben das Richtige vom Falschen, die Spreu vom Weizen zu trennen. Sie sind nicht verpflichtet, den Leuten das zu geben, was ihnen schmeckt. Sie haben zu berichten, was wesentlich, nützlich, im Wortsinn lebenswichtig ist. Sie haben Auskunft darüber zu geben, was passiert in Politik, Kultur, Sport und gerade auch in der Wirtschaft, was also mit den Preisen, den Steuern, den Renten geschieht. Journalismus muss nicht jeder Sensation hinterherhecheln, nicht den Schwachsinn, Schwall und Schrott verbreiten, an den wir uns im Fernsehen und in der Boulevard-Presse zu gewöhnen scheinen.

Die Jagd nach Auflagen und Quoten hat zu einer großen Anzahl von flachen, ja geradezu dämlichen Medienangeboten geführt. Die Gefahr wächst, dass die zunehmende Banalisierung der Massenmedien Wirkungen zeitigt und große Teile des Publikums heruntermanipuliert zu einer stumpfen und dumpfen, an den öffentlichen Dingen uninteressierten Menge.

Können die Medien diese Entwicklung bremsen, womöglich aufhalten? Die rasante Ausbreitung des Internets hat die Zeitungsauflagen und Anzeigenerlöse vieler lokaler und regionaler Blätter und auch die Werbeeinnahmen mancher Sender schrumpfen lassen. Verleger und Senderchefs sparen. Weniger Geld bedeutet aber weniger Zeit für die Recherche, weniger Sorgfalt und Gründlichkeit. Dabei sollte im immer hektischeren Medienbetrieb Entschleunigung das Ziel sein. Genauigkeit muss vor Schnelligkeit gehen. Qualität braucht Zeit. Es muss Medien geben, die sich auf die existenziellen Fragen dieser Welt konzentrieren: Wie leben wir in einer globalen Gesellschaft? Wie reagieren wir auf Hunger und Elend, Unfreiheit und Unterdrückung in Teilen der Erde? Wie sichern wir die überall bedrohten natürlichen Lebensgrundlagen? Wer garantiert uns Wachstum und Wohlstand, wenn die Alten immer mehr werden und die Jungen, die für sie aufkommen müssen, immer weniger?

Für solche Themen wird es ein Publikum geben. Ein Publikum, das interessiert bleibt an der Wahrheit. Ein Publikum, dem wichtig ist, was für alle wichtig ist. Das umfassend und zuverlässig informiert werden möchte. Das die einfachsten Regeln des Anstands, der Achtung von Privatheit und Menschenwürde gewahrt wissen will.