Schlagwort: Das Wort zum Sonntag

Benedikt Welter: Europa – “Weites Gesicht”

Gestern habe ich, eigentlich zufällig, nach einiger Zeit mal wieder das allsamstägliche „Wort zum Sonntag“ der ARD, des ersten Programms, gesehen oder besser: gehört. Mehr gehört als gesehen. Und es hat mich mal wieder, wie schon einige Male zuvor, überrascht, wie sehr weltlich dieses geistliche Wort am Samstag vor dem Abendkrimi doch mitunter ist, wie sehr sich diese Kurzpredigt aktuell-politisch-gesellschaftlicher Themen annimmt. Der Saarbrückener Pfarrer Benedikt Welter ist relativ neu als katholischer Sprecher beim „Wort zum Sonntag“. Und mich hat er beeindruckt. Weil er beim Namen nennt, was Politiker derzeit anrichten, Selbstzerstörung. Weil er sein Gefühl nicht verbirgt, Ekel, wenn Politik mit Schaum vor dem Mund betrieben wird, weil er die Menschenwürde vor populistische Irrationalität stellt:

„Einen guten späten Abend, verehrte Damen und Herren.

Wieder ist ein Mythos hinüber: der von einem hübschen weißen Stier, der eine wunderschöne Frau durchs Meer trägt. Und dem Kontinent den Namen dieser Frau gibt: euros-pä, übersetzt “weites Gesicht”. Das ist der Name für Europa. Der zahme Stier ist Zeus; er und die ganze Götterwelt sind schon längst zerlegt; und jetzt geht die schöne Frau Europa sich selbst an den Kragen. Tatsächlich – es ist ein trauriges Schauspiel; es bereitet mir ganz große Sorge, ja, fast schon Angst: Europas Selbstzerstörung auf der politischen Bühne. Stiere sind da ziemlich viele unterwegs – aber es ist kein hübscher zahmer dabei, dem Frau Europa sich anvertrauen könnte. Vielmehr wird da mit ganz viel Schaum vor dem Mund durch Europa gesabbert. Eklig.

Von wegen: “Europa” und “Weites Gesicht”. Die kurzsichtige eigene Meinung wird zum Motor der Selbstzerstörung; sie zerstört mehr als einen Mythos. Sie bedroht ein Wunder, nämlich die politische Idee, dass nach dem Blut und Wahnsinn des Zweiten Weltkrieges eine neue Wirklichkeit für eine Menschenzukunft entstehen könnte. Angesichts des Dramas auf offener politischer Bühne möchte ich an Thomas Mann erinnern. Der hat schon 1943 gesagt: “Es ist ein entsetzliches Schauspiel, wenn Irrationalität populär wird.” Irrational ist nicht der alte Mythos von einem Kontinent Europa mit einem “weiten Gesicht”; irrational ist die Kurzsichtigkeit von – immerhin gewählten – Staatsmännern, die das Wort “Mensch” nicht mehr für alle Menschen verwenden, sondern nur noch für ihre eigenen Leute. Dem Menschen wurde auf dem Boden dieses Kontinents Europa einmal Menschenrecht und Menschen-Würde zugesprochen.

Etwas, über das jeder und jede verfügt; universell, unveräußerlich und unteilbar. “Es ist ein entsetzliches Schauspiel, wenn Irrationalität populär wird”: das haben wir die Woche gesehen. Fast wäre aus einem Schiff mit Namen ” Lifeline” eine “Deadline” geworden, weil Staatenlenker über aus Seenot gerettete Menschen ihre Politwürfel werfen. Gruselig. Wer kann diesem entsetzlichen Schauspiel aus populärer Irrationalität ein Ende setzen – und wie? Nicht eine alte griechische Mythologie; aber vielleicht ein Bild, das Papst Franziskus in seiner Rede vor dem Europäischen Parlament 2014 ausgemalt hat: Er spricht von einem Wandgemälde im Vatikan. Das Fresko von Raffael zeigt die sogenannte Schule von Athen.

Der Philosoph Platon deutet mit dem Finger nach oben, zur Welt der Ideen, zum Himmel, könnten wir sagen; sein Schüler Aristoteles streckt die Hand nach vorne aus, auf den Betrachter zu, zur Erde, zur konkreten Wirklichkeit. “Das scheint mir ein Bild zu sein”, sagt der Papst, “das Europa und seine Geschichte gut beschreibt; eine fortwährende Begegnung zwischen Himmel und Erde; wobei der Himmel die Öffnung … zu Gott beschreibt, die den europäischen Menschen immer gekennzeichnet hat; und die Erde stellt seine praktische und konkrete Fähigkeit dar, Situationen und Probleme anzugehen. Europas Zukunft hängt davon ab, dass wir die lebendige und untrennbare Verknüpfung dieser beiden Elemente wiederentdecken”. Dafür will ich mich engagieren – und gegen die populären Irrationalen dieser Tage und Wochen. Weil ich an das Wunder Europa glaube und an das Wort “Mensch”. Denn der Vorhang für das derzeitige traurige Schauspiel muss fallen. Sonst würde es heißen: Gute Nacht Europa!

Ihnen wünsche ich eine wirklich gute Nacht und einen gesegneten Sonntag.“

 

Das Wort zum Sonntag: “Welt gewinnen – Seele verlieren”

Pastor Alfred Buß hat es gesprochen, gerade eben, das allsamstägliche Wort zum Sonntag in der ARD. Um Olympia ging’s, um den Fisch, der vom Kopf her stinkt. Darum, wie man seine Seele verkauft, weil die Spiele ausgeliefert werden. An Politik, an nationale Interessen, an den Kommerz.

Seit Melbourne 1956 bin ich dabei, erst am Radio, bald am Fernseher, nicht selten ging’s bis in die Nacht. Nun geht Olympia 2016 in die Schlusskurve. Mit spannenden Entscheidungen in Staffelläufen, Endspielen und vielem mehr. Gleich Fußball Brasilien – Deutschland. Großartig ist die olympische Idee: Rivalitäten austragen in sportlich-fairem Wettstreit, im Geiste von Völkerverständigung und Toleranz. Doch spätestens mit Rio wurde mir klar: Wer das noch so glaubt, der muss selber gedopt sein. Meine Begeisterung bekam einen deutlichen Knacks. Die olympischen Idee hat ihre Seele verloren. Viele Illusionen sind ja schon lange geplatzt. Dabeisein ist längst nicht mehr alles. Die olympischen Sportler stehen unter erheblichem Druck. Nur wer erfolgreich ist, wird oben bleiben und großes Geld verdienen. Schon wer Vierter wird, erringt nur die “Holzmedaille”. Schon immer wird Olympia von der Politik vereinnahmt. Und auch Doping verzerrt die sportliche Fairness schon lange. Doch schienen das alles hereingetragene Probleme zu sein, die in Gegensatz standen zur olympischen Idee und ihrem Regelwerk. Aber jetzt stinkt der Fisch vom Kopf her: Doping ist für das IOC – und seinen Präsidenten Bach – offenbar zur lässlichen Sünde geworden. Ausgeschlossen von Olympia aber wurde Julia Stepanowa, die offenlegte, wie Staatsdoping geht. Ausgeschlossen wegen angeblicher ethischer Defizite. Der größte Verstoß gegen die olympische Idee ist jetzt wohl Zivilcourage. Die Botschaft an die Olympioniken ist klar: Klappe halten – oder ihr fliegt raus. Was hülfe es dem Menschen – so fragte Jesus, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme doch Schaden an seiner Seele? The show must go on. Für Rio 2016 wurden Zig-Tausende aus ihren Hütten vertrieben. Favelas mussten weichen. Brasilien bezahlt die Party aus Steuergeldern, den Gewinn aber streicht nicht das brasilianische Volk – den streichen andere ein. Die olympische Idee hat ihre Seele preisgegeben. Sie wurde verkauft. Die Welt gewinnen – aber die Seele verlieren. Das ist der Knackpunkt. 1960 in Rom gewann ein 18-jähriger die Goldmedaille – als Boxer im Halbschwergewicht. An ihn will ich erinnern. Der weigerte sich, seine Seele preiszugeben. Wurde Boxweltmeister. Legte seinen Namen ab, der aus der Sklavenzeit kam. Wurde Muslim. Nannte sich Muhammad Ali. Verweigerte den Kriegsdienst in Vietnam. Verlor daraufhin die Box-Lizenz und alle Titel. Sollte gar ins Gefängnis. Und blieb doch unbeirrbar im Einsatz für Menschen- und Bürgerrechte. Als er jetzt im Juni starb, verneigte sich die Welt vor ihm. Zehntausende säumten die Straßen von Louisville, als sein Leichnam durch seine Heimatstadt gefahren wurde. Die Menschen spürten: Hier hatte sich einer geweigert, seine Seele preiszugeben, zeitlebens. Auch Jesus hatte wohl seine Freude an ihm. Was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme doch Schaden an seiner Seele? Vergessen wir diese Frage Jesu nicht. Erst recht nicht, wenn es heute und morgen noch die letzten Medaillen regnet.

Gutmenschen, eine Gardinenpredigt

Ich muß gestehen, daß ich nur selten das Wort zum Sonntag sehe. Ja, das Wort zum Sonntag, das allwöchentlich am Samstagabend in der ARD zu sehen ist, nach Krimi oder Unterhaltungsshow. Eine kurze Fernsehpredigt, evangelisch, katholisch, weltlich. Gestern mal wieder. Zum vermeintlichen Unwort des Jahres. Eine Gardinenpredigt. Gehalten von der Pastorin Annette Behnken.

Wenn man das Unwort des Jahres ernst nimmt, dann bin ich jetzt offiziell ein bisschen bescheuert. Das Unwort des Jahres ist Gutmensch. Gutmensch wird benutzt, um Menschen, die sich für andere einsetzen als naiv und dumm hinzustellen. Wer noch an etwas glaubt, wer hilfsbereit und tolerant ist, sieht angeblich die Realität nicht. Ich sehe das ganz anders: Gutmenschen sind keine Träumer, sie stehen mit beiden Beinen in der Realität, aber gehen anders mit ihr um. Und genau die brauchen wir: Viele Gutmenschen. Weil gerade viel auf dem Spiel steht. Wir haben Angst und Sorge und Wut. Nach dem Anschlag von Istanbul. Und, auch wenn es etwas ganz anderes ist, nach den Übergriffen von Köln. Die Rufe nach schnellen Lösungen werden lauter. Lösungen, die aus Angst und Wut geboren werden. Wenn wir straffällige Migranten und Asylbewerber ohne gerichtliche Prozesse ausweisen, dann lösen wir damit die Probleme nicht, wir schieben sie nur weg von uns und verabschieden uns gleichzeitig von den Prinzipien unseres Rechtsstaates. Und ich halte es auch für eine Illusion, zu meinen, wenn wir alle fremden Menschen an unseren Grenzen stoppen, dann wäre die Welt wieder in Ordnung. Nichts wäre in Ordnung. Ausgrenzen und abschotten ist nur scheinbar eine Lösung, schnell und oberflächlich. Vor zunehmendem Hass und sinnloser Gewalt schützt das nicht. Im Gegenteil. Es ist der Abschied von den humanitären Werten, von der Menschlichkeit, die die Basis unserer Gesellschaft ist. Wir suchen nach Antworten. Und die liegen nicht auf der Hand. Auf der Suche nach Lösungen brauchen wir Mut, offen zu reden, uns auch zu streiten. Und wir brauchen Geduld. Hass ist nicht mal eben und schon gar nicht militärisch zu besiegen. Hass schleicht sich durch alle Absperrungen und Grenzen. “Tut Gutes denen, die Euch hassen” Ein altes Wort, eine uralte Haltung. Von einem “Gutmenschen” namens Jesus. Das ist Irrsinn eigentlich angesichts der Bedrohung durch Terrorismus. Und klingt ungeheuer naiv angesichts des menschenverachtenden Fanatismus. Aber trotzdem: Ich bin überzeugt davon, dass es nur so gehen kann: Tut Gutes denen, die Euch hassen. Wir müssen uns schützen – das ist klar. Wer Unrecht verhindern kann, muss das tun. Und die Straftaten von Köln müssen verfolgt werden, das ist auch klar. Mit den Mitteln, die wir jetzt schon haben, mit den Mitteln des Rechtsstaates. Wenn wir uns dabei aber von unseren humanitären Werten verabschieden, dann hat der Terror gewonnen. Es ist eine Bewährungsprobe unserer Werte. Und deshalb brauchen wir Gutmenschen. Mutige Gutmenschen, die natürlich auch Angst haben und Wut. Aber sie geben der Angst und Wut nicht die Macht, sie lassen sich davon nicht leiten. Und geben nicht auf: “Tut Gutes denen, die Euch hassen”. Widerstand von mutigen Gutmenschen. Das halte ich für das Gebot der Stunde.