Schlagwort: Die Zeit

Von der Betriebstemperatur der Demokratie

Ja, die Demokratie mag Fehler haben. Aber unter allen politischen Systemen ist sie dasjenige, das durch interne Kritik stärker werden kann, nicht schwächer. Nur, je komplizierter Demokratie wird, desto genauer muss die Kritik ausfallen. So wie sich heute kein Automotor mehr mit Werkzeug aus den 1960er Jahren reparieren lässt, so wenig Hebelkraft bietet die System-Sicherheit von einst gegen die Verunsicherung von heute.

Dabei ließe sich eines durchaus vom Gestern lernen: Die Demokratie braucht eine gewisse Betriebstemperatur, damit sie flüssig bleibt. Nicht jeder Zweifler verdient es, zum Ketzer stilisiert zu werden. Und nicht jeder Ketzer gehört verbrannt. Kann dieses Land zum Beispiel nicht ganz froh sein, dass Angela Merkel in Horst Seehofer einen zuverlässigen Widersacher hat, selbst wenn der Stil bisweilen nervt? Wer jede Meinungsverschiedenheit zur Störung des politischen Friedens aufmotzt, muss sich nicht wundern, wenn die Wähler gegen genau diesen Frieden rebellieren. Demokratie lebt vom Zweifel. Zu wenige Zweifel in ihr führen deshalb dazu, dass zu viele Zweifel an ihr wachsen.

Jochen Bittner, Demokratie. Läuft ihre Zeit ab?, in: Die Zeit, Vierundzwanzig / Zweitausendsechzehn vom zweiten Juni

Unser Sexmob

Allgemeine Ansicht: Es müsse im Umgang mit Ausländerkriminalität endlich Ehrlichkeit her. Der Kolumnist unterstützt das ausdrücklich. Eine aufgeklärte Gesellschaft kann nicht hinnehmen, dass Jahr um Jahr wider jede Evidenz behauptet wird, man wisse leider immer noch nicht, ob der internationale Leistungssport aus kriminell organisierten Kartellen bestehe, man habe leider noch nicht herausfinden können, welche ausländischen Mitarbeiter der Deutschen Bank dem deutschen Rentner in spe ein Drittel seiner Altersvorsorge unter dem Sofakissen weggezogen haben, und es sei völlig ungeklärt, ob der ausländische Pharmakonzern Pfizer das ihm hierzulande gewährte Gastrecht dazu missbraucht habe, 100.000 deutsche Ärzte zu bestechen, 250 Krankenkassen zu betrügen und fünf Millionen deutsche Frauen an ihrer Gesundheit zu beschädigen. Deshalb kann man den Führern unserer großen deutschen Parteien einfach nur recht geben: Schluss mit der politisch motivierten Schonung von Ausländern! Knallharte Verfolgung nordamerikanischer Verbrecher, die das Gastrecht in Ramstein missbrauchen! Konsequente Ermittlung gegen ausländische Täter, die gegen Recht und Gesetz die Telekommunikation deutscher Frauen abhören! Sofortige Entlassung der Innen- und Justizminister, die es aus politischer Opportunität unterlassen haben, mit der ganzen Härte des Rechtsstaats gegen die Taten von Ausländern einzuschreiten, die von deutschem Boden aus menschenrechtswidrige Entführungen oder Folterungen organisierten, anordneten oder durchführten!

Thomas Fischer, Unser Sexmob, Kolumne in:  ZEIT vom zwölften Januar Zweitausenundsechzehn. Thomas Fischer ist Bundesrichter in Karlsruhe und schreibt für Zeit und ZEIT ONLINE über Rechtsfragen.