Schlagwort: Hartz IV

Spreng schreibt, was Wulff sich nicht zu sagen traut

“Die Hartz-IV-Empfänger. Wann erweist endlich einmal ein Präsident ihnen Respekt? Respekt vor ihrer Lebensleistung, bevor sie arbeitslos wurden, Respekt vor dem täglichen (Über-) Lebenskampf, Respekt davor, dass sie sich die Finger wundschreiben mit ihren erfolglosen Bewerbungen, Respekt vor ihrer Würde, vor ihren Leistungen bei der Erziehung ihrer Kinder, insbesondere Respekt vor den alleinerziehenden Müttern?” Michael Spreng, konservativer Publizist und Politikberater in seinem Blog Sprengsatz.

“Eiskalter Winter”

Michael Spreng ist Publizist, regelmäßiger TV-Talkshowgast, Medien- und Kommunikationsberater, Konservativer aus Überzeugung, war Journalist unter anderem bei der Welt, der Welt am Sonntag, Bild, Bild am Sonntag und Express sowie Berater von Edmund Stoiber und Jürgen Rüttgers – kurzum: Michael Spreng hat einen famosen konservativen Background. Unter dem Titel “Merkels Zigeuner” hat Spreng seinen jüngsten Sprengsatz gezündet. Im Original, ohne Streichungen oder Kürzungen:

Jetzt scheint auch Angela Merkel ihre Zigeuner gefunden zu haben. Was Nicolas Sarkozy die “Gitans” sind, sind Schwarz-Gelb offenbar die Hartz-IV-Empfänger. Sie werden zwar nicht ausgewiesen, aber abgeschoben – tiefer ins Ghetto der sozial Ausgegrenzten. Das System aber ist dasselbe, wie die provokative 5-Euro-Erhöhung zeigt: man spielt mit den Vorurteilen und Ressentiments gegen Minderheiten, die sich nicht wehren können (die wollen doch gar nicht arbeiten, die leben doch nur auf unsere Kosten), um Stimmen zu gewinnen.

Wie die Umfragen zeigen, funktioniert das: 56 Prozent sind überhaupt gegen eine Hartz-IV-Erhöhung, bei den CDU/CSU-Anhängern sogar 61 Prozent. So werden Vorurteile verfestigt: die machen es sich in “spätrömischer Dekadenz” in der sozialen Hängematte bequem. Das beweist auch der perfide Trick mit der Herausrechnung der 19 Euro für Tabak und Alkohol. Recht so, sagt der Stammtisch beim fünften Bier, die sollen sich nicht auch noch auf Staatskosten besaufen und ihre Lunge verpesten.

Dass der Betrag eine rein statistische Größe ist und von vielen Familien für tausend andere Sachen gebraucht wird als für Bier und Zigaretten, spielt dabei keine Rolle. Der offenbar gewünschte Eindruck bleibt: Schwarz-Gelb macht endlich Schluss mit der Sucht auf Staatskosten.

Es ist ein ziemlich schäbiges Spiel, das da auf dem Rücken der Schwächsten ausgetragen wird. Die meisten von ihnen haben sich die Finger mit Bewerbungen wund geschrieben und würden lieber gestern als heute wieder arbeiten. Nur weil es eine Minderheit gibt, die Hartz IV ausnutzt und nicht arbeiten will, werden die unverschuldet Arbeitslosen und Arbeitssuchenden mit ihnen in einen Topf geworfen. Gleichzeitig werden ihnen mit dem Sparpaket die Beiträge zur Rentenversicherung und das Elterngeld gestrichen. Dabei könnte allein von der Hotelsubvention der Hartz-Regelsatz um weitere 12 Euro aufgestockt werden.

Mit der 5-Euro-Erhöhung wird die Entsolidarisierung der Gesellschaft verschärft. Es ist eine Spekulation auf die Amoralität, wenn Arbeitsplatzbesitzende gegen Arbeitsplatzsuchende ausgespielt werden. Dazu gehört auch die verlogene Argumentation mit dem Lohnabstandsgebot. Wenn die durchschnittlichen Löhne der Geringverdiener kaum zum Leben reichen, ist es unmoralisch, sie als Maßstab und Argument dafür heranzuziehen, dass Hartz IV nicht weiter steigen darf. Wer für 5 Euro die Stunde arbeiten muss, soll in Stellung gebracht werden gegen diejenigen, die jetzt nur 5 Euro im Monat mehr bekommen.

Es ist erschreckend, dass eine sich christlich nennende Partei versucht, auf diese Weise Wähler zu gewinnen. Früher galt es in der CDU und CSU noch als selbstverständlich, dass sich der Wert einer Gesellschaft am Umgang mit ihren Schwächsten beweist.

Merkels “Herbst der Entscheidungen” ist ein eiskalter Winter.

Fastenzeit

Die FDP legt nach. Der Aschermittwochskrawall geht auch in der Fastenzeit weiter. “Der Wohlfahrtsstaat hat Eigenverantwortung entbehrlich gemacht, Aufstiegswillen gebremst und Mitmenschlichkeit durch anonyme Rechtsansprüche ersetzt – und damit Mentalitäten geprägt. “So Christian Lindner, Generalsekretär der FDP. Wo hat der Wohlfahrtsstaat Eigenverantwortung entbehrlich gemacht? Ist Deutschland ein Land von Schmarotzern, die nur im Sinn haben, andere für sich selbst aufkommen lassen? Wen meint Lindner eigentlich mit seiner infamen Äußerung? Wessen Aufstiegswille ist durch den Wohlfahrtsstaat gebremst worden? Zudem: Was nutzt eigentlich der bestentwickelte Aufstiegswille, wenn die Arbeitsplätze fehlen und Ausbildungsmöglichkeiten, wenn das Bildungssystem versagt? Nicht nur Hartz IV-Empfänger, auch junge Menschen mit ordentlicher Berufsausbildung,  gut ausgebildete Akademiker, Juristen, Ingenieure, Sozialwissenschaftler, finden oftmals keine angemessene Stelle, hangeln sich von Praktikum zu Praktikum, suchen unentwegt, aber finden nichts. Eine Folge des Wohlfahrtsstaates? Mitmenschlichkeit wird ersetzt durch anonyme Rechtsansprüche. Was will uns der gute Christian Lindner mit dieser Formulierung eigentlich sagen? Wessen Mitmenschlichkeit ist durch die Rechtsansprüche ersetzt worden? Welches Bild hat Christian Lindner denn im Kopf, wenn er solchen Nonsens schreibt? Soll der “anonyme” Rechtsanspruch auf Hilfe etwa durch die milde Gabe Vermögender ersetzt werden? Der Wohlfahrtsstaat hat Mentalitäten geprägt. Welche? Und wessen Mentalitäten? Ich fürchte vor allem die Mentalität der windschnittigen Ellbogenfighter. Denn der FDP-Wirtschaftspolitiker Martin Lindner sagt konkreter, um was es der FDP geht: „Das Verfassungsgericht hat uns die Aufgabe gestellt, die Hartz-IV-Sätze nachvollziehbar neu zu berechnen. Wir führen in der FDP-Fraktion die Diskussion, wie wir dabei die Anreize, in Arbeit zu kommen, stärken.“ Man wolle „Aufstockern ermöglichen, mehr hinzuzuverdienen. Dabei wird auch darüber zu sprechen sein, ob man nicht im Gegenzug die Regelsätze absenken muss, damit Vollbeschäftigte besser dastehen als Teilzeitjobber“, sagte der FDP-Abgeordnete. Aha. Damit ist die Katze endlich aus dem Sack. Die FDP will kürzen. Partout. Bedürftige sollen nicht nur in der Fastenzeit fasten.

Anstrengungslose Dekadenz und spätrömischer Wohlstand

Da haben wir sie, die geistig-politische Wende à la Guido: “Wer dem Volk anstrengungslosen Wohlstand verspricht, lädt zu spätrömischer Dekadenz ein.” Nein, nein, unser Außenminister und größter Historiker aller Zeiten meint natürlich nicht den anstrengungslosen Wohlstand durch Steuerhinterziehung und Schwarzgeld-Konten in Bern oder Vaduz. Das wäre womöglich die passende Analogie. Denn neben dem Druck anderer Völker war es vor allem die Dekadenz der römischen Elite, ihre Verfaultheit und Korruptheit, ihre Prunksucht und maßlose Gier, die dem römischen Reich den Garaus machte. Aber Wendeexperte Guido meint eben nicht Bänker und Finanzjongleure, Steuerhinterzieher oder leistungslose Prasser samt ihrer neoliberalen Apologeten, sondern jene, die jetzt höhere Hartz-IV-Sätze fordern. Ein schamloses Argument und ein schamloser Mann. Spiegel-Online: “Eine historisch unhaltbare, perfide, aus rein politischem Kalkül betriebene Beleidigung des schwächsten Teils der deutschen Bevölkerung. (…) Guido der Seher hätte also von materieller Dekadenz in Deutschland sprechen können, über die Banker zum Beispiel, die nach einer Krise, an deren Folgen die ganze Welt leidet und die sie maßgeblich verantwortet haben, nun fette Boni einstreichen. Und er könnte – ohne dem Stammtisch das Wort zu reden – auch vom lebensfernen Dasein der Berliner Classe Politique berichten, von fahrbereitschaftlich zur Verfügung gestellten Luxuskarossen, von Empfängen und Anlässen, bei denen Büffets aufgetürmt sind, so reichlich bestückt, das noch jedem Hartz-IV-Empfänger der Magen übergehen würde. Aber Westerwelle ist Chef einer Partei der Besserverdienenden, einer Elitenpartei. Und einer FDP, die – und hierin steckt womöglich der größte Affront – derzeit zumindest nach außen hin als intellektuell verkommen erscheint. Sie betet den Liberalismus als Glaubensbekenntnis herunter, nur um gleichzeitig ihrer Klientel großzügige Staatsgeschenke zu überreichen, die jeder liberalen Marktlogik widersprechen.” Die einst große FDP, die eine Idee vom bürgerlichen Zusammenhalt hatte unter Walter Scheel und Karl-Hermann Flach, unter  Gerhard Baum oder Wolfgang Mischnik, unter Irmgard Schwaetzer oder Günter Verheugen, diese FDP ist heute verkommen, wenn Guido Westerwelle Maßstab für die ganze Partei ist. Kein Begriff vom Gemeinwesen, keine Idee vom Gemeinwohl. Partikularinteressen, Klientelpolitik, die ganze Breite des politischen Spektrums zusammengeschrumpft auf das Mantra der Steuersenkung. Weiterlesen

Entreicherung

“Von einer Entreicherung spricht man im Bereicherungsrecht, wenn jemand durch das Etwas, das er erlangt hat, nicht mehr bereichert ist, mit der Folge, dass er auch den Wert der Bereicherung nicht herausgeben muss (§ 818 Abs. 3 BGB). Entreicherung liegt nur vor, wenn sich das Erlangte oder ein Wertersatz nicht mehr im Vermögen befinden und der Bereicherte durch die Weggabe des Erlangten sich auch keine Aufwendungen erspart hat.” So ein Rechtslexikon im Internet. Interessant, was in Juristensprache so alles formuliert werden kann. Gleichwohl: Dieser Grundsatz der Entreicherung könnte, wie Spiegel-Online meldet, für viele Hartz-IV-Haushalte das Argument sein, das in vielen Fällen von der Arbeitsverwaltung zuviel gezahlte Kindergeld nicht zurückzahlen zu müssen. Zur Erinnerung: Die Arbeitsverwaltung hat das um 20 Euro erhöhte Kindergeld auch etwa einer Million Hartz IV-Empfängern ausgezahlt, denen es nach dem Buchstaben des Wachstumsbeschleunigungsgesetzes nicht zusteht. Die Folge des Rechtsgrundsatzes der Entreicherung: “Wer das Geld nicht mehr hat und drauf vertraut hat, dass es seines war, der muss nicht zurückzahlen.” Wie nennt man sowas? Ein Eigentor, ein juristisches.

Brutalstmöglich unanständig

“Es ist schon fast unanständig.” So zitiert der Spiegel den DGB-Vorsitzenden, Michael Sommer. Es geht, mal wieder, um Roland Koch. Der CDU-Experte für Polarisierung und Schmähung sowie für jüdische Vermächtnisse hatte gefordert, daß jedem, der Sozialleistungen beziehe, abverlangt werden müsse, einer Beschäftigung nachzugehen. Das schließe auch “niederwertige Arbeit” ein. Niemand dürfe das Leben von Hartz IV als angenehme Variante ansehen. Nein, Kollege Sommer, das ist unanständig, brutalstmöglich unanständig.

SPD als Partei des moralisch sensiblen Bürgertums

Heinz Bude, 55, Professor für Soziologie an der Universität Kassel, äußert sich heute in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung über die Zukunft der SPD.

Die SPD habe einen Verhinderungswahlkampf betrieben und dafür geworben, zu etwas “nein” zu sagen, wobei unklar blieb, zu was sie eigentlich “ja” sagt. Gerhard Schröder sei 1998 mit der Formel angetreten: Wir brauchen soziale Gerechtigkeit plus gesellschaftliche Innovation. Das war, so Bude, deshalb für die SPD eine sehr gute Formel, weil sie die soziale Gerechtigkeit immer an einem Gegenbegriff messen konnte. Problematisch werde es nun, wenn diese Gegenbegrifflichkeit auseinanderfalle. Die soziale Gerechtigkeit bleibe übrig, nur fehle der Kontrollbegriff, von dem aus man fragen könne: Ist das wichtig für das gesellschaftliche Ganze, müssen wir nicht auch andere Dinge berücksichtigen? Das sei für die SPD vor allem deshalb problematisch, weil ein Überbietungswettbewerb mit der Linken ins Haus stehe. Mit Gerhard Schröder habe die SPD immerhin elf Prozentpunkte mehr als jetzt erhalten. Jetzt müsse die SPD den Begriff der sozialen Gerechtigkeit neu und richtig besetzen. Die Stärkung sozialer Teilhabe heiße mehr als weg mit Hartz IV. Natürlich müsse die SPD klarstellen, wer die Zeche der Krise zu zahlen hat. Was sie aber nicht darf: Eine ihrer Erfolgsgeschichten dementieren.

Die Sozialdemokratie müsse sich auf bestimmte Zielgruppen orientieren, die Milieus der moralischen und sozialen Integrität unserer Gesellschaft, die höhergebildeten und erfolgreichen Frauen, aber natürlich auch die Facharbeiterschaft in der exportorientierten Produktivitätsökonomie und die Leute, die im erweiterten Bereich des öffentlichen Dienstes bemerken, dass es mittlerweile auch ein Feld gesellschaftlicher Prekariarisierung geworden ist. “Die SPD ist im Grunde die Partei des moralisch sensiblen Bürgertums”, so Bude wörtlich.

Die SPD müsse die Partei der Moral und des Realismus sein. In der Gesellschaft gebe es ohnehin eine eher positive Stimmung zu Hartz IV, zumindest was seine Grundidee betrifft – aber auch zu Recht Kritik, wenn es um Kontrolle, Gängelung und Härtefälle geht. Man müsse an Details wie dem Schonvermögen etwas ändern.

Die SPD müsse ihr linkes Profil stärken, ohne die Mitte aufzugeben. Die Definition dessen, was “links” ist, dürfe sie nicht der Linkspartei überlassen. Souverän und glaubhaft solle sie festlegen: Wo wir sind, ist links.