Schlagwort: Angst

Carolin Emcke: Angst und Zorn

Zur Angst gesellt sich bald der Zorn. Aber das macht es nicht besser. Zorn auf die salafistischen Ideologen, die diese Erzählung aus Tod und Zerstörung so metaphysisch überhöht haben, dass junge Menschen an sie glauben (oder glauben wollen), auf die dschihadistischen Rekrutierer, die mit ihren Filmen, ihrer Poesie, ihrer Ansprache, ihrem Geld tatsächlich junge Europäer anlocken und aufs Töten programmieren, Zorn auf diejenigen, die ihnen folgen, die eine freie Gesellschaft offensichtlich überfordert, in der sie selbst darüber nachdenken müssen, wie sie leben wollen, die eine machistische Ordnung der Gewalt für einen Ausweg aus ihrem trostlosen und anscheinend sexfreien Leben halten, überhaupt: Zorn auf dieses ekelerregende Phantasma der wartenden Jungfrauen als Belohnung fürs Morden (als sei eine Frau ein militärischer Orden, der ans Revers geheftet wird), Zorn auch auf die hofierten Höfe in Saudi-Arabien oder Katar, die zugelassen haben, was sich nun weltweit entlädt, Zorn schließlich auch auf den Beitrag, den unsere eigenen Gesellschaften dazu geleistet haben, dass es im Leben dieser Menschen ein soziales Vakuum gibt, in das sich die Ideologen einnisten können. Aber im Zorn wie in der Angst erfüllt sich nur die Absicht des Terrors. Und wer will schon zu dem deformiert werden, was Terroristen wollen, das man sei? Zorn wie Angst beschädigen jeden. Sie rauben einem die Mündigkeit, frei zu denken und zu leben. Im Zorn wie in der Angst werden wir den Terroristen nur ähnlicher. Zorn wie Angst unterwandern unser Vertrauen in andere, ohne das eine Gesellschaft nicht existieren kann. Es lässt sich nicht leben in einer Welt, in der permanent misstraut wird, in der permanent damit gerechnet wird, belogen oder verletzt zu werden. “Wenn man sich nicht darauf verlassen kann, dass der andere einen nicht umbringt”, schrieb der britische Philosoph Bernard Williams in “Wahrheit und Wahrhaftigkeit”, “kann man sich erst recht nicht darauf verlassen, dass er sein Wort hält.” Vielleicht ist es das, was ich mir am wenigsten nehmen lassen will: das Vertrauen in andere. Die grundsätzliche Unterstellung, dass mich der oder die andere nicht verachtet, nicht missbraucht, nicht verletzt. (…) Die historische Erfahrung des Terrors lehrt, dass die Gewalt erst dann nachlässt, wenn es keine Claqueure mehr gibt, wenn das geifernde, applaudierende Publikum verstummt. Erst wenn es keine Anerkennung mehr gibt für die Gewalt, keinen obszönen Ruhm, wenn der Terror nicht mehr als Eintrittskarte zu einer Gemeinschaft funktioniert, wird der Sog nachlassen. Erst wenn die Sympathisanten der Gewalt ihren Zuspruch verweigern, verliert sie auch ihre symbolische Macht. Dazu gehört auch, dass diejenigen, die von Muslimen nichts anderes als Terror erwarten, sich befragen, wozu ihr Generalverdacht führt. Die Missachtung von Muslimen im Kollektiv fördert eben jene soziale Ausgrenzung, derer sich die Radikalen anschließend bedienen. Insofern wird es auch darauf ankommen, ob wir in Europa es schaffen, die attraktivere Erzählung, die inklusivere Gemeinschaft, die sinnvollere Utopie, das gerechtere, gute Leben anzubieten. Wem sein eigenes Leben wertvoll ist, der wird es nicht mordend wegwerfen wollen.

Carolin Emcke, Kolumne: Angst, in: Süddeutsche Zeitung vom sechsundzwanzigsten März Zweitausendsechzehn

Furcht und Angst

Furcht empfinden wir vor einer akuten Bedrohung, vor etwas, was da ist. Angst empfinden wir vor einer möglichen Bedrohung, vor etwas, was nicht da ist, aber da sein könnte. Furcht bezieht sich auf ein reales Objekt. Angst ist ein unbestimmter, deswegen nicht weniger realer psychischer Zustand; sozusagen eine Erregtheit auf der Suche nach ihrem Erreger. (…)
Angst macht bekanntlich unfrei. Sie richtet uns ab zu kollektiver Zwangswahrnehmung. Zum Wir-ihr-Denken. Zu einer Mobifizierung der Politik. Das wissen auch die, die uns Angst einreden wollen. Ihre narrative Wühlarbeit zersetzt die Res publica wie die Terrorattacken. Vermutlich sogar wirksamer. Wenn das Mögliche ungeheuer ist, könnte es also von Vorteil sein, dass wir das Sensorium für das Wirkliche nicht verlieren. Und das heisst unter anderem, dass wir den wieseligen Angstkonditionierern in Politik und Medien genauer aufs Maul schauen müssen.

 

Eduard Kaeser, geboren 1948 in Bern, ist Physiker und promovierter Philosoph. Er ist als Lehrer, freier Publizist und Jazzmusiker tätig. In der Neuen Zürcher Zeitung von heute hat er diesen Beitrag unter dem Titel: Zur Angst abgerichtet veröffentlicht.

Apokalyptisches Spießertum

Das deutsche Hirn ist besonders von Angst geprägt. Das hat auch mit der deutschen Geschichte zu tun, die ja tatsächlich einen tiefen Zivilisationsbruch aufweist. In einer Art „vorauseilender Angst“ entwickeln wir uns hin zu einer Art Hysteriekultur. Das ist gefährlich. Man denke an die falschen Beschuldigungen, die immer wieder in Kitas auftauchen, wo es angeblich Missbrauch gab, und dann war eigentlich gar nichts. Oder die vielen Falschmeldungen über kriminelle Ausländer, die dann zu Übergriffen führen. (…) Gleichzeitig zeigt der Zufriedenheits- und Glücksindex, dass die Deutschen noch nie so zufrieden waren wie heute. Das klingt paradox. Wir nennen einen Geisteszustand, in dem man sich wahnsinnig fürchtet und sich gleichzeitig wohlfühlt, „apokalyptisches Spießertum“.

Matthias Horx, Trend- und Zukunftsforscher, in einem Interview, das Sebastian Grundke unter dem Titel: Das Licht der Welt für den Freitag geführt hat.

Links aus Versehen

Jemand, der sich, wie ich, in jungen Jahren politisch eingerichtet, als Linker, als Kommunist gar, dann aber, der Bevormundung des eigenen Denkens satt, diese Bindungen durchbrochen und sich seine eigene Meinung zu allem und jedem gestattet hat, liest gewiß gerne, wie andere ähnliche Prozesse für sich beschreiben, wie Weltbilder ins Rutschen geraten: Vom anderen Ausgangspunkt aus zu durchaus ähnlichen Ergebnissen, nein: eher Fragen. Matthias Matussek, ehemaliger Kulturchef des Spiegel, schreibt in Spiegel-Online unter dem Titel: “Krise des Konservativen” wie er “aus Versehen ein Linker wurde.” Lesenswert. Nein, ein Muß, ein unbedingtes Muß.

“Sein Vater war CDU-Politiker, er selbst kiffte und lebte in einer Mao-WG – zum Linken aber wurde Matthias Matussek erst jetzt in der Krise. Denn die Konservativen führen seiner Ansicht nach einen Klassenkampf von oben: Sie zertrümmern Werte, heiligen Kaltschnäuzigkeit und öde Lifestyle-Spießerei”, heißt es im redaktionellen Vorspruch. Bei Matusseks war man konservativ. Als Jugendlicher ein bißchen rebellig, als Erwachsener, als Familienvater aber wieder durchaus konservativ. Wie tausende andere auch. Weiterlesen